Mit jedem Windrad und jedem PV-Modul wächst der Bedarf an Stromspeichern. Zu den bewährten Speicher- und Pumpspeicherkraftwerken im Westen Österreichs rücken nun Großbatteriespeicher im Osten ins Blickfeld. Verbund sieht für beide Technologien zukunftsfähige neue Geschäftsfelder am Horizont.
Man hätte es eigentlich wissen können. Und ehrlich gesagt: Man hat es gewusst. Seit Jahren predigen E-Wirtschaft, Wissenschaft und andere professionelle Skeptiker, dass Windräder und PV-Module zwar Ökostrom liefern, zumindest wenn Wind weht oder die Sonne scheint, aber ohne Speicher langfristig ungefähr so einsatzfähig sind wie Heu ohne Scheune oder Kameras ohne SD Card. Doch Österreich baute munter drauflos: Windparks von Norden bis Osten, PV-Anlagen Richtung Süden, Pressekonferenzen dazwischen. Das grüne Hochgefühl war groß, die Speicherfrage klein und weit weg.
Jetzt ist sie da und lässt sich nicht mehr ignorieren. Denn mit jedem Windrad und jedem Quadratmeter PV wächst der Druck, mit den neuen, volatil erzeugten Strommengen auch effizient umzugehen. Und wie es so ist: Verdrängte Wahrheiten kommen meistens zu einem Zeitpunkt zurück, an dem man sie am wenigsten brauchen kann. Jetzt muss alles auf einmal passieren: Netze ausbauen, Speicher installieren, neue Stromgesetze beschließen, Geschäftsmodelle retten und nebenbei Strompreise stabil halten. Verbundchef Michael Strugl: „Stromspeicher sind das Missing Link für die Energiewende. Wir verfügen über mehr als 75 Jahre Expertise, aber wir wissen, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nicht allein mit etablierten Technologien bewältigen werden.“
DIE SPEICHERLÜCKE. Tatsächlich sind Stromspeicher essenziell für das durch immer mehr Sonnen- und Windenergie weniger quantitativ als qualitativ massiv beeinflusste Stromversorgungssystem. Sie müssen Überschussstrom aufnehmen und gleichzeitig Mangellagen ausgleichen. Beides wird häufiger, weil Sonne und Wind den Strom nicht nach Bedarf liefern. Eine Studie im Auftrag von Verbund-Tochter und Übertragungsnetzbetreiber APG fand jüngst heraus, dass die zukünftige Speicherleistung von derzeit rund fünf auf 17 Gigawatt (GW) ausgebaut werden muss, wenn man die gesamte Energieversorgung in Österreich wie politisch vorgesehen bis zum Jahr 2040 elektrifizieren will. Florian Maringer, Sprecher der IG-Windkraft: „Der ambitionierte Ausbau der Erneuerbaren, des Netzes und der Speicherinfrastruktur ist die einzige Möglichkeit, in Österreich langfristig günstigen Strom zu haben.“
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen müssen die bewährten Pumpspeicher in den Bergen ausgebaut werden. Sie können Wasser hochpumpen und zur Stromproduktion bei Bedarf wieder durch Generatoren hinunterfließen lassen. In Summe betreibt Verbund bereits Speicherkraftwerke mit rund vier Gigawatt (GW) Turbinenleistung und 1,8 Terawattstunden (TWh) Speicherkapazität. Das entspricht dem jährlichen durchschnittlichen Jahresverbrauch von über 500.000 Haushalten. Im österreichisch-bayerischen Grenzgebiet wird eben der Energiespeicher Riedl mit 300 MW Leistung und bis zu 13 Stunden Volllast in Angriff genommen.
Doch das Ausbaupotenzial von Pumpspeichern ist trotz ihrer technischen Stärke begrenzt: Sie stoßen an politische, ökologische und topografische Grenzen, auch wenn oft nur Bestandsanlagen erweitert werden, um die bestehende Infrastruktur optimal zu nutzen, die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten und essenzielle Anlagenteile zur Minimierung ökologischer Eingriffe seit Jahrzehnten unter Tage errichtet werden.
BATTERIEN ALS GAMECHANGER. Laut APG-Studie dürfte sich jedenfalls die größte Steigerung bei chemischen Batteriespeichern ergeben. Am Markt haben sich Lithium-Ionen-Batterien als führende Technologie durchgesetzt – sie können sekundenschnell auf die jeweilige Situation im Stromnetz reagieren, sind flexibel einsetzbar, wirtschaftlich attraktiv, und dank der Skalierung etwa in der E-Mobilität technisch ausgereift.
