Kleine Gewässer, große Wirkung

24. November 2025

Hydroenergie. Kleinwasser-kraftwerke sind eine Branche mit Potenzial. Ein Blick auf die Strategien, Rahmenbedingungen und Herausforderungen.


Das Ausleitungskraftwerk Ritzing an der Lavant bei Wolfsberg ist ein Auslaufmodell. Ein Familienbetrieb aus Niederösterreich, der es vor Jahren gekauft hat, stellte bei der Vorbereitung für den Bau von Fischaufstiegshilfen und Sanierungsarbeiten fest, dass ein Neubau die wirtschaftlichste Lösung ist. Im April 2025 reichte die Firma Kittel Mühle Wasserkraft ein doppelt so großes Kraftwerksprojekt wie das bestehende ein.

Geplant ist laut Geschäftsführer Hannes Taubinger „eine Investition von mehreren Millionen Euro”. Der Neubau, der ab 2026 angegangen werden könnte, umfasst mehrere Ziele: „Zum einen soll die jährliche Stromproduktion um 50 Prozent erhöht werden. Derzeit versorgen wir 300 Haushalte mit Wasserkraftenergie, ab 2027 werden wir Strom für 600 Haushalte liefern”, sagt Projektleiter Thomas Buchsbaum-Regner. Zum anderen wird der Fokus auf Hochwasserschutz gelegt. „In einem 800 Meter langen Flussbereich, von den Mündungen Auenbach bis zum Schudelbach, besteht derzeit kein Schutz. Der geplante Bau soll künftig vor einem hundertjährlichen Hochwasserereignis schützen”, so Wolfsbergs Bürgermeister Alexander Radl. Zudem wird eine Fischaufstiegshilfe realisiert, die den Fischen die Überwindung des Kraftwerks ermöglicht. Das Projekt in Ritzing steht beispielhaft für eine Reihe von aktuellen Kleinwasserkraftprojekten in Österreich, die sich auf die Revitalisierung bestehender Anlagen oder den Aus- und Neubau konzentrieren.

1,7 Millionen Haushalte
Kleinwasserkraft bezeichnet die Nutzung von Wasserkraft in dezentralen Kraftwerken mit einer Leistung von bis zu zehn Megawatt (MW). Den Kraftwerken, die kinetische Energie des Wassers in elektrische Energie umwandeln, kommt in einem Land, das viele fließende Gewässer aufweist, eine erhebliche Bedeutung in Sachen regionaler Energieautarkie und Netzstabilität zu. „Derzeit speisen mehr als 4000 Kleinwasserkraftwerke ca. 6,5 Terawattstunden CO2-freien Ökostrom in das öffentliche Versorgungsnetz ein. Sie decken damit mehr als zehn Prozent des österreichischen Strombedarfs und versorgen rund 1,7 Milionen Haushalte – also mehr als 50 Prozent der Haushalte in Österreich – mit elektrischer Energie”, rechnet Paul Ablinger, Geschäftsführer der Interessensvertretung Kleinwasserkraft Österreich, vor. Kleinwasserkraft, so Ablinger, habe zum einen einen hohen Stellenwert für die Versorgungssicherheit durch dezentrale Energieversorgung. Und zum anderen für die Regionalwirtschaft durch die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen beim Bau, bei der Erweiterung und der Revitalisierung von Anlagen. Bis 2030 könnte laut dem Interessensverband die Produktion unter entsprechenden Rahmenbedingungen um rund drei Terawattstunden gesteigert werden. Mit manchen grundsätzlichen, sich gerade neu formierenden Rahmenbedingungen ist man in der Branche allerdings alles andere als zufrieden.

Die Rede ist etwa vom aktuellen Entwurf des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (EIWG), der Netzentgelte für Strom-Einspeiser vorsieht. Die Gebühren würden nur für österreichische Erzeugungsanlagen Anwendung finden – Importstrom wäre davon nicht betroffen. Befürchtet wird seitens der Vertreter der erneuerbaren Energiewirtschaft wie jenen der Wasserkraft ein deutlicher Wettbewerbsnachteil.


Österreich-Aufschlag?
Die Argumentation: Wenn heimische Erzeuger zusätzlich belastet werden, wird der Ausbau stagnieren, der Energiebedarf jedoch weiterhin steigen, ebenso wie die Abhängigkeit von Importen. Anstatt in Österreich in den Ausbau der Netze und Erneuerbaren zu investieren, würden Milliardenbeträge in das Ausland abfließen. Dieser „Österreich-Aufschlag für Strom” gehe zulasten der privaten Endverbraucher und vor allem der Wirtschaft. „Für die Kleinwasserkraft bedeutet der Entwurf maximale Planungsunsicherheit. Jenen, die den Netzausbau ohnehin schon finanzieren, drohen zusätzliche Belastungen. Netzdienliche, kostenreduzierende Leistungen von Betreibern wurden zudem seit Jahrzehnten nicht abgegolten“, kritisiert Ablinger und verweist auf Studien, die Netzkostenersparnisse von fast einer Milliarde Euro durch die Kleinwasserkraft nahelegen.

Leidtragenden der Netzgebühren wären laut Ablinger die gesamte Erneuerbaren-Branche und insbesondere Betreiber kleinerer und mittlerer Anlagen: „Ökologische Verbesserungen, Investitionen in Revitalisierungen und Neuanlagen werden mit den geplanten Netznutzungsentgelten und den damit verbunden Unsicherheiten zusätzlich erschwert und verteuert.” Ist von Rahmenbedingungen für die Wasserkraft die Rede, muss auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie angesprochen werden. Die EU gibt den Mitgliedsstaaten damit vor, die Gewässer in Europa bis spätestens 2027 in einen „guten ökologischen Zustand“ zu bringen. Eines der Kriterien für den guten Zustand von Flüssen ist, dass sie für alle Lebewesen durchgängig sind. Die dazu nötigen Maßnahmen bedrohen jedoch manchen Kleinwasserkraftwerkbetreiber in seiner Existenz. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Wasserwirtschaft sind die finanziellen Auswirkungen für die Energiewirtschaft zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Gewässer durch die Errichtung von Fischaufstiegen und die Anbindung von Nebengewässern beträchtlich.

Technologie meets Ökologie
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, setzt die Branche auch auf die Verknüpfung digitaler Technologien und ökologischer Verantwortung. Ein Beispiel ist das Forschungsprojekt KliWaSim (Simulation zur Klimaanpassung und wirtschaftlichen Entwicklung von Kleinwasserkraftwerken), das vom Klima- und Energiefonds gefördert wird. „Im Projekt werden Prognosemodelle entwickelt, die auf Klimaszenarien, hydrologischen Modellen sowie Machine-Learning-Methoden beruhen. Die Modelle erlauben Aussagen darüber, wie sich die Folgen des Klimawandels auf die künftige Energieausbeute einzelner Kleinwasserkraftwerke auswirken”, erklärt Bernward Asprion von der Forschungsgruppe Data Intelligence am Institut für IT Sicherheitsforschung der USTP in St. Pölten.

Von Christian Lenoble

Die Presse