Gas: Wir zahlen mehr, als wir müssten

20. Jänner 2025, Wien

Energie. Nicht nur das kalte Wetter und der Gaslieferstopp durch die Ukraine treiben die Gaspreise in Europa so stark in die Höhe. Sondern auch die EU heizt den Preisanstieg unnötig an.

Wer in diesem Winter mit Erdgas heizt, muss dafür deutlich mehr Geld ausgeben als vor einem Jahr. Der Preis für eine Megawattstunde Gas in Europa (TTF) stieg in den vergangenen zwölf Monaten um 57 Prozent auf mehr als 46 Euro. Grund dafür sind nicht nur das kalte Wetter und der Lieferstopp für russisches Gas durch die Ukraine. Sondern auch die EU macht den Gaskunden das Leben schwerer, als es sein müsste. Hintergrund dafür sind die strikten Vorgaben, mit denen die Union die Nationalstaaten dazu anhält, ihre Erdgasspeicher mit erstem November zu neunzig Prozent zu füllen. Dazu kommen Zwischenziele wie eine verpflichtende Füllquote von 50 Prozent Anfang Februar.

Eingeführt wurden die Speicherziele im Jahr 2022 als Antwort auf die Gaspreiskrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Mit den verpflichtenden Füllquoten sollten damals mögliche Engpässe bei der Gasversorgung vermieden werden. Auch heute leeren sich Europas Gasspeicher so rasch wie zuletzt vor sieben Jahren. Dennoch würden die Speicherziele inzwischen mehr schaden als nützen, sagen Experten.

Speicherziele treiben den Preis

„Die EU sollte überdenken, ob sie diese Verpflichtung wirklich beibehalten will“, sagt ein Gashändler unter Zusicherung der Anonymität zur „Presse“. „Die Vorgaben aus Brüssel treiben die Preise auf dem Markt massiv in die Höhe.“
Wie stark die Auswirkungen wirklich sind, zeigt ein Blick auf die Futures-Preise für Erdgaslieferungen im Sommer. In der warmen Jahreshälfte sinkt der Gasbedarf stark, weshalb Gas dann üblicherweise sehr billig zu haben ist. Darauf baut das Geschäftsmodell vieler Händler auf, die im Sommer Gas einbunkern, das sie im Winter teuer verkaufen wollen. Doch die Rechnung geht nicht mehr auf: „Die europäische Regulierung garantiert, dass im Sommer Bestände aufgebaut werden“, sagt James Waddell, Analyst bei Energy Aspects zu Montel. Darauf reagiere auch der Futures-Preis. Inzwischen ist Gas im nächsten Sommer kostspieliger als im kommenden Winter. Und das hat unangenehme Folgen.

Füllstand fällt auf ein Viertel

In Deutschland warnt etwa der Verband der Speicherbetreiber Ines, dass es derzeit keine Anreize vom Markt gebe, für den Winter vorzusorgen. Da die Vorräte des Lands bis zum Frühjahr auf ein knappes Viertel zusammengeschmolzen sein könnten, müsse der Staat schon jetzt beginnen, Gas auf Halde zu kaufen.

Um die EU-Vorgaben zu erfüllen, hat die Bundesrepublik denGasmarktgebietsbetreiber Trading Hub Europe THE dazu verpflichtet, ausreichend Gas zu kaufen, wenn die Marktteilnehmer nicht von sich aus genug einlagern. Im Wissen um diese staatlich garantierte Nachfrage bleiben die Preise höher als notwendig, klagen Analysten.

„Vorgaben noch angebracht?“

In Österreich ist die Lage etwas anders. Das Land hat Erdgasspeicher, die für den eigenen Bedarf überdimensioniert sind, und muss sie daher nicht zu neunzig Prozent füllen, sondern nur 35 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs der vergangenen fünf Jahre vorrätig halten. Die steigenden Gaspreise in Europa kommen freilich dennoch bei den heimischen Kunden an.

„Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob die europäischen Vorgaben zu hohen Füllständen in dieser Form noch angebracht sind“, sagt auch E-Control-Chef Alfons Haber zur „Presse“. Die Regeln sollten sich jedenfalls auf einen längeren Zeitraum beziehen, und auch die Auswirkungen auf die Preise müssten berücksichtigt werden.
Andere Marktteilnehmer stellen die Speicherziele der EU ganz grundsätzlich infrage. Immerhin mangle es nicht an Erdgas auf dem Markt. Auch Russland weiß derzeit nicht, wohin mit all dem Gas, das bisher nach Europa verkauft wurde. Die Folge: Die russischen Speicher sind prall gefüllt. Zuletzt sprach die Gazprom von einem Rekordfüllstand von 73 Milliarden Kubikmeter. Auch die Umleitung der Exporte in andere Staaten klappt bei Weitem nicht so gut wie erhofft, sagen die Forscher des UK Energy Research Centres. 2040 würden die russischen Gasexporte ein Drittel unter dem Vorkrisenniveau liegen.

Auch China kauft nicht alles

China, das Europa als größter Käufer von russischem Pipelinegas abgelöst hat, ist kein Ersatz. Die „Power of Siberia“-Gasleitung in die Volksrepublik ist nicht an die russischen Gasfelder angeschlossen, die Europa versorgt haben. Zwei weitere geplante Pipelineprojekte kommen nicht vom Fleck. Zudem soll heuer auch noch der Gasbedarf um sechs Prozent fallen, erwartet der chinesische Berater Gastank.

Solange Europa also nicht voreilig russisches Gas sanktioniert, wie es zehn Staaten gefordert haben, sollten genug Mengen auf dem Markt sein, um ohne preistreibende Speicherziele sicher durch den Winter zu kommen. Norwegen ist heute schon der mit Abstand größte Gaslieferant des Kontinents. Flüssiggaslieferungen (vor allem aus den USA) decken 40 Prozent aller europäischen Importe ab. Hier ist Russland heute zwar als zweitwichtigster Lieferant noch im Spiel. Doch auch das wird sich ändern, ist der dänische EU-Energiekommissar Dan Jørgensen überzeugt: Ab 2027 könne die EU auch ganz ohne Moskau auskommen.

Auf einen BlickErdgas kostet in Europa heute um 55 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Mitschuld an dem starken Preisanstieg sind auch die hohen Speicherziele der EU. Bis zum ersten November müssen die Mitgliedstaaten ihre Speicher zu 90 Prozent gefüllt haben. Diese staatlich garantierte Nachfrage treibe die Kosten für Gaskunden in Europa künstlich nach oben, klagen Gashändler.

von Matthias Auer

Die Presse