Die EU steckt in der Flüssiggas-Falle fest

22. Jänner 2025, Brüssel

Energiepolitik. Die exzessiv hohen Preise für Strom und Gas alarmieren nun auch die EU-Finanzminister. Schnelle Abhilfe wäre möglich, ist aber politisch schwierig.

Polens Finanzminister Andrzej Domański läutet sein erstes Ecofin-Treffen im Rahmen der polnischen Ratspräsidentschaft mit einem Alarmruf ein: „Mit Preisen, die in Europa zwei- bis sogar viereinhalb Mal höher sind als in den USA oder Asien, haben wir einfach keine Chance, mit dem Rest der Welt zu konkurrieren.“ Die Minister sollten am Montagabend bei einem informellen Abendessen „einen offenen Meinungsaustausch darüber führen, wie wir eine echte Energieunion schaffen mit niedrigeren Preisen, saubereren Energiequellen und größerer Sicherheit“.
Die EU hat im Rahmen ihres im Jahr 2019 lancierten Grünen Deals eine radikale Wende weg von fossilen und hin zu nachhaltigen Energieträgern lanciert. Doch am Erdgas, das im Rahmen dieser Politik oft als bloße „Übergangstechnologie“ bezeichnet wird, führt kein Weg vorbei. Die Union hat dabei zwar ihre Abhängigkeit von Russland reduziert, zugleich aber jene von den USA stark erhöht. Im Jahr 2022 musste sie 64,4 Prozent ihres Energieverbrauchs durch Importe decken. Beim Erdgas betrug diese Abhängigkeit von Übersee 97,6 Prozent, hielt die Europäische Kommission fest.

„Russlands Kontrolle gebrochen“

Domański schlägt vor, den Europäischen Energiemarkt besser zu integrieren. „Angesichts dessen, dass die Energiepreise unsere Volkswirtschaft hinunterziehen, scheinen wir kaum eine andere Wahl zu haben“, warnte er.
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Kommission, befürwortet zwar diese bessere Verzahnung der von Politikern und Energieunternehmen eifersüchtig gehüteten nationalen Strommärkte. Öffentlichwirksam in die Bresche wirft sie sich aber für etwas anderes. „Warum ersetzen wir russisches Gas nicht durch amerikanisches Flüssiggas?“, fragte sie im November vorigen Jahres nach der Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten.

Bloß mangelte es von der Leyen dafür an faktischem Pouvoir. „Die Kommission ist keine Wirtschaftsakteurin. Wir kaufen und verkaufen keine Kraftstoffe“, hielt eine Sprecherin am Montag fest. Am Ziel, die EU bis 2027 komplett von fossilen Energieträgern aus Russland freizumachen, halte sie fest. Die dafür zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Teresa Ribera, soll Ende Februar einen Fahrplan präsentieren. „Wir haben die Kontrolle Russlands über Europas Energiesystem gebrochen“, sagte die Sprecherin. Ganz so ist das nicht. Allen voran Frankreich, Spanien, Belgien und die Niederlande importieren heute mehr russisches Flüssiggas, als sie das vor drei Jahren taten.

Preise könnten bald fallen

Energiefachleute geben zu bedenken, dass die EU 2030 nur mehr halb so viel Erdgas verbrauchen dürfte wie bisher. Das liege am starken Ausbau von Wind- und Sonnenkraft. Zudem könnte Gas schon heuer billiger werden, weil die USA mehr Flüssiggas exportieren werden, verweist Conall Heussaff vom Forschungsinstitut Bruegel auf ein Papier der Internationalen Energieagentur: „Die Gaspreise sollten folglich fallen, aber nicht auf das Niveau vor der Energiekrise und nicht unter jene in den USA.“


Um die Strompreise für Europas Industrie kurzfristig zu senken, verweist Heussaff auf den Vorschlag des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, den besonders starker internationaler Konkurrenz ausgesetzten Unternehmen regulierte niedrigere Tarife anzubieten. Zudem könnten „nationale Regierungen die Mehrwertsteuer auf Energie senken, um den Druck auf Verbraucher zu verringern“. Allen voran aber sollte die EU endlich die Richtlinie über die Besteuerung von Energie aus dem Jahr 2003 novellieren. Deren Mindesttarif für Elektrizität führt in der Praxis dazu, dass Strom für Privatkunden und Kleinbetriebe höher besteuert wird als Gas: egal, aus welcher Quelle er stammt.

Wir kaufen und verkaufen keine Kraftstoffe. Anna-Kaisa Itkonen Sprecherin EU-Kommission

von unserem Korrespondenten Oliver Grimm

Die Presse