Klimaneutralität und ihre Mythen

23. Juli 2021

Quelle: Die Presse, 17.07.2021 (S. 22)

Replik. Eine Mobilitätswende wird nicht ausreichen, um Klimaneutralität zu erreichen. Sie ist auch nicht die einzige Möglichkeit.

In seinem Gastkommentar kommt Prof. Gero Vogl am 6. Juli zu dem Schluss: „Es bleibt nur das (Energie-)Sparen“, wobei er insbesondere eine „Mobilitätswende“ als Lösung anführt. So sehr wir einige Aspekte seiner Analyse teilen, so wenig glauben wir, dass seine Schlussfolgerung der Notwendigkeit des Sparens als einzige Lösungsmöglichkeit zutreffend ist.

Vielmehr noch: Energiesparen in Form einer bloßen Mobilitätswende wird bei Weitem nicht ausreichen, um Klimaneutralität zu erreichen. Lediglich rund ein Drittel der Energie werden für Mobilität verwendet, hingegen stammen zwei Drittel heute aus fossilen Energieträgern. Somit wäre selbst bei einer vollkommen unrealistischen kompletten Stilllegung der motorisierten Mobilität die Klimawende noch lang nicht erreicht.

Es muss klar gesagt werden: Fossile, klimaschädliche und begrenzt verfügbare Energieträger waren und sind wesentliche Treiber der Entwicklung von Wirtschaft und Wohlstand. Ihre Substitution stellt die Gesellschaft vor eine Herausforderung von historischer Dimension. Wir sind überzeugt, dass der einzige Weg zur Lösung des Problems darin bestehen kann, sich von Mythen, zu schnell akzeptierten Annahmen oder gar ideologischen Positionen zu verabschieden und auf einen faktenbasierten, holistischen und strukturierten Problemlösungsansatz zu setzen.
Wir fokussieren uns in unserem Ansatz zunächst auf den Energieverbrauch als wesentliche Ursache der Treibhausgasemissionen. In unserem Modell haben wir den Energieverbrauch im Jahr 2040 unter Berücksichtigung von Wachstum, Energieeinsparungen durch Verhaltensänderungen einerseits und Erhöhung der Energieeffizienz andererseits sowie die steigenden Speicherverluste abgebildet und den Möglichkeiten zur grünen Energieproduktion gegenübergestellt. Die gute Nachricht: Wir können die Klimaneutralität bewerkstelligen.

Selbst wenn wir den Fokus auf Energieeffizienz legen und die Annehmlichkeiten unseres energieintensiven Lebensstils beibehalten wollen, könnte die Energie dafür in Österreich erzeugt werden. Allerdings würde dies in unserem Szenario einen massiven Ausbau der Windkraft benötigen und ein Drittel der Ackerfläche unseres Landes wäre mit Windkraftanlagen überbaut.

Windkraft aus Sibirien

Alternativ könnte die Energie wie auch heute zu großen Teilen aus dem Ausland importiert werden. Windkraft allein aus Sibirien hätte das Potenzial, den derzeitigen Gesamtenergiebedarf der Erde abzudecken. Auch Solaranlagen in der Sahara könnten einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung Europas leisten.
Dies ist auch nur eines von mehreren möglichen Szenarien zur Erreichung der Klimaneutralität – andere setzen stärker auf Einsparungen durch Verhaltensänderungen. Wichtig erscheint uns aber, die Dinge holistisch und konsequent zu Ende zu denken und klar zu benennen.

Als Gesellschaft werden wir uns entscheiden müssen: Wie sehr wollen wir Verhaltensänderungen, Auswirkungen auf unseren Wohlstand etc. in Kauf nehmen? Wie viel wollen wir in den Ausbau erneuerbarer Energieproduktion investieren und sind wir bereit, Veränderungen in unserer Landschaft z. B. durch Windturbinen zu akzeptieren? Für schnell geschossene alternativlose Ansätze ist das Problem viel zu komplex.

Wir sind überzeugt, dass nur ein faktenbasierter Zugang zum Erfolg führen kann. Um das Ziel zu erreichen, müssen in der politischen Auseinandersetzung rasch Kompromisse erzielt werden. Jedem der sagt: „Das ist doch unrealistisch“ entgegnen wir: Warum eigentlich?

Dr. Florian Wollrab und MMag. Martin Lust sind Partner der Strategieberatung valebis Consulting.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

von Florian Wollrab und Martin Lust

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