KI basiert auf einer alten Technologie: Strom. Die Stromnetze laufen unter Volllast, die Gefahr einer Energiekrise steigt.
Im April 2025 kam es in Spanien und Portugal zu einem großflächigen Stromausfall: Aufzüge blieben stecken, Züge und Ampeln fielen aus, Kassensysteme streikten. Nichts ging mehr. Auch die Kommunikation per Handy funktionierte nicht mehr. In Krankenhäusern mussten Notstromgeneratoren aktiviert werden, um lebensnotwendige Operationen durchzuführen, die dunklen U-Bahn-Schächte, in denen Passagiere feststeckten, mit Smartphone-Taschenlampen ausgeleuchtet werden – solang der Akku hielt. Statt mit Google Maps suchten Fußgänger auf Papierkarten nach dem Weg, in einer Kleinstadt regelte ein Bürger den Verkehr mit einem Baguette. In der Not muss man auf analoge Gegenstände zurückgreifen.
Der Blackout macht deutlich, wie abhängig die moderne Welt von Elektrizität ist: Ohne Strom kein Internet, kein Smartphone, keine Kreditkarte. Und auch keine KI. Ohne Elektronen wären weder Google noch ChatGPT auskunftsfähig. Es heißt ja immer, KI sei der neue Strom. Doch die Analogie ist schief – und verkennt, dass KI keine Transportform von Energie ist, sondern ein Datenverarbeitungssystem, das selbst Strom benötigt. Und zwar sehr viel. Allein das Training von GPT-3 verbrauchte 1287 Megawattstunden Strom – das entspricht dem Verbrauch von 120US-Haushalten in einem Jahr. Das leistungsstärkere Nachfolgemodell GPT-4 soll sogar rund 50Gigawattstunden verschlungen haben. Auch der Betrieb ist äußerst energieintensiv: Jede Anfrage an ChatGPT verbraucht nach Angaben des Electric Power Research Institute (EPRI) rund 2,9Wattstunden Energie, rund zehnmal mehr als eine Google-Suche. Selbst die schlaueste KI kann die physikalischen Gesetze nicht außer Kraft setzen.
48 Pariser Disneylands
Der Energiehunger der KI ist gewaltig: Allein Microsoft, auf dessen Servern ChatGPT läuft, verbraucht pro Jahr 23 Terawattstunden – genug, um 48 Disneylands Paris ein ganzes Jahr lang mit Strom zu versorgen. Tech-Konzerne wie Microsoft, Meta und Google klotzen ein Rechenzentrum nach dem anderen in die Landschaft, um ihre KI-Systeme am Laufen zu halten. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) machen Rechenzentren bereits 1,5 Prozent des globalen Strombedarfs aus.
Die Kraftwerke laufen schon jetzt unter Volllast. Neben Rechenzentren ziehen nämlich auch Krypto-Miner, die mit Hochleistungsrechnern komplizierte mathematische Rätsel lösen, am US-Stromnetz. Die Verbraucher spüren die gestiegene Nachfrage auf ihren Stromrechnungen. Und sind frustriert. Um den immensen Strombedarf zu decken, will Microsoft den stillgelegten Atommeiler Three Mile Island bei Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania reaktivieren. Die digitale Welt, die der Tech-Vordenker Nicholas Negroponte in seinem Buch „Being Digital“ (1995) im Übergang vom „Atom zum Bit“ sah, kehrt zum Atom zurück.
Allein der Energiehunger ist noch längst nicht gestillt: Schätzungen zufolge könnten Serverfarmen bis 2030 in den USA für bis zu zwölf Prozent des Strombedarfs verantwortlich sein. Das Problem: Die Infrastruktur ist darauf nicht ausgelegt. Die USA haben drei verschiedene Stromnetze, die weitgehend autark sind: Western Interconnection, Eastern Interconnection sowie die Texas Interconnection. Diese Netze, deren Aufbau in den 1880er-Jahren begann, spiegeln weitgehend die wirtschaftliche Struktur der Old Economy.
