Interview. Oekostrom-CEO Ulrich Streibl über Pseudo-Erotik beim Verbrenner, eine bundesweite Strom-Asfinag und faire Preise.
94 Prozent des 2024 in Österreich verbrauchten Stroms stammen laut jüngstem Bericht der E-Control aus erneuerbaren Quellen. Kann man damit zufrieden sein?
ULRICH STREIBL: Für den Moment, ja. Wir stehen aber vor einem stark wachsenden Stromverbrauch auf das Doppelte im Jahr 2040: Von rund 70 auf ungefähr 140 Terawattstunden in nur 15 Jahren. Das heißt, wir müssen mehr Strom produzieren. Der Hauptfokus liegt auf der Windkraft, da haben wir das größte Potenzial und gleichzeitig den höchsten Bedarf im Winter.
Bis 2030 sollen 100 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren kommen, 100 Prozent der gesamten Energie bis 2040. Ist das machbar?
Die erste Etappe ist geschafft, wir können stolz sein. Momentan macht Strom aber nur ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs aus. Zwei Drittel fehlen noch. Wir müssen daher weg vom Benzin und Diesel im Verkehr und weg vom Erdgas in der Raumwärme. All das wird durch Strom ersetzt. Österreich hat dieses Potenzial, wir müssen uns halt trauen, es anzupacken.
Das EU-Verbrennerverbot ab 2035 wird scharf kritisiert und könnte fallen.
Es ist völlig klar, dass die gesamte Mobilität auf batterieelektrische Autos gehen wird. Alle Hersteller tun das, insbesondere die chinesischen. Die werden uns mit ihren Autos überfluten. Österreich ist ein bisschen eigenartig, es gibt bei uns ein pseudo-erotisches Verhältnis zum Verbrenner.
Sie kritisieren den mangelnden Mut beim Ausbau der Erneuerbaren in Österreich. Liegt es daran oder eher an den politischen Rahmenbedingungen?
Ich würde mir Führungspersönlichkeiten wünschen, die sich hinstellen und sagen, wo wir die Arbeitsplätze herkriegen: durch die Green-Tech-Industrie. Wie wir Klima und Umwelt schützen können: durch erneuerbare Energie. Wir werden uns vom Alten verabschieden müssen. Zugunsten der Windkraft, der Photovoltaik, der Wasserkraft, der Biomasse und des Biogases.
Der Umbau von Heizungen wird künftig nur noch in geringerem Ausmaß gefördert. Reicht das aus für die Wärmewende?
Wenn wir die fossile und die nukleare Energie ehrlich mit den Kosten belasten, die sie tatsächlich verursachen, werden erneuerbare Raumwärme, erneuerbare Technologien und auch Elektroautos im Vorteil sein. Aber das tun wir nicht.
Mit der CO₂-Abgabe geschieht dies sehr wohl.
Die CO₂-Abgabe ist sehr, sehr, sehr gering. Wir haben aber nach wie vor hohe Förderungen für fossile Energien. Insgesamt geben wir 5 Milliarden für klimaschädliche Subventionen aus. Der Staat nimmt unsere Steuergelder und gibt sie den Menschen, damit diese sich klimaschädlich verhalten. Das ist doch absurd und führt dann dazu, dass wir erneuerbare Technologien fördern müssen.
Sie kritisieren auch die hohen Netzkosten in Österreich, nennen das System unfair. Warum?
Wir haben in Österreich über 100 Netzbetreiber, allein elf, die 110 kV-Netze betreiben. Diese Hochspannungsnetze enden nicht an der Bundesländergrenze. Wir brauchen aber nicht neun Bundesländernetze. Wir könnten mit diesen Netzen eine gemeinwohlorientierte Gesellschaft des Staates, so etwas wie eine Strom-Asfinag schaffen – zumindest im Hochspannungsbereich. Dann hätten wir eine bessere bundesweite Planung und niedrigere Kosten. Diese Strom-Asfinag könnte sich zu den Kosten der Republik verschulden – und das sind die geringsten, die wir haben.
Sie erklärten kürzlich, es gebe keine Energiepreis-Krise mehr. Ihr Befund wird sicher alle wundern, die auf ihre explodierenden Stromrechnungen schauen.
Die Energiepreise sind nicht zu hoch. Sie signalisieren Knappheiten – und das ist korrekt. Wir müssen diese Marktsignale zulassen. Im Moment sind wir bei einem Börsen-Energiepreis für das nächste Jahr von 9 bis 10 Cent. Wir können kein Kraftwerk, und zwar ganz egal, ob Gas-, Wind- oder Wasserkraftwerk, mit Preisen bauen, die unterhalb dessen liegen. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass sich der Strompreis in einem Korridor von 8 bis 12 Cent bewegen wird.
Warum kritisieren Sie die Übergewinnsteuer für Energieerzeuger so scharf? Viele Energieversorger haben massiv profitiert.
Die Energiekrise ist vorbei, es gibt keine „Übergewinne“. Diese Sondersteuer kostet die Industrie 200 Millionen Euro im Jahr. Damit würden wir Projekte im Umfang von einer Milliarde finanzieren. Der Staat nimmt uns Geld weg – und das hat Konsequenzen: Die Investitionen kommen nicht, Tausende Arbeitsplätze entstehen nicht. Und damit fehlen Tausende Steuerzahler. Der Staat schadet am Ende dem Budget.
Zur Person: CEO Ulrich Streibl ist seit 2020 Vorstand, seit 2021 Sprecher der Oekostrom AG. Das 1999 gegründete Unternehmen ist ein Pionier der grünen Strombewegung. Momentan versorgt die Bürgerbeteiligungsgesellschaft mit 3100 Aktionären rund 120.000 Kunden mit Strom aus erneuerbaren Quellen.
Von Uwe Sommersguter
Kleine Zeitung





