Vorreiter bei E-Autos, Nachzügler im Klimaschutz

11. April 2025

Norwegen elektrifiziert den Straßenverkehr wie kaum ein anderes Land. Dennoch ist der Transportsektor ein klimapolitisches Sorgenkind – genauso wie der Öl- und Gassektor, auf dem der Reichtum fußt.

Will man lernen, wie E-Autos auch in der breiten Masse ankommen, blickt man nach Norwegen. Will man wissen, wie Wärmepumpen selbst im tiefsten Winter funktionieren, ebenso. Das Land im hohen Norden ist gewissermaßen das reale Testlabor für all das, bei dem andere Regierungen noch zögern. Und gilt als Vorreiter, dem der Rest Europas nur allzu gern nacheifert.

Doch es gibt einen Schönheitsfehler. Einen, über den die vielen Erfolgsgeschichten der Elektrifizierung nur allzu oft hinwegtäuschen: Viele Projekte gelingen nur deshalb so gut, weil das Geld verfügbar ist. Und das wiederum gibt es deshalb, weil Norwegen auf gigantischen Öl- und Erdgasressourcen sitzt – und diese auch zu nutzen weiß. Ein Beispiel dafür sind die vielzitierten Elektroautos.

Verdrängte Verbrenner

Während im EU-Schnitt 14 Prozent aller Neuzulassungen vollelektrische Pkws sind, lächelt Norwegen mit fast 96 Prozent von der Spitze des europäischen Rankings herab. Im Bestand gibt es schon mehr E-Autos als Benziner. Das ist auch kein Zufall: Verbrenner wurden mittels einer Anmeldesteuer sukzessive verteuert, Elektroautos steuerlich und räumlich bevorzugt. In den Anfangsjahren waren E-Autos von Maut- und Parkgebühren befreit, durften sogar auf Busspuren fahren.

Das finanzielle Hauptvehikel ist die Mehrwertsteuer. Sie beträgt 25 Prozent, „verteuert“ also ein Auto beispielsweise von 40.000 auf 50.000 Euro. Davon ausgenommen sind Elektroautos, und das schon seit 2001. „Das hat die Preise zwischen Verbrennern und E-Autos angeglichen“, erklärt Sveinung André Kvalø vom norwegischen Elektroautoverband. Zuletzt gab es leichte Steuererhöhungen auf große und luxuriöse E-Autos, doch der Anreiz vor allem im Privatsektor bleibt groß.

Der Umstieg trägt Früchte: Im Vergleich zu 2010, als die Emissionen privater Pkws auf dem Höhepunkt waren, haben sich die Emissionen um 36 Prozent verringert, rechnet Kvalø vor. Was er nicht erwähnt: Der Erfolg ist teuer erkauft. Mindestens 30 Milliarden norwegische Kronen entgehen dem Staat jährlich durch die Steueranreize. Das entspricht rund 2,6 Milliarden Euro. „Pro eingesparte Tonne CO₂ sind das ziemlich substanzielle Kosten“, gibt Erlend Hermansen zu bedenken. Er ist leitender Forscher am Klimainstitut Cicero in Oslo, beschäftigt sich dort vor allem mit den Emissionen des Transportsektors.

Verlass auf Öl und Gas

Hermansens Bilanz: „Teuer, aber es funktioniert.“ Ein Grund dafür ist der stetige Geldregen, den der Öl- und Gassektor des Landes abwirft. Ein Viertel des Staatsbudgets ist aus Steuern und Abgaben der beiden Sektoren gespeist. Norwegen kann es sich schlicht leisten, auch teure Maßnahmen umzusetzen. Wobei das eigentlich untypisch ist, wie der Klimaforscher anmerkt. „Eines unserer zentralen Prinzipien in der Klimapolitik ist die Kosteneffizienz.“ Üblicherweise werden also Klimaschutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Kosten evaluiert, die günstigste davon ausgewählt. Derartige Diskussionen haben in Österreich erst jüngst Fahrt aufgenommen.

