Regierung „liefert“ 107. Beschluss

18. Dezember 2025, Wien

In der Sondersitzung wurde eine Abgabensenkung auf Elektrizität ab 1. Jänner fixiert – mit möglichen Konsequenzen für das Budgetdefizit.

Seit ihrem Amtsantritt im März 2025 hat die Bundesregierung im Schnitt jeden dritten Tag einen Beschluss gefasst: Für die Senkung der Elektrizitätsabgabe, die neben dem neuen „Billigstromgesetz“ dazu führen soll, dass die Strom- und Energiekosten in Österreich nachhaltig sinken, trat der Nationalrat am Dienstag für eine Sondersitzung zusammen. Es wird ihr insgesamt 107. Gesetzesentscheid sein.


Jener am Dienstag, ebenfalls mit den Stimmen der Grünen, sieht vor, die Elektrizitätsabgabe ab 1. Jänner für Unternehmen von derzeit 1,5 Cent je Kilowattstunde (kWh) auf 0,82 Cent zu senken, für Private gar auf 0,1 Cent je kWh. Die Maßnahme soll bis Ende 2026 gelten. Die E-Wirtschaft geht davon aus, dass allein dadurch die privaten Kosten um rund fünf Prozent sinken werden. Bei einem durchschnittlichen österreichischen Haushalt (3500 kWh Jahresverbrauch) sind das rund 60 Euro. Allerdings sind die Strompreise aktuell etwa 70 Prozent höher als im Jahr 2019, während die Gesamtinflation seitdem etwa 30 Prozent betrug. Die Inflationsrate wird dadurch voraussichtlich um lediglich 0,1 Prozentpunkte gesenkt.


Allerdings ist die Frage der Gegenfinazierung nach wie vor offen. 515 Mio. Euro soll das kosten, nach aktuellen Zahlen aus Koalitionskreisen. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) versprach, dass die Mittel „budgetneutral“ sein würden und aus Sonderdividenden der Öbag-Beteiligungen kommen. Der Budgetdienst des Parlaments stellt das jedoch infrage: Dadurch werde sich das „Maastricht-Defizit erhöhen“, schreibt dieser in seiner Analyse zum Gesetzesantrag. Auch die Nettoausgaben erhöhten sich, weil die Einnahmenausfälle durch die Abgabensenkungen „wie Mehrausgaben behandelt werden“. Die höheren Dividenden könnten „voraussichtlich nicht gegengerechnet werden“.


Zur „Presse“ heißt es aus Koalitionskreisen, dass man dazu „in engem Austausch mit der EU-Kommission“ sei. Man gehe davon aus, dass es keinen Einfluss auf das Defizitverfahren haben werde. Im Kanzleramt heißt es zur „Presse“ lediglich: „Ja, es ist budgetneutral. Es gibt keine signifikanten Auswirkungen auf den Nettoausgabenpfad.“


Noch bevor die Regierungsspitze im Parlament dazu am Dienstag Stellung bezog, trat FPÖ-Klubchef Herbert Kickl an das Rednerpult – und lieferte einen verbalen Frontalangriff: Mit der Senkung gebe Stocker zwar den „Polit-Weihnachtsmann“, lege damit aber eine „Mogelpackung“ unter den Christbaum der Nation, sie bringe lediglich vier Euro Ersparnis pro Haushalt und Monat. Das „Billigstromgesetz“ sei ein „Placebo statt eines Befreiungsschlags“. „Ich würde mich genieren an Ihrer Stelle. Das beste Geschenk wäre Ihr Rücktritt“, sagte Kickl zu Stocker.


Laute Zwischenrufe in den Regierungsklubs folgten. Stocker replizierte entsprechend: „Sie sind grundsätzlich dagegen. Weil immer, wenn Sie für etwas sind, ist es blamabel und peinlich“. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), für den das Energiereformpaket ein zentrales Prestigeprojekt ist, und Neos-Klubobmann Yannick Shetty verwiesen hernach auf entsprechende Forderungen Kickls in der letzten Nationalratssitzung: So habe er noch vor wenigen Tagen selbst gefordert, die Elektrizitätsabgabe zu senken. „Das ist eine Politposse der Sonderklasse, ein Witz ohne Pointe von der freiheitlichen Partei“, meinte Hattmannsdorfer. „Wir machen heute, was Sie vor einer Woche hier gefordert haben. Und Sie fordern heute Neuwahlen. Wie man es dreht und wendet, Sie sind dagegen.“ Mit Verweis auf Kickls Weihnachtsmann und Christkind-Sager, meinte der Minister zur FPÖ: „Ihr seid definitiv heute der Weihnachtsgrinch.“


Merit Order bald „out of order“?


Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) ging wie Stocker zuvor auf einen weiteren Aspekt ein, der die Stromkosten in Zukunft senken solle: Man habe sich schriftlich am Dienstag als Bundesregierung an die EU-Kommission gewandt, die „unsägliche Merit Order“ zu reformieren. Die Beschlüsse auf nationaler Ebene seien nur ein Teil der Lösung. „Wir werden uns damit nicht zufriedengeben“, meinte der SPÖ-Chef. Derzeit sei man immer noch abhängig von einer Strombörse, die fossile Energiequellen bestimmten, führte Stocker ins Treffen. Das zu „durchbrechen“, sei der Anspruch.
Der Kanzler verwies auf einen Industriestrombonus von 150. Mio Euro für die energieintensive Industrie, von der 45 Betriebe mit 50.000 Arbeitnehmern profitierten. Sie müssen 80 Prozent dieser Förderung wieder investieren. Zwar sei die Abgabensenkung nur ein „Einmaleffekt“, aber gebe er eben mehr Zeit, die Preisbildung langfristig zu reformieren. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) betonte eingangs wiederum die „Fehler der Vergangenheit“ der letzten Bundesregierung, die es verabsäumt habe, Lohnnebenkosten zu dämpfen und moderate Lohnabschlüsse zu erreichen. Die „höchsten Lohnkosten in Europa“ schädigten die österreichische Industrie. Das jetzige Energiepaket schaffe dafür mehr Transparenz und „mehr Wettbewerb“, denn nur dieser garantiere günstigere Preise.

von Julia Wenzel

Die Presse