Europas Businessplan

24. Feber 2025

Mit dem „Clean Industrial Deal“ will die EU-Kommission für billigere Energie und mehr Investitionen sorgen. Dabei nimmt sich Brüssel ein Beispiel an den USA.


Als Antwort auf die „Buy American“-Politik der USA will die EU-Kommission künftig Quoten für Produkte „made in Europe“ einführen. So sollen 40 Prozent der grünen Technologien wie etwa Solar- oder Windkraftanlagen künftig in der EU hergestellt werden. Das Vorhaben ist Teil des „Clean Industrial Deal“, der die Industrie wieder auf Wachstumskurs bringen soll. Parallel dazu soll nächste Woche ein Aktionsplan für bezahlbare Energie beschlossen werden. Zwei Dokumente, die diese Initiativen skizzieren, liegen dem Handelsblatt vor.


Der „Businessplan“ für Europa, wie es in dem Papier heißt, umfasst verschiedene Maßnahmen. So sollen die Energiepreise sinken, Investitionen attraktiver und der Zugang zu wichtigen Rohstoffen erleichtert werden, zum Beispiel über den Abschluss langfristiger Gaslieferverträge. Mit Blick auf die Klimaziele kommt das zwar einer harten Kehrtwende gleich, bildet aber ein mögliches Verhandlungsangebot im Zollstreit mit Donald Trump. Die USA sind mit Abstand der größte Lieferant für verflüssigtes Erdgas.


Mit ihren Vorschlägen folgt die Kommission vor allem den Forderungen des EU-Sonderbeauftragten Mario Draghi. Der frühere italienische Premier hatte im September ein viel beachtetes Papier zur Wiederbelebung der Wettbewerbsfähigkeit vorgelegt. Nach den Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump sei eine „radikale Veränderung“ nun noch dringlicher, sagte Draghi erst am Dienstag. „Sie können nicht zu allem Nein sagen“, mahnte er die Abgeordneten des EU-Parlaments.Die europäische Wirtschaft befindet sich aktuell zwischen Zolldrohungen aus den USA und billigen Auto-Importen aus China in keiner guten Lage. Der einstige Wachstumstreiber Deutschland kämpft gegen Stagnation, sinkende Produktionsraten und eine drohende Deindustrialisierung. Manche Ökonomen sprechen von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Europäische Unternehmen warnen schon länger, dass sie im Wettbewerb mit China und den USA wegen überbordender Bürokratie und hoher Energiepreise nicht mehr mithalten können. Das soll sich jetzt ändern.


Neben einer Beschleunigung und Vereinfachung der Regeln und Genehmigungen will die EU auch die Energiepreise für Unternehmen und Verbraucher deutlich senken. Dafür sollen langfristige Stromlieferverträge zwischen Stromproduzenten und Abnehmern (Power Purchase Agreements, PPA) und sogenannte Differenzverträge (Contract for Differences) gefördert werden, bei denen Staaten und Stromerzeuger einen garantierten Strompreis vereinbaren.
Um PPAs zu fördern, will die EU-Kommission gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank ein Pilotprogramm initiieren. Davon sollen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sowie energieintensive Industrien profitieren. Erst vor wenigen Wochen hatte auch die Wirtschaftsvereinigung der Grünen ein Konzept vorgestellt, das die Förderung von PPAs ins Zentrum rückt.
Für Mittelständler sind solche Konstruktionen oft noch unbekanntes Terrain. Es gebe eine Reihe von Neben- und Haftungsbedingungen, die man genau bewerten müsse, heißt es bei der Wirtschaftsvereinigung. Das könne ein kleiner industrieller Mittelständler aus eigener Kraft nicht leisten. Er müsse externen Rat hinzuziehen. Die Wirtschaftsvereinigung fordert eine Standardisierung und Vereinfachung. Die EU-Kommission nimmt solche Forderungen nun auf.
Zugleich fordert Brüssel, dass die Mitgliedstaaten Steuern und Abgaben auf Strom senken. Darüber hinaus will die EU-Kommission mit dem Aktionsplan Investitionen in erneuerbare Energien fördern und staatliche Beihilfen bis Juli dieses Jahres vereinfachen.
Es sei erfreulich, dass die EU-Kommission die Bedeutung von PPAs erkannt habe und diese über die Europäische Investitionsbank unterstützen will, sagt die Europaabgeordnete Jutta Paulus (Grüne). „Das ist notwendig, damit wir die Erneuerbaren in ganz Europa ausbauen und unsere Industrie mit günstiger Energie versorgen können.“
Außerdem greift die Kommission die Kritik an den stark steigenden Kosten für die Befüllung der Gasspeicher auf. In dem Aktionsplan für bezahlbare Energie heißt es, man werde eine bessere Koordinierung unter den Mitgliedstaaten unterstützen und mehr Flexibilität bei der Befüllung der Speicher zulassen. Das könne dazu beitragen, die Gasspeicher zu günstigeren Konditionen zu befüllen.

Das Thema ist aus Sicht energieintensiver Unternehmen in Deutschland von großer Bedeutung. Die Unternehmen zahlen seit Oktober 2022 eine Gasspeicherumlage, die seitdem in vier Schritten von 0,59 Euro auf 2,99 Euro je Megawattstunde Gas erhöht wurde. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte kürzlich davor gewarnt, die Umlage könne sich weiter erhöhen und sogar verdreifachen. Mit den Einnahmen aus der Umlage wird die Befüllung der Gasspeicher finanziert, die nach den Vorgaben der EU zu bestimmten Terminen eines Jahres bestimmte Füllstände erreicht haben müssen. Die Regelung hatte die EU in der Versorgungskrise 2022 eingeführt.