Emissionshandel

Der Ansatz führt mitunter aber zu absurd anmutenden Entscheidungen. Vielfach greift Norwegen auf flexible internationale Mechanismen zurück, weil diese günstiger seien, erklärt Hermansen. Das heißt konkret: Weil Norwegen seinen Klimazielen sonst nicht nachkäme, werden Verschmutzungsrechte im Rahmen des Emissionshandels erworben. Allein in den ersten beiden Perioden des Kioto-Protokolls zwischen 2008 und 2020 hat Norwegen 53 Millionen Zertifikate erworben.

Blickt man auf die Emissionsstatistiken exklusive des Emissionshandels, ist die Bilanz ernüchternd. Seit 1990 sind die Treibhausgasemissionen nur um 9,1 Prozent zurückgegangen, rechnet Hermansen vor. Zum Vergleich: Das Ziel für 2020 waren 30 Prozent, jenes für 2030 liegt bei 55 Prozent. Die Erfolgsgeschichten einiger weniger Sektoren werden durch andere konterkariert. Strom etwa wird fast ausschließlich aus Wasserkraft und Windenergie erzeugt, auch in der Industrie, im Bausektor und bei den Pkws sind die Emissionen rückläufig.

Im dominanten Öl- und Gassektor liegen die Emissionen hingegen immer noch über jenen von 1990. „Die Erdölvorkommen zu erschließen wird immer schwieriger“, erklärt Klimaforscher Hermansen. „Dadurch wird immer mehr Energie benötigt, um das Öl zu gewinnen.“ Üblicherweise würden dafür Offshore-Gasturbinen verwendet. Diese versuche man nun durch elektrische Turbinen an der Küste zu ersetzen. Offiziellen Zahlen zufolge konnte man so die CO₂-Emissionen seit dem Höhepunkt im Jahr 2008 um knapp ein Viertel senken. Bis zum Ziel für 2030, die Emissionen im Vergleich zu 2005 um die Hälfte zu senken, ist es noch ein weiter Weg – und nur wenig Zeit.
Und auch im Transportsektor insgesamt, also inklusive schwerer Nutzfahrzeuge und des See- und Luftverkehrs, wollen die Emissionen nicht so richtig runter. „Wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, haben wir ohne Zweifel Probleme, unsere Emissionen zu reduzieren“, sagt Hermansen.

CO₂-Speicherung

Ein radikaler Schwenk weg von der Öl- und Gasindustrie gilt jedenfalls als undenkbar. 60 Prozent der landesweiten Exporte gehen auf deren Konto, umgerechnet 22 Milliarden Euro wurden im Vorjahr in den Sektor investiert, zeigen Zahlen des norwegischen Statistikamts. Ein wesentliches Detail des Ölfonds veranschaulicht die Größenordnung des Sektors: Von den staatlichen Einnahmen aus den beiden Sektoren fließen nur drei Prozent ins jährliche Budget. Der Rest wird investiert, um künftige Generationen finanziell abzusichern. Der Gesamtwert des Fonds liegt aktuell bei umgerechnet 1,7 Billionen (!) Euro.

Anders ausgedrückt: Ein Viertel des jährlichen Haushalts speist sich allein aus drei Prozent der jährlichen Staatseinnahmen aus dem Öl- und Gassektor. Norwegen setzt daher neben der Elektrifizierung schon lange auf die hierzulande noch umstrittene Abscheidung und geologische Speicherung von CO₂ (Carbon Capture and Storage, CCS). Interesse daran besteht freilich, hat Norwegen doch bereits seit 1991 eine CO₂-Steuer. Es ist der vierthöchste Preis pro Tonne in ganz Europa, zeigen Daten der auf Steuern spezialisierten Denkfabrik Tax Foundation.

Ob all das reichen wird, ist fraglich. Den meisten Entscheidungsträgern scheint jedenfalls zusehend zu dämmern, dass der Emissionshandel allein es nicht richten wird, meint Hermansen. Denn die Kosten steigen, immer mehr Branchen fallen unter das Zertifikatssystem. Und auch die CO₂-Speicherung geht ins Geld. Allein bis Ende 2023 hat die öffentliche Hand umgerechnet mehr als vier Milliarden Dollar in den Sektor gepumpt, laufend kommen neue Projekte hinzu. Die geologische Speicherung ist zudem mit Risiken verbunden, die sich als Umweltgefahr und Kostentreiber entpuppen könnten, warnen kritische Stimmen.

Der Standard