Höhere Preise für Verbrenner, die ersten Rabatte auf Elektroautos – Europas Autobauer rüsten sich für die schärferen Emissionsregeln ab dem kommenden Jahr. Um die neuen CO2-Grenzwerte einzuhalten, die ab 2025 gelten, muss der Anteil der Elektroautos an den Verkäufen deutlich auf mindestens ein Viertel steigen, andernfalls drohen Milliardenstrafen. In diesem Jahr liegt der Anteil nach Daten des europäischen Branchenverbandes ACEA bei nur 13 Prozent.
„Da fehlt noch sehr viel“, sagt Marc Mortureux, Direktor des französischen Branchenverbandes PFA. Für die Branche kommen die schärferen Regeln zur Unzeit. Der Sektor hat mit Überkapazitäten zu kämpfen, die Nachfrage nach Neuwagen in Europa schwächelt, die Konkurrenz vor allem aus China wächst. Hersteller wie Volkswagen, Stellantis und andere haben deswegen ihre Gewinnprognosen gesenkt.
Düstere Aussichten
Für kommendes Jahr sind die Aussichten noch düsterer. UBS-Analyst Patrick Hummel spricht von einem „perfekten Sturm“, in dem sich die Branche befinde. Die Hoffnungen der Branche, dass die schärferen CO2-Ziele erst später greifen, hätten sich nicht materialisiert. Selbst wenn die Vorgaben auf den Prüfstand kämen, würde das lange dauern. „In anderen Worten: Die Industrie muss sich darauf vorbereiten, die Ziele 2025 vollständig zu erreichen, was potenziell einen Preiskrieg bei Elektroautos und entsprechend negative Auswirkungen auf die Gewinne nach sich zieht.“
Für die Autobranche steht viel Geld auf dem Spiel: Der scheidende ACEA-Präsident Luca de Meo sprach von bis zu 15 Mrd. Euro Strafen, die der Branche auf Basis des derzeitigen Absatzmixes drohten. Wie viel davon jeweils auf die einzelnen Konzerne zukommt, lässt sich im Moment noch nicht berechnen. Sollte sich am Absatz aber nichts ändern, drohen nach Einschätzung der UBS-Experten VW besonders hohe Strafen, gefolgt von Renault und in geringerem Umfang Mercedes-Benz. BMW steht angesichts eines höheren Elektroauto-Anteils besser da. BMW-Chef Oliver Zipse sah entsprechend zuletzt keinen Grund, die Vorgaben zu ändern.
Listenpreise zuletzt erhöht
Entsprechend steuern die Unternehmen dagegen. VW, Stellantis und Renault haben in den vergangenen Monaten die Listenpreise für ihre Verbrennermodelle zum Teil um mehrere Hundert Euro erhöht. Offiziell begründeten das die Unternehmen mit regulären Preisanpassungen. Analysten sehen darin jedoch schon einen ersten Schritt dahin, die Nachfrage nach Verbrennern zu dämpfen und Elektroautos günstiger erscheinen zu lassen. „Die Autobauer haben mit ihrer Preisstrategie damit begonnen, die Nachfrage auf Elektroautos zu lenken, um die CO2-Ziele zu erreichen und potenzielle Strafen zu vermeiden“, fasst CAR-Expertin Beatrix Keim die Strategie zusammen.
Das ist jedoch nicht ohne Risiko: Zwar verringere sich so der Abstand zwischen den Verbrennern und den üblicherweise teureren Elektroautos, sagte eine Person aus dem Umfeld eines großen Autobauers, die nicht namentlich genannt werden wollte. Aber in der allgemeinen Marktschwäche könnte das nicht ausreichen, um ausreichend emissionsfreie Fahrzeuge an den Käufer zu bringen. Immer noch werden in Europa ungefähr ein Fünftel weniger Fahrzeuge verkauft als vor der Corona-Pandemie. VW-Finanzchef Arno Antlitz spricht von zwei Millionen Autos, die dem Markt dauerhaft fehlten. „Wenn man die Preise der Verbrenner erhöht, heißt das, dass die Produktion sinkt (…) und darunter werden die gesamte Wertschöpfungskette und die Zulieferer leiden“, sagte der Insider weiter.
Billigere Elektroautos
Die Preiserhöhungen dienen nach Einschätzung von Denis Schemoul, Autoanalyst bei S&P Global, auch dazu, Rabatte bei Elektroautos zu finanzieren. Er sprach von einer „indirekten Subvention“, welche die Käufer von Verbrennern an die Käufer der Elektroautos zahlten. Denn während die Benzin- und Dieselautos teurer wurden, wurden die Preise für Hybrid- und Elektrofahrzeuge gleich gelassen oder gesenkt. So kostet etwa das VW-Modell ID.3 derzeit – einschließlich einer hauseigenen Kaufprämie – in Deutschland etwa weniger als 30.000 Euro.
Auch Alastair Bedwell, Antriebsexperte bei GlobalData, geht von weiteren Preissenkungen aus. „Das wird wahrscheinlich nächstes Jahr passieren.“ Der Absatz von Elektroautos dürfte seiner Einschätzung nach in Europa einschließlich Großbritannien, Norwegen, der Schweiz, Island und Liechtenstein um 41 Prozent auf 3,1 Mio. Fahrzeuge hochschnellen.
Die andere Möglichkeit, um die Strafen zu umgehen, ist das „Pooling“, bei dem die Autobauer Emissionsrechte von den Herstellern kaufen, die besonders viele Elektroautos absetzen, wie etwa Tesla. Die ersten Unternehmen haben sich bereits positioniert: So schloss nach Angaben einer Sprecherin der japanische Hersteller Suzuki im Oktober eine entsprechende Vereinbarung mit Volvo. Das dürfte fast ausreichen, um Strafzahlungen zu vermeiden, sagte Charles Lester, Experte bei der Batterie-Beratungsfirma Rho Motion. Volvo, das zum chinesischen Geely-Konzern gehört, verkauft schon jetzt mehr Elektroautos als vorgegeben. VW hat in der Vergangenheit ebenfalls schon auf einen Pool zurückgegriffen.
Klar ist jedoch: Alle Optionen kosten Geld und schmälern die ohnehin mageren Renditen. Die Branche hofft weiter auf Unterstützung aus Brüssel. „Irgendwann ist es einfach genug“, sagte Luc Chatel, Präsident des französischen Branchenverbandes im Oktober. „Ich kann nicht genug Elektroautos verkaufen, und ich werde für meine Verbrenner bestraft. Was soll ich als nächstes bauen – Pferdekutschen?“
APA/Reuters