Schafft Wien die Wärmewende?

8. April 2025

In 600.000 Wiener Haushalten das Gas loszuwerden, ist eines der wichtigsten Klimaschutz-Vorhaben der Stadt. Wo man steht und welche Hürden noch im Weg stehen.

Die Wände des Containers sind auf drei Seiten nach oben geklappt, Schutz vor dem Wind und dem ungewöhnlich kalten Apriltag bieten sie keinen. Dafür haben die Menschen hinter den Stehtischen neue schwarze Jacken bekommen, auf deren roten Logos steht: „Raus aus Gas. Rein in deine Zukunft.“ Eine Mitarbeiterin gräbt sich noch tiefer in die Jacke.

„Viele Interessierte waren heute noch nicht da“, sagt ihre Kollegin. Aber nachher komme der Bezirksvorsteher vorbei, dann werde hoffentlich mehr los sein. Schließlich soll der erste Tag der Kampagne hier auf dem Platz vor dem Haus des Meeres kein Reinfall werden.

Man legt sich ins Zeug in Mariahilf, immerhin hat man Pionierstatus. Denn hier, rund um die Gumpendorfer Straße, probiert Wien das aus, was man später auf große Teile der Stadt ausrollen will: Fernwärme ausbauen, Gasheizungen loswerden. Möglichst proaktiv will man die Bewohner in den vier Pioniergebieten von den Vorteilen eines Heizungswechsels überzeugen.

Rund 600.000 Haushalte mit Gasanschluss gibt es in Wien noch. Die alle umzustellen, ist ein Mammutprojekt und eine der ganz großen Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität in Wien: Der Gebäudesektor ist, nach dem Verkehr, der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen in Wien. Schafft Wien die Wärmewende, ist die Stadt rund ein Drittel ihrer Emissionen los. Bloß, schafft sie es?

Wenn es wer wissen sollte, dann ist es Thomas Kreitmayer. Seit drei Jahren leitet der Experte für erneuerbare urbane Energiesysteme das Programm „Raus aus Gas“ in der Stadt Wien. Rund 10.000 Wohnungen pro Jahr habe man in den letzten drei Jahren umgestellt. Will man bis 2040 fertig sein, muss es wesentlich schneller gehen. Aber noch schaffe man die Grundlagen, der großflächige „Roll-out“ soll laut Plan ab 2026 beginnen. „Es gibt einen straffen Zeitplan, aber grundsätzlich wird der so angelegt, dass die Dekarbonisierung möglich sein sollte“, sagt Kreitmayer. Mit dem Nachsatz: „Alles, was in Wien möglich ist, wird gemacht.“

Paradoxe Gesetze.Natürlich gibt es noch Dinge, an denen es hakt. Die größte Herausforderung sei der fehlende Rechtsrahmen, der aber in vielen Materien vom Bund kommen müsse. Wohnrechtsfragen zum Beispiel. „Das Gaswirtschaftsgesetz ist aus heutiger Sicht paradox.“ Was Kreitmayer meint: Wenn ein Bewohner einen Gasanschluss will, dann muss dieser Anschluss verpflichtend hergestellt oder aufrechterhalten werden. Eine Umrüstung wird schwieriger, die Aufrechterhaltung zweier Systeme teurer.

Schiebt die Stadt dem Bund den schwarzen Peter zu, falls sie es selbst nicht schafft? Peter Holzer vom Wiener Institute of Building Research & Innovation glaubt das nicht. Der Experte für Bauklimatik, der zudem seit Kurzem die Stadt im Klimarat berät, sieht die „stärkste Hürde“ für die Wärmewende darin, dass sich Mietende laut Bundesgesetz für oder gegen eine Heizungsumstellung entscheiden können. „Diese Freiwilligkeit behindert wahnsinnig.“ Je weniger in einem Haus mitmachen, desto weniger wirtschaftlich tragfähig sei eine Umstellung. Ein Anlauf, dieses Gesetz zu ändern, verlief mit dem abgespeckten Erneuerbare-Wärme-Gesetz im Sand, ebenso das Verbot von Gasthermen bis 2040, das nun nur für Neubau gilt. Für Holzer eine vertane Chance: „Planungssicherheit wäre gut.“

Was im Moment bleibt, ist, Menschen zu überzeugen, also das, was die Stadt-Wien-Mitarbeiter vor dem Haus des Meeres nun tun. Das ist mitunter harte Arbeit, denn wer will sich schon eine Baustelle ins Haus holen und Tausende Euro investieren, wenn es am Ende nicht einmal billiger wird?

