Geothermie. Mit einem riesigen Bohrer beginnen die Bauarbeiten für Österreichs erste Tiefenwärme-Anlage. Sie soll ab 2028 20.000 Haushalte mit Fernwärme versorgen und zur Klimaneutralität beitragen
Am Rande der Wiener Seestadt ist seit gestern ein 50 Meter hoher Bohrturm in Betrieb. Die durchaus imposante Maschine wird mehr als 3.000 Meter in die Erde bohren und markiert damit den Beginn für die erste von sieben geplanten Tiefengeothermie-Anlagen in Wien. Dabei soll die Hitze aus dem Erdinneren genutzt werden, um Wiener Haushalte mit klimaneutraler Fernwärme zu versorgen.
Durchgeführt wird das Projekt von „Deeep“, einem Joint Venture der OMV und Wien Energie. Die fertige Anlage soll eine Leistung von 20 Megawatt haben und 20.000 Haushalte versorgen können. Bis es so weit ist, müssen aber noch einige Ungewissheiten aus dem Weg geräumt werden. Und genau dafür ist ab sofort der Bohrer im Einsatz.
Er steht direkt über einem Thermalwasser-Reservoir namens Aderklaaer Konglomerat. Das Heißwasservorkommen ist Millionen von Jahren alt und erstreckt sich im Nordosten Wiens in einer Tiefe von 2.000 bis 4.000 Metern. Frühere seismische Messungen sowie über 100 Bohrungen der OMV haben bereits wichtige Informationen über die geologischen Gegebenheiten in dieser Region geliefert. Dabei stellte man fest, dass große Mengen an Thermalwasser in guter Qualität an die Oberfläche gepumpt werden können.
Erkundungsbohrung
Die Bohrung soll etwa 3.400 Meter fast gerade in den Boden reichen. Je tiefer, desto wärmer wird es. In diesem Gebiet steigt die Temperatur alle 100 Meter, die man in die Tiefe bohrt, im Vergleich zur Oberfläche um drei Grad.
Mit der ersten Bohrung soll nun genau ermittelt werden, wie viel Wasser an dieser Stelle tatsächlich hochgepumpt werden kann, welche Temperatur es hat und welche chemische Zusammensetzung. „Das ist natürlich Thermalwasser, kein Trinkwasser. Darin sind wahrscheinlich Chemikalien und Gase enthalten“, erklärt Wien-Energie-Geschäftsführer Karl Gruber dem KURIER. Die genauen Inhaltsstoffe an der Bohrstelle zu kennen sei wichtig, da die Förderanlage, die dort gebaut wird, resistent sein muss: „Man muss die Gesamtanlage so bauen können, dass sie dauerhaft besteht.“
Dass man nach der Bohrung feststellen muss, dass sich der Ort doch nicht für eine Geothermie-Anlage eignet, bezweifeln die Verantwortlichen. Ein gewisses Risiko gebe es zwar immer, doch man sei zuversichtlich, den richtigen Standort gewählt zu haben. Schließlich werden 90 Millionen Euro in die Anlage investiert.
100 Grad heißes Wasser
Anschließend an die erste Bohrung werden die beiden sogenannten Produktionsbohrungen durchgeführt. Das bedeutet, es wird zunächst in die Tiefe gebohrt. Anschließend gabelt sich die Bohrung. Auf der einen Seite wird das ungefähr 100 Grad Celsius heiße Wasser nach oben gepumpt. „Das ist ein kleiner Bach, der da benötigt wird. Es sind zwischen 50 und 100 Liter pro Sekunde, die da zirkulieren“, sagt Gruber. Das heiße Wasser wird dann an der Oberfläche durch einen Wärmetauscher geleitet (siehe unten). Das abgekühlte Thermalwasser wird anschließend wieder ins Erdinnere zurückgeleitet. Dort wird es etwas höher als am Abpumport wieder abgegeben und kann sich erneut erhitzen.
Dadurch entsteht ein geschlossener Kreislauf. Das hochgepumpte Wasser wird also der Erde nicht entzogen und damit wird das Heißwasservorkommen auch nicht erschöpft.
Versorgungssicher
Es ist die erste Tiefengeothermie-Anlage in Österreich. Sie soll das Ziel der Stadt Wien, bis 2040 klimaneutral zu werden, voranbringen. Die Anlage soll laut OMV-Vorstand Berislav Gašo 54.000 Tonnen CO₂ einsparen, gegenüber der Wärmeerzeugung mit fossilen Mitteln. Sie wird das ganze Jahr über klimaneutrale Wärme gewinnen.
Zudem hat Wien Energie im September bekannt gegeben, ab 2025 kein russisches Erdgas mehr zu nutzen. Auch hierbei spielt die Anlage eine Rolle. „Damit tragen wir zur Versorgungssicherheit und auch zur Preisstabilität bei, da wir so einen weiteren Schritt unabhängiger von Gasimporten werden“, sagt Karl Gruber in einer Pressemeldung. Die Anlage soll 2028 ans Fernwärmenetz angeschlossen werden.
Kurier