KOMMENTAR. Der Europäische Emissionshandel droht die Energiepreise massiv zu verteuern. Der nächste DEINDUSTRIALISIERUNGSSCHOCK steht an.
Die Europäische Union will bis 2050 CO2 -neutral sein. Das zentrale Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, ist der Europäische Emissionshandel. Dabei werden Emissionsrechte verausgabt, die den jährlichen Mengen an zulässigem CO2 -Ausstoß entsprechen. Ohne diese Rechte darf in Industrie und Stromwirtschaft nicht emittiert werden. Die Rechte werden europaweit gehandelt, um für eine effiziente und kostengünstige Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems zu sorgen.
Plangemäß sollen bald auch Emissionen aus den Bereichen Verkehr und Wohnen dazukommen. Und weil die Menge an Emissionsrechten exakt entlang der CO2 -Reduktionspläne verknappt wird, ist mit steigenden Preisen für ebendiese Rechte zu rechnen. Damit ist zwar garantiert, dass die Emissionen in der Tat sinken, aber in vielen anderen Bereichen entstehen gravierende Probleme, sofern (noch) keine kostengünstigen Alternativen zur Verfügung stehen.
Das erste Thema betrifft die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie, weil Energie verteuert wird. Die meisten Länder der Welt haben keine oder sehr niedrige CO2 -Preise. Daher die Abwanderung von Produktion und der Ersatz durch billigere Importe. Der von der EU angedachte Grenzausgleichsmechanismus CBAM soll hier Abhilfe schaffen, leidet aber unter entscheidenden Konstruktionsfehlern.
Erstens: Nur in einigen Sektoren – Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel, Strom, Wasserstoff – werden CO2 -intensiv produzierte Importe mit dem EU-CO2 -Preis nachbelastet. Das treibt den Marktpreis für diese Güter in der EU nach oben und belastet all jene Branchen, die diese Produkte verarbeiten. Dort entsteht neuer Verlagerungsdruck, der zur Absiedlung führen würde.
Zweitens: Exporte sind nicht einbezogen. Nach der reinen Lehre müssten die europäischen Exporte von den CO2 -Abgaben befreit werden, aber das stößt auf WTO-rechtliche Grenzen.
Drittens: Exportländer wie China werden „grüne“ Exporte vermehrt nach Europa senden und die schmutzigen Produkte in anderen Ländern verkaufen. Damit wird nur umsortiert, der Energiemix in China bleibt wie zuvor, und in Europa kommt es zu keiner Entlastung. Je höher die CO2 -Preise in der EU werden, umso fataler werden diese Probleme. Der nächste Deindustrialisierungsschock steht an. Hier braucht es dringend Alternativen. Ein Element kann die weitere Zuteilung von kostenlosen Zertifikaten an die CO2 -intensive Industrie sein. Das ist aber keine dauerhafte Lösung. Langfristig muss der CBAM auf alle Güter und auch auf Exporte ausgeweitet werden; dafür braucht es aber eine bürokratiearm herzustellende Datenbasis – eine Mammutaufgabe.
Das zweite, weniger beachtete Problem liegt darin, dass höhere CO2 -Preise nicht nur fossile Brennstoffe verteuern, sondern auch den elektrischen Strom, auch wenn dieser weitgehend erneuerbar hergestellt wird. Das ist fatal, weil damit die Umstellung der Produktion auf Strom die Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern kann. Der Grund liegt in der Merit Order: Immer dann, wenn Gaskraftwerke den Preis auf dem Strommarkt setzen, inkludiert dieser Preis auch die Kosten der Emissionsrechte. Bei einem aktuellen Gaspreis von circa 30 Euro pro Megawattstunde (MWh) und dem CO2 -Preis von circa 80 Euro pro Tonne, resultieren für ein Gaskraftwerk mittlerer Effizienz ungefähr Kosten von 84 Euro pro MWh. Durchgerechnet wächst der Strompreis am Ende auf circa 113 Euro, voll und ganz getrieben durch höhere Preise der Emissionsrechte. Der direkte Einsatz von Gas in der Industrie verteuert sich exakt proportional mit dem elektrischen Strom, was jede Lenkungswirkung der CO2 -Bepreisung zerstört. Übrig bleiben dann nur höhere Preise für die Verbraucher und höhere Kosten für die Industrie. Auch hier muss eine Lösung her, sonst droht das marktliche Instrument des Emissionshandel vollends diskreditiert und durch teurere regulatorische Vorhaben ersetzt zu werden. Ein Vorschlag wäre, die bei der Gasverstromung anfallenden Kosten für Emissionsrechte bei der Bezahlung für erneuerbaren Strom herauszurechnen.
Die zusätzlichen Staatseinnahmen, die durch teurere Emissionsrechte entstehen, müssen direkt und vollständig zur Vergünstigung des elektrischen Stroms verwendet werden. Tut man das nicht, führt man das Emissionshandelssystem ad absurdum, so lange noch fossile Energie im Energiemix vorhanden ist. Das wird vermutlich noch sehr lange der Fall sein müssen.
Gabriel Felbermayr ist Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO).
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