Und der Boom scheint erst bevorzustehen, auch wenn sich in Europa ihre Kapazität zwischen 2020 und 2023 bereits verzehnfacht hat. In Deutschland liegen laut einer Umfrage des Energieverband BDEW aktuell Netzanschlussanträge für Großspeicher mit einer Gesamtleistung von über 720 GW vor. Auch wenn nur die Hälfte davon ernst gemeint ist (wie BDEW vermutet), wäre es etwa so viel wie die gesamte deutsche Kraftwerkskapazität überhaupt. Auch in Österreich rechnet die APG-Studie mit einer Steigerung der Batterieleistung von unter einem auf rund neun GW, zusätzlich zu den sieben GW Pumpspeichern.
Mittendrin Verbund, der auch da einiges an Know-how aufweisen kann. Man betreibt in Deutschland und Österreich bereits 15 Großbatterieanlagen mit 110 MW Leistung, weitere 300 MW sind in Planung. Zwei neue 92-MW-Projekte in Unterfranken, Deutschland, werden eben umgesetzt.
Gerade bei Batterielösungen ist die technologische Entwicklung noch lange nicht ausgereizt, weitere Innovationen sind zu erwarten. So entwickelt Verbund etwa mit dem niederländischen Start-up Aquabattery gemeinsam eine neuartige Säure-Base-Redox-Flow-Batterie, die Strom mithilfe von Salzwasser nachhaltig und vor allem langfristig speichern kann. Derartige Batterien kommen ohne schädliche Chemikalien oder seltene Erden aus, sind lange haltbar, haben kein Brandrisiko und sind einfach recyclebar.
Mit der TU Wien wiederum versucht Verbund, keramische Materialien für Batterien zu verwenden, sogenannte Sauerstoffionen-Batterien. Die Bewegung von Sauerstoffionen zwischen zwei Elektroden ist vollständig reversibel, was die Technologie besonders langlebig macht. Strugl: „Die Transformation des Energiesystems kann nicht ohne Innovation gelingen. Energiezukunft zu gestalten, bedeutet auch, neue Geschäftsideen und Technologien zu entwickeln.“
DAS DRITTE ELEMENT. Das gilt insbesondere für das dritte Element der zukünftigen Speicherlandschaft – grünen Wasserstoff. Denn während Batteriespeicher für das sekundenschnelle Management der Stromschwankungen zuständig sein werden, Pumpspeicher für die nötigen mittelfristigen Verschiebungen, braucht es auch ein Medium für den saisonalen Ausgleich der schwankenden Stromerzeugung, die vor allem im Sommer hohe Überschüsse aufweist, und im Winter ebenso große Lücken.
Bislang ist Wasserstoff die einzige halbwegs ausgereifte Technologie, um diese Lücke zu schließen: Mit dem Überschussstrom im Sommer können sogenannte Elektrolyseure betrieben werden, die Wasserstoff erzeugen. Dieser lässt sich sicher lagern und Monate später wieder rückverstromen – oder auch in Gaskraftwerken zur Wärmegewinnung klimaneutral verbrennen.
Die Technologie ist zwar teuer, da sie relativ hohe Energieverluste aufweist: Im Vergleich zu herkömmlichen Pumpspeichern, wo zehn bis 20 Prozent verloren gehen, sind es bei Elektrolyseverfahren bis zu zwei Drittel. Dennoch bietet sie gemeinsam mit Biogas eine Möglichkeit, die drohenden Winterlücken in der Energieversorgung zu schließen.
Verbund will auch in diesem Bereich die gesamte Wertschöpfungskette abdecken: von der lokalen Produktion und dem Import von grünem Wasserstoff über dessen Transport und die Speicherung bis zur Dekarbonisierung energieintensiver Prozesse in Industrie, Transport, Raffinerien und bei Kraftwerken. Seit 2019 wird etwa im Projekt H2FUTURE mit dem internationalen Stahl- und Technologiekonzern voest alpine an der Praktikabilität der bisher eher theoretisch begründeten Potenziale gearbeitet.
KOMPLIZIERTER ALS KRAFTWERKE. Freilich stehen hinter der Entwicklung noch einige Fragezeichen, und nicht nur technische. Denn die Integration all der unterschiedlichen Speicher ist auch kommerziell und vom Marktdesign her nicht so trivial, sagt etwa auch Alfred Weinberger, Österreich-Chef des Energieprojektbetreibers Amarenco, der eben in Oberösterreich an neuen Projekten arbeitet: „Es wird einfach noch einige Zeit dauern, bis die Energiewirtschaft die Komplexität der neuen Speicherlandschaft so richtig umsetzen kann.“
Brancheninsider vermuten, dass sich die bisherige Arbeitsteilung in Österreichs E-Wirtschaft neu orientieren könnte. Bislang boten die Alpen im Westen die Speicher für den Überschussstrom aus dem Osten. Jetzt könnten die geplanten neuen chemischen Batterieparks im Osten zur Konkurrenz werden. Sie seien zwar gut fürs lokale Netz, aber könnten den Pumpspeichern in Kaprun, Kaunertal & Co. kurzfristige Stromüberschüsse wegnehmen.