Das wollen nämlich weder Holzer noch Kreitmayer versprechen. „Es ist nicht garantiert, dass die Umstellung deutlich weniger Heizkosten bringt und sich Investitionen amortisieren, diese Hoffnung soll man nicht schüren“, sagt Holzer und hat eine von seiner Firma konzipierte Rechnung für die Umstellung eines dreigeschoßigen Biedermeiderhauses parat: Die Umstellung auf Fernwärme kostet für das Haus mit sieben Wohnungen 186.000 Euro, nach Abzug städtischer Förderungen noch 125.000 Euro, „netto sind das pro Wohnung 12.500 Euro“. Entscheidet man sich für eine Wärmepumpe mit Erdsonden, wären es etwa 20.000 Euro, schätzt er. „Eine Gastherme zu ersetzen kostet auch 10.000 Euro.“

Seriöse Preisvergleiche seien wegen schwankenden Gaspreisen schwierig, sagt Kreitmayer. „2022 war es unverschämt günstig, mit Gas zu heizen. Aber die Welt hat sich weitergedreht. Für mich ist das größte Argument nicht der Preis, sondern die Versorgungssicherheit.“ Die Sorge, im Winter die Wohnungen nicht heizen zu können, bekomme er unmittelbar mit.

30 Milliarden Euro, diese Summe hat Kreitmayer für das Projekt „Raus aus Gas“ hochgerechnet. Als sehr grobe Arbeitsthese, gibt er zu bedenken, an der sich noch viel ändern kann. Ein Drittel dieser Kosten will man jedenfalls als Stadt mittels Förderungen zuschießen, das soll sich nicht ändern. Dass die Bundesförderungen für Heizungstausch und Sanierung mit Dezember gestoppt wurden, sei unangenehm, aber: „Wir wollen nicht in Schockstarre verfallen.“
Klimakosten.Für Holzer ist die Wärmewende „volkswirtschaftlich richtig und wichtig, auch wenn es Milliarden kostet. Die Kosten für den Klimawandel sind unbezahlbar“. Gleichzeitig schicke man sein Geld nicht mehr in kriegsführende Länder, sondern investiere in die heimische Wirtschaft. Das Klima sei zwar relevant für viele Wiener, trotzdem argumentiert Kreitmayer damit nicht gern. Er könne nicht versprechen, dass eine einzelne dekarbonisierte Wohnung einen wahrnehmbaren Einfluss auf das globale Klima habe, „und im nächsten Jahr wird es dadurch im Sommer weniger heiß. Das Klima ist ein sehr komplexes Thema“.

Den Effekt einer einzelnen umgestellten Wohnung ausrechnen kann aber Holzer: „Eine 60-Quadratmeter-Wohnung in einem nicht sanierten Gründerzeithaus oder 60er-Jahre-Bau mit Gas zu heizen, verbraucht 1,43Tonnen CO2 im Jahr.“ Also mehr als die eine Tonne CO2, die ein Mensch pro Jahr bis 2050 verbrauchen sollte, um das Paris-Ziel einzuhalten. Bei einem Umstieg auf eine Wärmepumpe sinkt dieser Wert auf 0,36 Tonnen, wenn der Strommix auch ganz erneuerbar ist, dann geht es Richtung null.

Bleibt die Frage, ob Wien die Wärmewende schafft. Bauklimatik-Experte Holzer ist zuversichtlich: „Was Wien macht, ist konsequent. Ob es fünf oder sieben Jahre länger dauert, wird kein Misserfolg sein.“

Es ist nicht garantiert, dass eine Umstellung deutlich weniger Heizkosten bringt. Diese Hoffnung soll man nicht schüren. Peter Holzer Institute of Building Research & Innovation

Fakten

600.000 Haushalte nutzen in Wien noch Gas. Sie sind für rund ein Drittel der Treibhausgas- Emissionen Wiens verantwortlich. Bis 2040 will Wien seine Wärmeversorgung voll dekarbonisieren – und setzt dabei stark auf Fernwärme, die bis dahin ebenfalls kein Erdgas mehr verwenden soll. 1,4 Tonnen CO2 stößt eine Gasheizung in einer unsanierten 60-Quadratmeter- Wohnung in Wien circa pro Jahr aus.

Die Presse