Damals legte man Hochspannungsleitungen von der Peripherie in die industriellen Zentren. Nur: In zahlreichen Stahl- und Autowerken, die damals ans Netz genommen wurden, sind mittlerweile die Lichter ausgegangen. Und dort, wo die Rechenzentren entstehen und die Energie gebraucht wird, nämlich in den ländlichen Gegenden von Iowa, Texas und Virginia, fehlt es an Stromkapazitäten. Experten warnen daher vor Engpässen und einer drohenden Energiekrise – die Gefahr von lokalen Blackouts steigt extrem.
Woher soll der Strom kommen?
US-Cloud-Anbieter gehen daher dazu über, eigene Gaskraftwerke neben ihren Rechenzentren zu errichten, um verlässliche Energiequellen zu haben – und das lokale Stromnetz zu umgehen. Sogar die Stromreserven von alten Dieselgeneratoren der Einzelhandelskette Walmart, die als Back-up für den laufenden Betrieb dienen, sollen angezapft werden, um den Energiehunger der KI zu stillen. Fossile Brennstoffe feiern ein Revival. Eine Rolle rückwärts. „Die Dampfmaschinen des Geistes“, wie IBM-Präsident Thomas Watson seine Computer einst nannte, haben einen rußenden Schornstein.
Das Revolutionäre an der Dampfmaschine und später auch der Elektrizität war einst, dass sie eine ortsunabhängige Produktion ermöglichten: Man musste nicht mehr an Flussläufen produzieren, wo vor der industriellen Revolution Wassermühlen Getreide mahlten und Wasserräder Schmiedehämmer antrieben, sondern konnte die Maschinen überall aufstellen. Damit einher ging eine andere Raumnutzung: Eisenbahnen erschlossen die Fläche, Städte wuchsen dank der Aufzüge in die Höhe. Die technische Infrastruktur – Strom-, Eisenbahn- und Telegrafennetze – konnte parallel ausgebaut werden. Schritt für Schritt. Doch jetzt rast mit künstlicher Intelligenz eine Technologie mit Wucht auf eine alternde, in Teilen marode Infrastruktur zu, die auf eine ökologische Transformation ausgerichtet werden muss. Autos, Züge, Stahlproduktion, Digitalwährungen – nach dem Willen der Politik soll alles elektrifiziert werden. Nur: Woher soll der Strom kommen?
Serverfarmen im All?
In China, wo die Landbevölkerung bis in die 1970er-Jahre noch nicht vollständig mit Strom versorgt war, kann die Stromproduktion besser an die Bedarfe der Industrie angepasst werden – der planwirtschaftliche Netzausbau geht Hand in Hand mit der Ansiedlung von KI-Firmen. Die Häuserdächer auf dem Land sind gepflastert mit Solarpanels, und wenn die Strommenge aus grüner Energie nicht reicht, zieht die Provinzregierung schnell ein Kohlekraftwerk hoch. Widersprüchlichkeiten sind der Preis des Fortschritts. Wo in den USA die Netze unter der Last der Rechenzentren zu kollabieren drohen, gibt es im Reich der Mitte Stromüberkapazitäten. Ein Standortvorteil, der im KI-Wettrennen entscheidend sein könnte.
Dass die Technologieführerschaft mit der Energiefrage steht und fällt, haben sie auch in den USA erkannt. Die Tech-Bosse denken daher in größeren Dimensionen. So hat Amazon-Gründer Jeff Bezos jüngst die kühne Vision verkündet, innerhalb der nächsten zehn bis 20Jahre solarbetriebene Rechenzentren im Weltall zu errichten. „Diese riesigen Trainingscluster – die wird man besser im Weltraum bauen, weil wir dort rund um die Uhr Solarenergie haben“, sagte er jüngst auf einer Konferenz. „Es gibt (dort) keine Wolken, keinen Regen, kein Wetter.“
Ob es im Weltraum zwischen Abertausenden Satelliten, die Bezos und sein Rivale Elon Musk in die Umlaufbahn schießen, noch Platz für Serverfarmen gibt, darf allerdings bezweifelt werden.
Reaktionen senden Sie bitte an: debatte@diepresse.comMehr zu den einzelnen Quellen finden Sie in der Onlineversion dieses Gastkommentars.
Von Adrian Lobe
Die Presse





