Geothermie. Warme Quellen 3000 Meter unter der Erde und ein bereits ausgebautes Fernwärmenetz an der Oberfläche: Wien erweist sich als guter Boden, um die Stärken von Tiefengeothermie vorzuexerzieren. Mit der könnten rund 200.000 Wiener Haushalte künftig klimaneutral heizen.
Wer in Zeiten der allseits geforderten Energiewende die Geothermie ins Spiel bringt, hat gute Argumente. Genutzt wird die natürliche Wärme aus dem Erdinneren. Anders als Sonne oder Wind steht die regionale und klimafreundliche Energiequelle rund um die Uhr und wetterunabhängig zur Verfügung. Geothermie ist nach menschlichem Ermessen eine unerschöpfliche Wärmequelle und eignet sich somit als zentrale Säule für eine nachhaltige Energiezukunft.
Eine Frage der Tiefe
Unterschieden wird zwischen oberflächennaher und Tiefengeothermie, je nach Tiefe und technischer Umsetzung. Typische Anwendungsformen der oberflächennahen Geothermie sind Erdwärmesonden und Erdkollektoren, der Öffentlichkeit weniger bekannt ist die Tiefengeothermie, bei der Wärmequellen in mehreren tausend Metern Tiefe erschlossen werden. Hier wird bei der petrothermalen Geothermie Wasser in heißes, trockenes Gestein gepresst, um künstlich ein Wärmetauschersystem zu schaffen. Die hydrothermale Geothermie nutzt hingegen das natürliche Wasservorkommen im Untergrund: Thermalwasser wird direkt gefördert, die Wärme an der Oberfläche genutzt und nach Nutzung wieder zurückgeführt.
„Für das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, ist Tiefengeothermie eine wichtige Technologie”, sagt der stellvertretende Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, Roman Fuchs. Dass die Bundeshauptstadt dafür ein guter Boden ist, wurde im Rahmen des Projekts GeoTiefWien von Wien Energie und Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft von 2016 bis 2022 erforscht.
Die Erkenntnis: In 3000 Metern Tiefe unter Wien befindet sich ein bedeutendes Thermalwasservorkommen, das sogenannte Aderklaaer Konglomerat. Auf Basis der Forschungsarbeiten präsentierte Wien Energie im November 2022 die Vorhaben für die Umsetzung der ersten Tiefengeothermie-Anlage für Wien.
Für die Realisierung dieses Projekts haben Wien Energie und OMV dann das Joint Venture deeep gegründet, um Fernwärme aus Tiefengeothermie mit einer Leistung von bis zu 200 Megawatt zu entwickeln. „Mit dieser innovativen Technologie senken wir CO2-Emissionen. Wir greifen dabei auf unsere jahrzehntelange Erfahrung im Explorations- und Bohrgeschäft zurück”, so OMV-Vorstandsvorsitzender Alfred Stern dazu im September des Vorjahres in einer Presseaussendung. Die Bohrungen für die erste Pilotanlage im Industriegebiet im südöstlichen Bereich der Seestadt Aspern starteten noch 2024. Bis 2028 sollen etwa 20.000 Haushalte mit Wärme versorgt werden.
Langfristig könnten rund 200.000 Wiener Haushalte mit klimaneutraler Fernwärme heizen. Für dieses Ziel, das im Laufe der 2030er-Jahre erreicht werden soll, planen Wien Energie und OMV die Errichtung von sieben Tiefengeothermie-Anlagen in Simmering und Donaustadt. „Wien ist nicht nur ein geeigneter Platz, weil es die warme Quelle unter der Erde gibt, sondern weil wir auch ein gut ausgebautes Fernwärmenetz an der Erdoberfläche haben”, erklärt Michael Strebl, Vorsitzender der Geschäftsführung von Wien Energie. Es sei wichtig, das zu nutzen, und laut Strebl „einfacher, die Fernwärme zu dekarbonisieren, als es bei anderen Heizungsformen der Fall ist“.
Weltweite Potenziale
Dass die Geothermie trotz ihrer bisher vernachlässigbaren Rolle – weltweit deckt sie nicht einmal ein Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs ab – über ein gewaltiges Potenzial sowohl bei der Wärme als auch bei der Stromerzeugung verfügt, geht aus einem Ende 2024 veröffentlichten Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA; The Future of Geothermal Energy) hervor. So schätzt die IEA, dass bis 2035 die Stromerzeugung aus der Geothermie die günstigste flexibel einsetzbare Form der Stromerzeugung ist, noch vor Wasserkraft oder Erdgas in Kombination mit Carbon Capture and Storage (CCS).
Von Christian Lenoble
Die Presse