Die Regelung verursacht ein Problem: Gashändler und Banker auf der ganzen Welt wissen, dass Deutschland, das über die mit Abstand größten Gasspeicherkapazitäten in der EU verfügt, im Sommer seine Speicher unter gesetzlichem Zwang füllen muss – koste es, was es wolle. Das treibt die Preise und die Gasspeicherumlage.


Mehr Flexibilität statt starrer Vorgaben soll Abhilfe schaffen. Sebastian Heinermann, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES), in der sich die Gasspeicherbetreiber zusammengeschlossen haben, begrüßt daher die Ankündigung der EU-Kommission. „Eine Flexibilisierung der Füllstandsvorgaben durch eine Reduktion der Zwischenziele oder durch den vollständigen Verzicht auf Zwischenziele würde die Kosteneffizienz der Befüllung steigern können“, sagte Heinermann dem Handelsblatt.


Um die Gaspreise langfristig zu senken, ist die EU offenbar auch zu einem Strategiewechsel bereit: Im Aktionsplan für bezahlbare Energie spricht sich die Kommission für Langfrist-Verträge für Gasimporte aus. Bisher waren EU-Staaten damit zurückhaltend, weil aufgrund der Klimaziele langfristig auf Gas verzichtet werden soll. Nun sollen die EU oder einzelne Mitgliedsstaaten laut dem Papier sogar direkt in Exportterminals von Flüssigerdgas in anderen Ländern investieren können. Beides würde vor allem die Gasabhängigkeit von den USA erhöhen und könnte dazu dienen, US-Präsident Donald Trump bei Verhandlungen entgegenzukommen.

Auch dem Thema Stromnetze will sich die EU widmen. Wegen der Energiewende müssen die europäischen Stromnetze immer mehr ausgebaut werden. Das verursacht Milliardenkosten, die auf den Strompreis umgelegt werden und diesen in die Höhe treiben. In dem Papier kündigt die Kommission ein milliardenschweres „Grids Manufacturing Package“ an – also ein Paket zum Ausbau der Netze. Das soll durch die Europäische Investitionsbank eingeführt werden, um Herstellern von Netzkomponenten Garantien bereitzustellen.


Solarindustrie ein warnendes Beispiel
Mit der Buy-European-Klausel will sich die EU unabhängiger von den USA und China machen. Die Volksrepublik liegt bei Investitionen in Clean Tech auf Platz eins, gefolgt von Europa. Auf Platz drei liegen die USA. Der ehemalige US-Präsident Joe Biden hatte mit dem „Inflation Reduction Act“ ein massives Subventionsprogramm für saubere Technologien auf den Weg gebracht. Etwa ein Drittel der globalen Investitionen in Clean Tech stammt aus China. Das zeigt eine Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA). Ein Großteil davon fließt in den Ausbau der Produktionskapazitäten von E-Autos, Lithium-Batterien, Solaranlagen und Windturbinen im Inland.
Die EU sieht im Niedergang der europäischen Solarmodulhersteller ein warnendes Beispiel. Diese hatten einst den Weltmarkt beherrscht und wurden dann innerhalb weniger Jahre von der Billigkonkurrenz aus China nahezu vollständig verdrängt. Damit der Windbranche nicht dasselbe Schicksal droht, hat die EU bereits einen Aktionsplan für die Windindustrie auf den Weg gebracht.
Auf aus China importierte E-Autos erhebt die EU mittlerweile einen Sonderzoll. Die Kommission sieht Beweise dafür, dass China seine Autobranche unrechtmäßig subventioniert. Um die Verbreitung von Elektroautos zu beschleunigen, schlägt die EU-Kommission vor, ein vergünstigtes Leasingmodell für E-Autos aufzulegen. Dieses Programm soll auch auf Wärmepumpen und weitere Clean-Tech-Produkte anwendbar sein und die Verbraucher vom Umschwenken überzeugen. Dafür soll Geld aus dem Klimasozialfonds bereitgestellt werden.
Anfang März will die EU-Kommission zudem einen Aktionsplan für die Autoindustrie vorstellen, den sie derzeit im „Strategischen Dialog“ mit der Branche erarbeitet. In dem Zusammenhang werden außerdem Lockerungen bei den drohenden Strafzahlungen erwartet, sollten die Autohersteller die aktuellen Klimaziele verfehlen. „Der Fokus auf Leitmärkte, den Hebel der öffentlichen Beschaffung und Steuererleichterungen ist industriepolitisch sinnvoller, als sich nur auf Subventionen zu verlassen“, sagt Bernd Weber vom Thinktank Epico. Insbesondere der Aktionsplan für bezahlbare Energie gebe einen neuen Impuls, um mit Flexibilität die Strom- und Systemkosten in den Mitgliedstaaten zu senken, sagt Weber. Vor allem für Deutschland sei das relevant. Olga Scheer, Klaus Stratmann, Kathrin Witsch, Catiana Krapp


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40 Prozent der grünen Technologien wie etwa Solar- oder Windkraftanlagen sollen künftig in der EU hergestellt werden. Quelle: EU-Kommission

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