
Energiekosten. Österreichs energieintensive Industrie verliert den Anschluss an die Konkurrenz in Europa. Die Betriebe fühlen sich von der heimischen Politik benachteiligt und fordern Hunderte Millionen Euro vom Bund als Entschädigung.
Während im Finanzministerium noch daran gefeilt wird, wie Österreich sein gewaltiges Budgetloch zumindest ansatzweise stopfen könnte, senden Unternehmen aus den Industriebundesländern Oberösterreich und Steiermark einen Hilferuf in Richtung Wien ab. Nicht nur die Zölle von US-Präsident Donald Trump, auch die massiven Kostensteigerungen bei Löhnen und Energie würden die Unternehmen vor so große Probleme stellen, dass sie nicht mehr mit ihren Nachbarn mithalten könnten.
„Die Kostensteigerungen in Österreich waren mit Abstand die höchsten“, sagt Peter Putz, Österreich-Chef des Papierkonzerns Sappi, zur „Presse“. Allein die Personalkosten am steirischen Standort Gratkorn seien zuletzt doppelt so stark gestiegen wie in den Nachbarländern. „Das können wir nicht mehr einfach mit einem kleinen Sparprogramm lösen“, so Putz. Markus Ritter, Chef des Grazer Stahl- und Walzwerks Marienhütte, leidet vor allem unter den hohen Energiepreisen: „Die Energiekosten bedrohen uns in unserer Existenz“, sagt er.
Die Sorgen der energieintensiven Industrie im Land sind nicht unbekannt. Doch während im Wahlkampf noch alle drei Regierungsparteien die Senkung der Energiepreise versprochen haben, ist das Thema inzwischen in eine Arbeitsgruppe ausgelagert worden. „Es ist klar, dass die Energiepreise ganz wesentlich für den Standort sind“, sagte Energie-Staatssekretärin Elisabeth Zehetner jüngst im „Presse“-Interview. „Aber wir haben derzeit wirklich ein Problem mit der budgetären Situation. Wir können nicht auf einen Knopf drücken und die Energiekosten senken.“
CO2-Kosten refundieren
Damit wollen sich die betroffenen Unternehmen aber nicht so einfach abfinden. Sie fühlen sich von der heimischen Politik vernachlässigt und fordern, dass der Staat zumindest mit den europäischen Nachbarn gleichzieht und den Betrieben so eine Chance lässt, im innerkontinentalen Wettbewerb wieder Fuß zu fassen. Ganz konkret geht es ihnen um die sogenannte Strompreiskompensation (SAG). Die Idee dahinter: Energieintensive Unternehmen, die Metall, Chemie, Papier und Kunststoff herstellen und durch den EU-Emissionshandel (EU ETS) höhere Strompreise zahlen müssen, sollen diese politisch verursachten Kosten zu 75 Prozent rückerstattet bekommen. Das soll globale Wettbewerbsnachteile durch den Emissionshandel abmildern und stromintensive Industriezweige vor der Abwanderung schützen. 17 EU-Staaten nutzen den von Brüssel abgesegneten Mechanismus bereits, viele – darunter Deutschland – haben ihn sogar bis ins Jahr 2030 fixiert. Österreich gab den Betrieben nur im Jahr 2022 etwas von ihrem Geld für die CO2-Zertifikate zurück. Dann nicht mehr.
„Wollen keine Förderung“
Selbst 2022 flossen vergleichsweise geringe 184 Millionen Euro an eine Handvoll Betriebe, die aber in den industriestarken Bundesländern Oberösterreich und Steiermark ein großes Gewicht haben. In der Steiermark verdient etwa jeder vierte Industriemitarbeiter sein Geld in der energieintensiven Industrie. „Wir wollen keine Förderung. Wir wollen nur einen Teil des Geldes zurück, das wir eingezahlt haben“, sagt Kurt Maier, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung. „Wir brauchen das Geld heute und nicht zu Jahresende“, drängt er mit Blick auf die laufenden Vorbereitungen des Doppelbudgets. „Uns fehlt das Geld im Monatsergebnis.“ Damit sei die österreichische Industrie sogar gegenüber dem europäischen Mitbewerb nicht mehr konkurrenzfähig.
Problematisch sei vor allem, dass vergleichbare Unternehmen etwa aus Deutschland oder Italien die Strompreiskompensation erhielten und auch in den kommenden Jahren damit rechnen und planen könnten. Das Geld, das über diesen Weg an die Betriebe ausgezahlt wird, ist zweckgebunden für Projekte, die entweder den Energieeinsatz verringern oder die Produktion dekarbonisieren. Der Papierkonzern Sappi hat mit den Mitteln für 2022 in Österreich etwa den Abschied von der Kohle und den Anschluss an die Bahn mitfinanziert. Damit wird nun nicht mehr fossile Kohle per Lastwagen zur Fabrik gebracht, sondern Biomasse auf der Schiene.
Doch ohne Aussicht auf weitere Unterstützung werden solche Projekte bald auf der Kippe stehen – und nicht nur sie.
Deindustrialisierung passiert
„Wir haben einen Wettbewerbsnachteil, der uns umbringt“, sagt Markus Ritter, geschäftsführender Gesellschafter von Marienhütte. Bei einem Jahresumsatz von 250 Millionen Euro und einer Marge von drei Prozent könne sein Betrieb theoretisch etwa 7,5 Millionen Euro Gewinn im Jahr machen, rechnet er vor.
Das ist ungefähr so viel, wie die Strompreiskompensation dem Unternehmen im Jahr bringen würde. „Wenn ich nun aber die Aussicht habe, bis 2030 kein Geld zu verdienen, heißt das, dass wir unsere Investitionen stoppen müssen“, warnt er. Und ohne Investitionen sei ein schleichender Abschied der Betriebe von Österreich nur noch eine Frage der Zeit.
Schon heute investieren die Industriebetriebe in der Steiermark um ein Zehntel weniger als vor einem Jahr, sagt IV-Landeschef Kurt Maier. Das größte Alarmzeichen: Der Anteil der Erweiterungsinvestitionen, also jener Ausgaben, die getätigt werden, um die Produktion am Standort auch für die Zukunft zu sichern, ist von 30 auf fünf Prozent gesunken.
Für Warnungen vor einem möglichen Abschied der Industrie sei es damit fast zu spät, so Maier. „Die Deindustrialisierung hat schon begonnen.“
Wir haben einen Wettbewerbsnachteil, der uns umbringt. Markus Ritter Stahl- und Walzwerk Marienhütte
Die Kostensteigerungen in Österreich waren mit Abstand die höchsten. Peter Putz Sappi Österreich
von Matthias Auer
Die Presse