OMV-Chef Alfred Stern fordert eine höhere Energieproduktion in Europa und spricht sich für mehr Pragmatismus in Österreich aus.
Monika Graf: Sie haben kürzlich Ihre Strategie angepasst und die Investitionen bis 2030 um fünf Milliarden Euro zurückgenommen. Fast zehn Prozent der Mitarbeiter müssen bis 2027 gehen. Sind das Zeichen für den Niedergang der Öl- und Gasindustrie?
Alfred Stern: Das sehe ich nicht so. Als ein integriertes Unternehmen für Energie, Kraftstoffe und Chemie ist OMV optimal aufgestellt. Der größte Effekt bei unserer Investitionsanpassung ist die Transaktion von Borouge Group International. Hier ist es uns gelungen, gemeinsam mit unserem langjährigen Partner Adnoc einen Weltmarktführer im Chemiebereich neu zu gründen, mit Konzernsitz im Herzen Europas. Unsere Beteiligung an diesem Unternehmen wird nicht mehr in der OMV-Bilanz voll konsolidiert, daher sind diese Investitionen nicht mehr sichtbar und führen zu einer Reduktion um 3,5 Milliarden Euro. Zweitens haben wir die Investitionen in unserem Kerngeschäft um 1,5 Milliarden Euro angepasst. Insgesamt machen wir sehr gute Fortschritte mit unseren Transformationsprojekten und treffen strategische Entscheidungen dahingehend, wo wir diese wie vorantreiben wollen. Das schließt ebenfalls die zeitliche Taktung unserer Investitionen ein. Drittens wird ein ansteigender Bedarf an Gas in Europa für einen längeren Zeitraum prognostiziert als erwartet. Dies spiegelt sich auch in einem Anstieg unseres Produktionsziels von 350.000 auf 400.000 Barrel pro Tag bis 2030 wider.
Wenn die EU bei dem Ziel bleibt, 2050 CO2-neutral zu sein, haben Sie 25 Jahre Zeit, von Öl und Gas wegzukommen. Was bleibt dann von der OMV übrig?
Also ganz klar: Die Menschen wollen auch in der Zukunft mobil sein, Licht haben und ihre Wohnungen heizen. Und sie wollen ihre Lebensmittel verpackt haben oder ihre Handys isoliert. Deswegen verfolgen wir unsere integrierte, nachhaltige Strategie mit Energie, Kraftstoffen und Chemie. Wir haben gerade in der Chemie mit Borouge Group International gemeinsam mit Adnoc einen großen Sprung in die Weltliga erreicht. Unser Chemiesegment wird ein strategisch wichtiger Wachstumstreiber bleiben. Hier kommen uns die weitreichenden Innovationskompetenzen von OMV und Borealis zugute.
Bei Treibstoffen und Tankstellen setzen Sie auf E-Fuels und Elektro?
Unsere Transformation wurde in diesem Bereich bereits eingeleitet. Wir haben in unserer Raffinerie in Schwechat eine Co-Processing-Anlage mit 160.000 Tonnen Bioölen in Betrieb und einen Zehn-Megawatt-Elektrolyseur für synthetische Treibstoffe, den derzeit größten in Österreich. Und der Spatenstich für einen 140-Megawatt-Elektrolyseur wurde gesetzt. Das ist der fünftgrößte in Europa und Ausdruck der Innovationsleistung der OMV. Die Mobilität wird sich allerdings nicht von heute auf morgen ändern. Uns ist eine verantwortungsvolle Transformation wichtig, bei der wir mit unserem Portfolio die Kundenbedürfnisse von heute und morgen zuverlässig bedienen können. Wir sind bei synthetischen Flugkraftstoffen (SAF, Anm.) sehr gut unterwegs und haben zusätzliche Flughäfen als Kunden dazugewonnen. In Rumänien befindet sich unsere neue SAF-HVO-Anlage im Bau. Und wir betreiben mittlerweile 1200 Schnellladestationen an unseren Tankstellen.
Wie läuft Ihr Geothermieprojekt?
Wir machen gute Fortschritte. Mit unserem Gemeinschaftsprojekt mit Wien Energie werden die ersten 20.000 Haushalte ab 2028 mit klimaneutraler Tiefenwärme versorgt werden. Ein weiteres Projekt läuft in Graz, weil nicht davon auszugehen ist, dass 2040 oder 2050 die Leute genauso heizen werden wie heute. Allerdings ist Gas eine wichtige Brückentechnologie, denn Photovoltaik und Windenergie sind nicht planbare Stromproduzenten. Deswegen haben wir unser Ziel für die Produktion von Gas auch angehoben.
Wie viel tragen Ihre nachhaltigen Projekte heute zum Ergebnis bei und wie viel wird es in fünf oder zehn Jahren sein?
Wir müssen diese Leuchtturmprojekte zunächst aufbauen. Bis 2030 wollen wir ungefähr 20 Prozent unseres operativen Cashflows aus diesen Bereichen erwirtschaften. Die Gewinne der OMV kommen aber weiter aus Öl und Gas und Sie steigern die Produktion.
Woher kommen die zusätzlichen Mengen, abgesehen vom Offshore-Projekt in Rumänien?
