
Gastkommentar. Österreich ist in einer guten Ausgangslage, um eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Wasserstoff in Europa zu haben.
Die Transformation des Energiesystems ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Das Klima ist aber nicht der einzige Grund, die Energiewende voranzutreiben. Es gibt schlicht wirtschaftliche Gründe. Abhängigkeiten von einzelnen Energielieferanten machen uns erpressbar und teure Energie lähmt die Wirtschaft. Um zu verhindern, dass österreichische Industriebetriebe in Regionen abwandern, in welchen bessere Produktionsbedingungen herrschen, müssen wir dafür sorgen, dass ihnen trotz Dekarbonisierungsdrucks auch in Zukunft Energie zu konkurrenzfähigen Konditionen zur Verfügung steht.
Grüner Wasserstoff kann in den schwer elektrifizierbaren Bereichen der Industrie eine wichtige Rolle spielen – der Stahlindustrie, der chemischen Industrie, den Raffinerien und im Bereich der Schwertransporte. Österreichs Bedarf nach grünem Wasserstoff wird 2040 bei rund 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr liegen, weit mehr, als Österreich selbst produzieren kann. Zur Veranschaulichung: Österreichs Strombedarf würde sich bei eigener Wasserstoffproduktion in lokalen Elektrolyseanlagen bis 2040 im Vergleich zu 2024 mehr als verdoppeln. Wasserstoffimporte sind daher alternativlos, um die langfristige Versorgung des Wirtschafts- und Industriestandorts Österreich sicherzustellen. Hierfür brauchen wir in Österreich nicht nur Strategien und Bekundungen, wir brauchen auch eine geeignete Infrastruktur, um die Wasserstoffmoleküle zu importieren und anschließend entsprechend zu verteilen.
In der HIAA, der Hydrogen Import Alliance Austria, haben wir Wissen und Expertise gebündelt, um Wasserstoffimporte nach Österreich ab den frühen 2030er-Jahren zu ermöglichen. Die HIAA ist ein Zusammenschluss von acht österreichischen Unternehmen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette: Der Aluminiumhersteller Amag, die Gas Connect Austria, LAT Nitrogen, die frühere Borealis Melamin in Linz, die OMV, RHI, Produzent feuerfester Materialien, die Verbund AG, der Stahlerzeuger Voestalpine und die Wiener Stadtwerke. Diese Unternehmen arbeiten am Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, an mangelndem Pioniergeist liegt es also nicht.
Es braucht die Politik
Um jedoch Investitionsentscheidungen für Projekte in industriellem Maßstab treffen zu können, sind geeignete regulatorische Rahmenbedingungen und politische Unterstützung unerlässlich. Beispielsweise ist die aktuell in Arbeit befindende Umsetzung des EU-Gasmarktpakets in Österreich zwingend notwendig, denn dieses bildet die Grundlage für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur. Die HIAA begrüßt, dass die Regierung das Thema im Regierungsprogramm verankert hat und eine Wasserstoff-Importstrategie plant. Das ist ein wichtiges politisches Bekenntnis, das auch von unseren europäischen Partnern wahrgenommen wird.
Österreich ist – noch immer – in einer guten Ausgangslage, um eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Wasserstoff in Europa einzunehmen. So verfügen wir über ein international vielseitig angebundenes Gas-Fernleitungsnetz. Das gibt uns die Möglichkeit, am Aufbau des „European Hydrogen Backbones“, einer Pipeline-gebundenen Transportinfrastruktur nach Europa und quer durch Europa, teilzuhaben. Der Südkorridor schafft die Möglichkeit, große Wasserstoff-Produzenten in Nordafrika via Italien und Österreich mit Abnehmern in Zentraleuropa zu verbinden. Die Versorgungsrouten aus dem Norden werden grünen Wasserstoff aus Skandinavien über Deutschland und die baltischen Staaten in Richtung Süden bringen. Die Anbindung Österreichs an den Nordkorridor sowohl über Bayern als auch Tschechien ist aktuell bis 2032 geplant. Der Westkorridor wird die Produktionsstätten in Portugal und Spanien via Frankreich nach Deutschland transportieren. Und auch entlang des Ost-Korridors, angefangen in der Ukraine und Rumänien, werden verschiedene Projekte zum Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur intensiviert werden, sobald die politische Situation dies zulässt. Österreich verfügt darüber hinaus über Speichermöglichkeiten und hat – wie beschrieben – großen eigenen industriellen Bedarf. Wir sind aber nicht die einzigen, die um die Pole-Position ringen: Auch unsere Nachbarländer arbeiten an Konkurrenzrouten durch die Schweiz oder Tschechien, um Importkorridore in Richtung Zentraleuropa zu führen. Zögert Österreich, werden diese Transportrouten an uns vorbei gebaut – und mit ihnen rücken die Chancen auf den Zugang zu leistbarem Wasserstoff, die Einnahmen aus Transitgebühren und die Schaffung weiterer Arbeitsplätze in weite Ferne.
Daher braucht es aus Österreich neben einem überzeugenden politischen Bekenntnis konkrete Maßnahmen für Finanzierung, Aufbau und Regulierung der Wasserstoff-Infrastruktur. Mit klaren Signalen durch einen frühzeitigen Aufbau der Infrastruktur und der Schaffung der Rahmenbedingungen, zeigen wir unseren europäischen Partnern, dass Österreich bereit ist. Denn eines ist klar: Wir wollen als Wasserstoffdrehscheibe Verantwortung in Europa übernehmen!
Der Autor Dr. Michael Strugl (* 1963) ist CEO der Verbund AG, einem Mitglied der Hydrogen Import Alliance Austria (HIAA). Er war 2017/2018 Landeshauptmann-Stellvertreter in der Landesregierung Stelzer I.
von Michael Strugl
Die Presse