Mit einem „Klimaschutz-Sofortprogramm“ geht das Grünen-Führungsduo in die Offensive. Das Programm betrifft große Teile der Wirtschaft ebenso wie Hauseigentümer und Autofahrer.
Die Grünen skizzieren in einem „Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung“ ihre Pläne für einen radikalen Kurswechsel im Klimaschutz. In dem sieben Seiten umfassenden Papier, das Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Co-Parteichef Robert Habeck am Dienstag präsentierten, setzen die Grünen auf einen rasanten Ausbau erneuerbarer Energien, massive Steigerungen der Energieeffizienz im Gebäudesektor und einen radikalen Wandel im Mobilitätssektor. Der Industrie stellen die Grünen auf dem Weg zur Klimaneutralität massive Hilfen in Aussicht.
„Wir werden im Kabinett das größte Klimaschutzpaket beschließen, das es jemals gegeben hat“, heißt es in der Einleitung des Papiers. Das Papier konkretisiert das Wahlprogramm, das die Grünen bereits im Juni beschlossen hatten. „Wir stehen vor einer Weichenstellung“, sagte Baerbock. „Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, sondern sie passiert mitten unter uns“, ergänzte die Spitzenkandidatin der Grünen. Sie verwies auf die jüngste Flutkatastrophe im Westen Deutschlands. Den Klimaschutz bezeichnete die Grünen-Führung als Jahrhundertaufgabe. Sie warf der Großen Koalition und vor allem der Union vor, zu wenig Tempo zu machen. „Ziele ohne Maßnahmen sind brotlose Kunst“, sagte Habeck. Es gebe einen immensen Zeitdruck, trotzdem scheue die jetzige Regierung konkrete Maßnahmen. Dies zu ändern werde auch Geld kosten. Die wesentlichen Punkte des Sofortprogramms im Überblick: Klimaschutzministerium mit Vetorecht: Die Grünen wollen ein „Klimaschutzministerium“ gründen, das gegenüber den anderen Ressorts mit einem Vetorecht ausgestattet wird. Das Vetorecht soll dann gelten, wenn Gesetzesvorschläge gemacht werden, die den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 zuwiderlaufen. Das Klimaschutzministerium soll außerdem die Arbeit einer „Klima-Taskforce“ der Bundesregierung koordinieren, die in den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung im Wochenrhythmus tagen soll.
Ausbau erneuerbarer Energien: Die Grünen wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) möglichst schnell novellieren und damit den Weg für einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien ebnen. Ziel ist ein Photovoltaik-Zubau in Höhe von zwölf Gigawatt (GW) pro Jahr ab 2022. Bei der Windenergie an Land soll der Zubau sechs GW pro Jahr betragen.
Zur Einordnung: Einen Ausbau der Windenergie um sechs GW in einem Jahr hat es in Deutschland bislang noch nie gegeben. 2020 wurden 1,4 GW neu installiert. Auch ein Zubau von zwölf GW Photovoltaik erscheint ambitioniert. Der derzeitige Ausbau ist deutlich niedriger. 2019 betrug er 3,8 GW. Bei der Windenergie an Land erweisen sich langwierige Genehmigungsverfahren als großes Hindernis. Die Grünen fordern in ihrem Sofortprogramm daher ein eigenes Genehmigungsrecht für Windräder an Land. Es soll durch verbindliche Fristvorgaben und Standardisierung der artenschutzrechtlichen Vorgaben für eine Beschleunigung sorgen. Eine Standardisierung artenschutzrechtlicher Vorgaben wird seit Langem diskutiert. Bislang konnten sich die in dieser Frage zuständigen Bundesländer aber nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen. Zwei Prozent der Landesfläche sollen nach den Vorstellungen der Grünen für die Windkraft zur Verfügung stehen. Das bedeutet eine Verdopplung der bisherigen Flächen.
Kohleausstieg schon 2030: Die Grünen wollen ein rasches Ende der Kohleverstromung. „Daher werden wir den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen“, heißt es im Sofortprogramm. Im Kohleausstiegsgesetz, das in dieser Legislaturperiode verabschiedet wurde, ist bislang festgeschrieben, dass das letzte Kohlekraftwerk spätestens 2038 vom Netz gehen soll.
Klimaneutrale Industrie: Die Industrie soll leichter als bisher Direkt-Lieferverträge für Strom aus erneuerbaren Quellen schließen können. Außerdem soll eine gesetzliche Grundlage für Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference) geschaffen werden. Bei diesen Vertragslösungen garantiert die öffentliche Hand, langfristig Mehrkosten für die Investitionen in neue, klimaneutrale Anlagen und für deren Betrieb – beispielsweise mit grünem Wasserstoff – auszugleichen.
Gebäudesektor: Die energetischen Anforderungen an Neubauten sollen verschärft werden. Künftig soll der „KfW 40“-Standard gelten. Bei Sanierungen im Bestand soll „KfW 55“ zur Norm werden. Außerdem soll ein Förderprogramm für zwei Millionen Wärmepumpen aufgelegt werden. Die Kosten für den CO2-Preis beim Heizen soll der Hauseigentümer tragen. Bislang liegt die Kostenlast beim Mieter.
Mobilität: Die Grünen stellen massive Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr in Aussicht. Außerdem wollen sie die Ladeinfrastruktur ausbauen. Auf Autobahnen soll ein „Sicherheitstempo von 130 km h“ eingeführt werden.
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Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, sondern sie passiert mitten unter uns.
Annalena Baerbock Grünen-Co-Chefin
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