Neptun Deep wird, wenn es 2027 anläuft, 70.000 Fass pro Tag zusätzlich beitragen. Aus unseren anderen Standorten, z. B. in Norwegen, Libyen und Österreich, erwarten wir zusätzliche 70.000 Fass pro Tag. Gleichzeitig müssen wir natürliche Rückgänge in der Produktion kompensieren. Die Summe dieser Entwicklungen ergibt 330.000 Fass Öl pro Tag bis 2030. Die Lücke von 70.000 Barrel müssen wir durch Zukäufe oder zusätzliche Funde schließen.
Wo sind Ihre Hoffnungsgebiete?
Es geht nicht nur um die Produktionsmengen. Diese müssen ein zusätzliches Ergebnis liefern und wertsteigernd sein.
Welche Rolle spielt Flüssiggas aus den USA?
Auch die OMV hat langfristige Verträge abgeschlossen. Unsere Marktannahme ist, dass Europa mindestens bis 2050 ein Netto-Importeur von Gas bleiben wird. Die Produktion in Europa selbst wird zurückgehen, daher wären mehr Projekte wie Neptun Deep sehr wichtig. Dann gibt es Pipeline-Importe. Vor vier Jahren war Russland der größte Lieferant. Die Importe nach Europa haben sich jetzt zu anderen Ländern verschoben. LNG-Importe sind wichtige Quellen geworden und es ist zu erwarten, dass die LNG-Lieferungen aus den USA den Preis für Europa bestimmen. Er muss ausreichend hoch sein, damit die LNG-Importe nicht irgendwo anders geliefert werden.
Sie sehen die Gefahr neuer Abhängigkeit?
Diese gibt es durchaus. Deswegen sollte die Produktion in Europa am stärksten gefördert werden. Leider sind die regulatorischen Rahmenbedingungen so, dass das nicht unbedingt passiert. Hier mehr Energie zu produzieren, ist am besten für die Versorgungssicherheit, die Nachhaltigkeit und die Leistbarkeit. Ich fürchte, wir haben uns sehr stark auf wenige Energieformen konzentriert. In der Mobilität, bei Heizungen, aber auch in der Industrie findet eine Elektrifizierung statt. Dafür braucht es elektrischen Strom und massive Investitionen. Wir investieren in Rumänien selbst in Photovoltaik und Windenergie. Aber für OMV ist ganz klar: Wir verfolgen eine Diversifizierungsstrategie, weil sich nur so das Risiko reduzieren lässt. Bis Ende letzten Jahres waren wir zu 100 Prozent von einem einzigen Lieferanten für Erdgas abhängig, und was das bedeutet, hat man gesehen.
Sollte man sich die Möglichkeit offenlassen, auch wieder Gas aus Russland zu importieren?
Wir müssen uns in Europa sehr darauf konzentrieren, unseren Wohlstand zu erhalten, wettbewerbsfähig zu bleiben, bei Kosten und Innovationen. Nur dann können wir uns unsere Lebensweise inklusive Sozialstaat, Energiewende und Sicherheit leisten. Diese Ausgaben müssen erst einmal erwirtschaftet werden. Das muss die Priorität Nummer eins bleiben.
Dazu brauche ich russisches Gas?
Europa bleibt ein Netto-Importeur. Das heißt, Europa ist nicht in der luxuriösen Lage, irgendwelche Quellen oder Energieformen ausschließen zu können. Wir bei OMV haben unser Gasportfolio erfolgreich diversifiziert und halten uns klar daran, dass unsere Entscheidungen stets wirtschaftlich abbildbar und rechts- und sanktionskonform sind. Es ist eine Frage der Rahmenbedingungen.
Sollte Österreich fracken?
Wir müssen in Europa und in Österreich an Pragmatismus zulegen. Die Realität ist, dass wir konventionell den größten Gasfund in Österreich seit 40 Jahren gemacht haben. Das Gasfeld Wittau Tief wird nächstes Jahr in Produktion gehen. Aber das kommt mit einer Verzögerung von eineinhalb Jahren, weil wir eine 12 Kilometer lange Pipeline bauen müssen, damit wir das ins Netz einspeisen können. Und das Genehmigungsverfahren dauert. Wir brauchen uns über solche neuen Technologien meiner Meinung nach nicht zu unterhalten, wenn die Umsetzung etablierter Projekte nicht pragmatisch gehandhabt wird.
Sie klingen manchmal so, als würden Sie Europa von außen anschauen. Ist das ein Zeichen für Ihre Zukunft nach der OMV im August 2026?
Nein. Das interpretieren Sie falsch. Aber wir beschäftigen uns in Europa zu viel mit uns selbst und verlieren den Blick aufs Ganze. Wer glaubt, dass Europa so im internationalen Wettbewerb bestehen kann, liegt schwer daneben. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft wieder stärken. Das funktioniert nicht, indem wir über Nebenschauplätze diskutieren und Analysen in Auftrag geben, aber nichts davon umsetzen. Das ist ein interner Blick, weil ich um die Deindustrialisierung Europas fürchte. Das würde zu einem massiven Wohlstandsverlust führen. Die Staatsquote hat überall stark zugenommen. Staatsausgaben sind aber Kosten. Nur die Wirtschaft kann etwas erwirtschaften – und die steht im Wettbewerb und benötigt entsprechende Rahmenbedingungen.
Salzburger Nachrichten