Der Verbund sieht das anders: Für das Ziel einer gänzlich fossilfreien Wirtschaft werde der Bedarf an flexiblem Strommanagement so stark ansteigen, dass alle Speichermöglichkeiten gebraucht würden – zusätzlich zu denen der E-Wirtschaft auch jene von Haushalten und Industrie, heißt es dort.
Dabei könnten sich jedoch die Geschäftsmodelle ändern: Speicherbetreiber verdienen ihr Geld bisher in der Regel durch Arbitrage („Spread“) zwischen langfristig kalkulierbar billigem Überschussstrom (früher war das der Nachtstrom deutscher Atomkraftwerke, mittlerweile ist es Mittagsstrom aus PV-Anlagen) und teurem Abendstrom (wenn die Nachfrage steigt und Wind und Sonne auslassen). Doch genau diese Preisschwankungen sollen Speicher eigentlich verhindern, indem sie das Netz stabilisieren. Als neue starke Einnahmequelle wird sich dafür der Markt für kurzfristige Regelenergie erweisen.
Bei Netzbetreibern wiederum tauchen andere Fragen auf. Die APG etwa, deren Geschäftsmodell darauf basiert, dass möglichst viel Strom quer durch Österreich fließt, könnte zu neuen Kostenkalkulationen gezwungen werden, wenn plötzlich starke Batteriespeicher die Stromtransporte reduzieren. Das ist aus Sicht der Energiewende genial und für Kunden finanziell interessant – weniger überregionaler Ausbaubedarf heißt auch weniger Netztariferhöhungen.
Umgekehrt könnte das Business der lokalen Verteilnetzbetreiber durch zunehmende regionale Stromverschiebungen, von den Windparks zu benachbarten Großbatterien und weiter zu den Verbrauchern sogar profitieren.
Bis klar ist, wie sich alle diese Effekte wirklich auswirken, will die APG jedenfalls allzu große Verwerfungen im Stromnetz durch eine Vielzahl von Maßnahmen hintanhalten. Gerhard Christiner, Vorstandssprecher APG: „Wir sind angehalten, den Planungsprozess, der derzeit offensichtlich nicht ausgereift ist, zu überdenken. Wir müssen uns anschauen, wo die Windkraftzonen sind, die Photovoltaik-Zonen, und welche Netze wir dafür brauchen. Dann müssen wir schauen: Können wir Spitzen wegkappen oder mit Speichern und intelligenter Steuerung Wege finden, um das System effizienter zu machen?“
DIE NEUE SYSTEMDIENLICHKEIT. Die Aufrüstarbeiten sind jedenfalls voll im Gange. Alle Energieversorger schlagen sich mit großen Batterielösungen herum. Burgenland Energie etwa will 100 Millionen Euro in acht Batterieprojekte (160 MW) investieren, die EVN wiederum brachte eben in Trumau Großbatterien im MW-Bereich ans Netz und experimentiert mit Hybridspeichern (Theiß).
Und in Arnoldstein wurde jüngst mit 22 MW der bisher größte Batteriespeicher des privaten Betreibers NGen eröffnet.
Damit sich das alles ausgeht, sieht das neue Günstiger-Strom-Gesetz auch neue Regeln für Speicher vor, damit sie als förderungswürdig anerkannt werden. Der zentrale Begriff ist dabei jener der „Systemdienlichkeit“: Speicher, die tatsächlich die Stromflüsse in den Netzen reduzieren, sollen zur Sicherstellung ihrer Profitabilität teilweise von Einspeiseund Anschlussgebühren befreit werden.
Doch auch damit sind die Unsicherheiten nicht ausgeräumt. Denn wie diese „Systemdienlichkeit“ genau definiert wird, bleibt der Regulierungsbehörde E-Control überlassen. So wird das neue Speichergeschäft je nach Formulierung der Verordnungen entweder eine Goldgrube oder doch ein Stranded Asset, das Investoren schneller fallen lassen als ein abgebranntes Kohlekraftwerk.
Die Trends in der Energiebranche
1 STROMSPEICHER. Lange ignoriert, jetzt unausweichlich: Immer mehr Stromüberschüsse müssen für Mangelzeiten zwischengelagert werden, im großen und kleinen Rahmen.
2 STROMPREISDISKUSSION. Zunehmend schwerer für die E-Wirtschaft wird die Erklärung, warum sich der günstige Wind- und PV-Strom nicht stärker bemerkbar macht.
3 RAUS AUS GAS. Die EU hat nun ein verpflichtendes Aus für russische Gasimporte im Jahr 2027 beschlossen. Das hat Konsequenzen für Gasnetzbetreiber und Gaskunden.
4 SMARTE STROMNUTZUNG. Mit dem neuen ElWG erhoffen sich Grünstromfans einen Durchbruch für flexible Tarife und Einspeisemodelle.
5 VERBRENNER. Auch wenn die EU die Regeln zum Aus 2030 doch noch lockert, könnten chinesische Billigimporte die Marktstimmung zugunsten der Elektroautos kippen lassen.
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