„Ein Aufweichen der EU-Klimaziele wäre ein Desaster“

21. November 2025, Potsdam

Damit die EU die eigenen Vorgaben erreicht, müsse nachgebessert werden, sagt Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des EU-Klimabeirats

Ottmar Edenhofer ist Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie Vorsitzender des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel. Dieses Gremium berät die EU-Politik bei ihrer Entscheidungsfindung. Im OÖNachrichten-Interview spricht er darüber, was die Verwässerung der EU-Klimaziele zur Folge hätte, warum er als Berater trotz allem noch nicht verzweifelt ist.


OÖNachrichten:
Fühlen Sie sich als Wissenschafter von der Politik noch ernst genommen?
Ottmar Edenhofer:
Das Risiko, dass wir beim Ziel der Klimaneutralität bis 2050 scheitern, ist größer geworden. Aber es ist noch möglich, es zu erreichen. Den internationalen Emissionszertifikaten stehen wir skeptisch gegenüber. Auch wenn wir gerne einen weniger risikoreichen Pfad gesehen hätten, müssen wir als wissenschaftliches Beratungsgremium damit leben, dass in der Politik Kompromisse gemacht werden. Ohne unsere Empfehlung wäre womöglich weniger beschlossen worden.
Sie haben nach der EU-Wahl 2024 von einem „entscheidenden Moment für die Entscheidungsträger“ gesprochen. So wie sich die Klimapolitik nun entwickelt: Versagen die gerade?
Wenn es zu einem Dammbruch kommt, dass ständig neu aufgeweicht wird, dann wäre das ein Desaster. Europa steht gewaltig unter Druck. Durch die Zollpolitik in den USA, durch billige Produkte aus China wegen der dortigen Überkapazitäten. Die EU ist auch im Green-Tech-Bereich bei grünem Stahl, grüner Chemie und Elektroautos gegenüber China zurückgefallen. Das ist schon dramatisch. Die Klimapolitik wird im Augenblick verantwortlich gemacht für die mangelnde strategische Prioritätensetzung in der Industriepolitik. Das ist absurd. Wir brauchen beides: eine verlässliche Klimapolitik und eine Industriepolitik, die den geopolitischen Gegebenheiten Rechnung trägt.

Was ist dafür nötig?
Es braucht vernünftige Standortbedingungen. Und dazu gehört auch, dass die Politik ihre Zusagen einhält. Wir haben nicht den benötigten Wasserstoff zur Verfügung zu dem Preis, den die Industrie bräuchte. Auch fehlt dafür die Infrastruktur. Auch für die Abscheidung und Einlagerung von CO2 im Boden fehlen die Voraussetzungen – aber Chemie- und Zementindustrie sind darauf angewiesen. Die Politik hat gekniffen. Man darf jetzt nicht den Fehler machen, die Klimapolitik zum Sündenbock für eine verfehlte strategische Ausrichtung der Industrie- und Wirtschaftspolitik zu machen. Die Politik darf nicht die Ziele ständig neu zur Disposition stellen. Das wäre ein sehr gefährlicher Weg in Europa. Dann würde kein Mensch mehr investieren.

Warum steht die Klimapolitik derart unter Beschuss?
Sie ist in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus ein Kulturkampfthema geworden. Und gerade konservative Parteien rechts der Mitte haben große Schwierigkeiten, Klimapolitik als das zu sehen, was sie wirklich ist, nämlich Risiko- und Daseinsvorsorge, Sicherung des langfristigen Wohlstands. Das hat sehr viel mehr mit kritischer Infrastruktur zu tun als mit Kulturkampf. Es ist schon eine gewisse Tragik, dass das gar nicht richtig erkannt wird, auch die Synergien zur Geopolitik und zur Wettbewerbsfähigkeit. Es wird das Gefühl erzeugt, Klimapolitik sei ein grünes Luxusthema. Dass es in Wahrheit um fundamentale Risikovorsorge geht, ist manchen Politikern nicht klar.

Sie beraten hochrangige Politikerinnen und Politiker – verzweifeln Sie da manchmal?
Nein, den Gefallen tue ich niemandem. Es gibt auch keinen Grund dafür. Ich bin jetzt 25 Jahre lang im Geschäft und habe viele Zyklen erlebt. Es ist nicht das erste Mal, dass mir Leute gesagt haben, dass das Klimathema tot ist. Wir sind im Augenblick in einer sehr schwierigen Situation, keine Frage. Es braucht eine fundamentale Unterscheidung, was Fakten sind, was wissenschaftlicher Konsens ist und wo es Risiken gibt. Die Unsicherheit der Auswirkungen eines nicht begrenzten Klimawandels ist jedenfalls ein Grund zum Handeln. Denn es besteht die Gefahr, dass wir sie nicht handhaben können.

Welchen Einfluss hat der radikale Kurswechsel der USA unter Präsident Trump?
Die USA müssen wieder an Bord, weil sonst eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oder zwei Grad nicht erreichbar ist. Das Machtvakuum, das die USA hinterlassen, wird gefüllt werden. Viele nehmen China als entscheidenden Spieler wahr. Das Land ist ein schwieriger Partner in dem Geschäft. Es baut zwar bei den Erneuerbaren gigantisch aus, setzt aber trotzdem wie verrückt auf Kohle. Europa muss lernen, mit China zu kooperieren, aber auch Konflikte einzugehen. Es geht alles sehr langsam. Die 1,5-Grad-Grenze werden wir überschreiten. Da habe ich überhaupt keine Zweifel.

Die Zwei-Grad-Marke auch?
Das hoffe ich nicht. Wenn das Überschießen darunter begrenzt wird, könnte mit Technologien für den Entzug von CO2 aus der Atmosphäre die Temperaturkurve wieder zurückgebogen werden. Dafür werden wir netto negative Emissionen brauchen. Es ist eine dringende Notwendigkeit, das jetzt mit Investitionen hochzuskalieren. Auch für den Fall, dass bei einem Überschießen die Folgekosten der Klimaschäden vielleicht sehr viel höher sind, als wir sie heute annehmen.
Derzeit läuft noch die Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien. Kann die COP Fortschritte bringen?
Ich hoffe es, aber niemand erwartet einen Durchbruch. Die Konferenz muss zu einer Plattform weiterentwickelt werden, auf der viele Initiativen beschlossen werden, die nicht den Konsens aller 195 Staaten brauchen. Kleine Koalitionen können sinnvolle Dinge vorantreiben, so wie es jetzt mit der Finanzierungsfazilität für den Waldschutz der Fall war. Dafür ist die COP geeignet, weil dort viele Leute sitzen, die alle möglichen Lösungen anbieten, wie bei einer Messe von Klimaschutzprojekten. Das könnte man strategisch nutzen. Wenn wir zum Beispiel eine Koalition hätten von Ländern, die den Kohleausstieg im globalen Süden finanzieren, wäre das ein konkreter, belastbarer Schritt.
Mehr dazu, warum Edenhofer internationale Emissionszertifikate für fragwürdig hält, lesen Sie auf nachrichten.at/aussenpolitik
„Es wird das Gefühl erzeugt, Klimapolitik sei ein grünes Luxusthema. Dass es in Wahrheit um fundamentale Risikovorsorge geht, ist manchen Politikern nicht klar.“


Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

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