Österreich wollte bis 2040 klimaneutral werden. Dieses Ziel wird unter einer FPÖ-ÖVP-Regierung wohl fallen. Klimaaktivisten drohen harte Strafen – und der Republik hohe Strafzahlungen an die EU.
Die Verhandlungen zwischen der FPÖ und der ÖVP haben noch nicht begonnen, aber in der Klimapolitik könnten sich beide schnell einig werden. Denn für beide spielt das Thema keine Rolle. Freiheitliche leugnen den Klimawandel, FPÖ-Chef Herbert Kickl warnt vor der „Klimahysterie“. Die ÖVP wiederum bremst seit Jahrzehnten in der Klimapolitik. Noch in seiner Rolle als Generalsekretär gab der neue ÖVP-Chef Christian Stocker die Parole aus, seine Partei setze sich gegen den „Verbotswahn im Klimaschutz“ ein. DER STANDARD hat die Wahlprogramme der Parteien analysiert, die Klimaversprechen im Wahlkampf zusammengetragen und deren Bewertungen von Umweltexperten gelesen. Die Gesamtschau macht deutlich: Für Österreichs Klimapolitik wäre eine blau-schwarze Regierung die schlechteste aller Koalitionen.
Vorletzter und letzter Platz
Das zeigen auch die Bewertungen der drei großen Umweltorganisationen Global 2000, Greenpeace und WWF, die die Wahlprogramme aller Parteien analysierten. Die FPÖ schneidet im Klima- und Umweltschutz in allen mit Abstand am schlechtesten ab. Die ÖVP landet verlässlich auf dem vorletzten Platz. Die Umwelt-NGOs kommen damit zu demselben Ergebnis wie Österreichs Klimaforschernetzwerk CCCA fünf Jahre zuvor. Damals hatten Wissenschafter die Klimapolitik aller Parteien untersucht. Ihnen zufolge war jene der FPÖ „nicht im Einklang“ mit dem Pariser Klimaziel, jene der ÖVP „wenig im Einklang“.
Angesichts dessen gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Österreichs ehrgeiziges Klimaziel fallen wird: 2020 schlossen die Grünen mit der ÖVP eine Koalition unter der Bedingung, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Damit nahm die Alpenrepublik in der Ambition eine Vorreiterstellung in der EU ein. FPÖ-Chef Herbert Kickl will das rückgängig machen. Schon im Wahlkampf kritisierte er dieses Ziel und warf dem damaligen ÖVP-Chef Karl Nehammer vor, die türkis-grüne Regierung betreibe „Gold Plating“. Dabei bekennt sich auch die ÖVP nicht mehr öffentlich zum 2040er-Ziel. Im Gegenteil: Im November veröffentlichte DER STANDARD ein geleaktes Briefing der ÖVP-nahen WKO, das für das ÖVP-Koalitionsverhandlungsteam bestimmt war. Darin bezeichnet die Kammer das Festhalten am 2040-Ziel als No-Go.
Aus für Superministerium
Als so gut wie fixiert gilt, dass FPÖ und ÖVP das bisher mächtige Klimaschutzministerium zerlegen werden. Das kündigten sowohl Kickl als auch Nehammer im Wahlkampf an. Türkis-Grün hatte 2020 die Agenden Verkehr, Energie, Technologie und Umwelt zusammengezogen, um wesentliche Klimathemen unter einem Dach abzuarbeiten. Mit seiner Zerschlagung würde Blau-Schwarz die Klimapolitik operativ schwächen.
Jenseits der großen Linien drohen durch die rechtsrechte Koalition klimapolitische Rückschritte, etwa im Verkehr. Dieser Sektor hat über Jahrzehnte die heimische Klimabilanz verhagelt. Erst in jüngster Vergangenheit gab es gute Nachrichten. Die Emissionen sanken nicht nur insgesamt, sondern auch im Verkehr. Das liegt zum einen an den höheren Treibstoffpreisen infolge der Energiekrise. Zum anderen aber auch an der Politik: Türkis-Grün hatte Rekordsummen in die Bahn und in Radwege gesteckt, das Klimaticket auf Schiene gebracht, die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler ließ darüber hinaus auch große Straßenbauprojekte wie den Bau des Lobautunnels stoppen. Letzteres gegen den ausdrücklichen Willen der ÖVP.
Während alle Parteien in ihren Wahlprogrammen dem Ausbau des klimafreundlichen Verkehrs den Vorrang geben – dazu zählen Öffis und der Ausbau von Fahrradstraßen und Gehsteigen –, nehmen FPÖ und ÖVP eine andere Haltung ein. Den Autoverkehr zu stärken ist für beide beinahe identitätsstiftend geworden. In der Steiermark-Wahl plakatierten die Freiheitlichen „Steiermark bleibt Autoland“. Öffentlichkeitswirksam stemmte sich Nehammer gegen das Verbrennerverbot in der EU und berief dazu sogar einen Autogipfel ein.
Im Wahlprogramm forderten die Türkisen folglich den konsequenten Ausbau für Straßen, 20 Milliarden Euro soll der Staat bis zum Jahr 2040 investieren. Die FPÖ versprach den Pendlern wiederum mehr Kilometergeld und eine höhere Pendlerpauschale. Während diese Forderungen im klaffenden Budgetloch verschwinden könnten, wirkt ein Einsparungsvorschlag erfolgversprechender: Die Freiheitlichen wollen steuerliche Vorteile für E-Autofahrer abschaffen.
Während Blau-Schwarz an Autofahrer Zuckerbrot verteilen wollen, droht der Zivilgesellschaft die Peitsche. Sowohl ÖVP als auch FPÖ versprachen ihren Wählern, hart gegen „Klimakleber“ vorzugehen.
Ein radikales Abräumen der Klimapolitik kann die EU verhindern. Denn Österreich muss die Vorgaben aus Brüssel umsetzen. Die freiheitliche Forderung, die „CO₂-Steuer“ abzuschaffen, wird voraussichtlich nicht nur wegen des Budgetlochs ins Leere gehen, sondern auch wegen des sogenannten EU-Emissionshandels. Brüssel weitet ihn aus, ab 2027 bekommt CO₂ damit in den Bereichen Verkehr (Tanken) und Wohnen (Heizen) in der gesamten Union einen Preis. Dieser könnte aber niedriger als der österreichische CO₂-Preis ausfallen.
Hohe Strafzahlungen
Vor allem aber muss Österreich das Klimaziel erreichen, das die EU dem Land vorgeschrieben hat: Im Vergleich zu 2005 muss die Republik ihre Emissionen bis 2030 um 48 Prozent senken. Scheitert die blau-schwarze Koalition daran, drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe.
Einigen könnte sich Blau-Schwarz darauf, neue Technologien zu stärken: Beide Parteien hoffen auf CO₂-Speicher und klimafreundlichen Wasserstoff, wollen außerdem die Erneuerbaren ausbauen. Realpolitisch wird das aber schwierig. Denn ausgerechnet im schwarz-blau regierten Oberösterreich kommt der Windkraftausbau nicht voran, auch wenn die hiesige Industrie nach Energie lechzt. Im Süden des Landes kämpft die FPÖ sogar aktiv gegen Windräder an. Sie setzte als Oppositionspartei zusammen mit dem Team Kärnten eine Volksbefragung durch – in Kärnten ist das ein Minderheitenrecht.
Der Standard