Alle reden vom Klimawandel – auch die Europäische Zentralbank (EZB). Seit dem Amtsantritt von Christine Lagarde im November 2019 steht das Thema weit oben auf der Agenda der neuen Chefin. Sie befürchtet negative Folgen der Erderwärmung auf die Wirtschaft, die so die Inflation anheizen könnten. Dürren etwa könnten zu Ernteausfällen führen und so Preise stark in die Höhe treiben. Damit wäre eines der zentralen Ziele der Notenbank – die Wahrung der Preisstabilität – in Gefahr.
Doch ob sich politisch unabhängige Notenbanken wie die EZB mit einer „grünen Geldpolitik“ aktiv in den Kampf gegen die Erwärmung des Erdklima einschalten sollen, ist umstritten. Dabei wird unter Experten zunächst einmal gar nicht bestritten, dass Klimarisiken das Finanzsystem bedrohen können. Die Bundesbank warnte bereits vor gut einem Jahr, dass extreme Wetterereignisse oder die Erderwärmung nicht nur Geschäftsprozesse unterbrechen, sondern letztlich auch zu Verlusten aus Finanz- oder Kreditgeschäften führen können.
Inzwischen sind alle wichtigen Notenbanken der Welt, einschließlich der US-amerikanischen Fed, in dem globalen Verbund „Network for Greening the Financial System“ zusammengeschlossen. Der macht sich für ein nachhaltiges Finanzsystem stark. Gerade der Eintritt der Fed in diesen mächtigen Club könnte „die Bemühungen der Zentralbanken beschleunigen, die Nachhaltigkeit ihrer eigenen Anlagen zu überprüfen“, erklärte Michael Lewis, der bei dem Vermögensverwalter DWS die Forschung zum Thema Nachhaltigkeit verantwortet.
Fachleuten streiten nun, ob die Zentralbanken in den Markt eingreifen und bei ihren billionenschweren Wirtschaftsprogrammen klimaverträgliche Finanzprodukte vorziehen sollen – auch auf die Gefahr hin, dass sie damit die Anleihepreise massiv beeinflussen.
Die Europäische Zentralbank hat derweil schon einmal vorgelegt und berücksichtigt für ihr nichtgeldpolitisches Anleihen-Portfolio bereits strenge Umwelt-, Ethik- und Sozialkriterien. Mit den Einnahmen aus diesen Anleihen finanzieren Staaten und Unternehmen Klimaschutzprojekte wie Industriestrom aus Wasserstoff oder Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz, aber auch Infrastruktur- und Bildungsprojekte. Ausschlusskriterien sind unter anderen Arbeitsrechtsverletzungen oder Engagements in ethisch umstrittenen Branchen wie Kohle, Rüstung oder Tabak.
Nachhaltige Wertpapiere gibt es immer mehr: Einer aktuellen Studie der Ratingagentur Moody“s zufolge dürften dieses Jahr weltweit derartige Anleihen mit einem Volumen von 650 Milliarden US-Dollar ausgegeben werden – das wäre bis zu einem Zehntel des erwarteten globalen Emissionsvolumens. Befeuert wird der Trend durch die Nachfrage der Anleger, es ist schlicht ein Stück weit Zeitgeist, aber auch politische Vorgaben.
Einem breiten Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen, darunter auch die Denkfabrik Club of Rome, geht die EZB noch nicht weit genug. Es fordert die Überprüfung aller Vermögenswerte, die für monetäre Operationen in Frage kommen, unter Klimaverträglichkeitskriterien. Finanzexperte Mauricio Vargas von der Umweltschutzorganisation Greenpeace legte kürzlich nach und prangerte an, dass die meisten der von der Europäischen Zentralbank gehaltenen Anleihen von CO2-intensiven Unternehmen stammten, die das Klima schädigten.
Hierzulande argumentiert unter anderem das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für eine aktive Rolle der EZB im Ringen um den Klimaschutz. Auch mit einer klimagerechten Geldpolitik lasse sich die Preisstabilität sichern und damit die wichtigste Aufgabe der EZB erfüllen.
Das Ifo-Institut und auch Bundesbank-Chef Jens Weidmann hingegen befürchten, dass die Notenbanker bei einer bewussten Lenkung der Kapitalströme ihr eng gefasstes Mandat überschreiten würden. Weidmann sieht in der Klimapolitik die Regierungen in der Pflicht und sagte jüngst: „Eine aktive Rolle in der Klimapolitik könnte unsere Unabhängigkeit untergraben und letztendlich unsere Fähigkeit gefährden, die Preisstabilität aufrechtzuerhalten.“
Doch abseits dieser grundsätzlichen Fragen ergäben sich auch ganz praktische Probleme. „Es wäre nicht trivial, Kriterien zu entwickeln, mit denen grüne (also kaufenswerte) Anleihen von nicht-grünen (also nicht-kaufenswerten) Anleihen unterschieden werden können“, mahnte der Volkswirt Jörn Quitzau von der Privatbank Berenberg. „Wie wären etwa die Anleihen eines Unternehmens zu bewerten, das für seine CO2-Emissionen zuvor Emissionsrechte gekauft hat und sich somit im Rahmen der politischen Vorgaben umweltgerecht verhält?“
Derweil könnte die Europäische Zentralbank zumindest die Vorauswahl geeigneter Wertpapiere spezialisierten Ratingagenturen wie Moody“s, Standard & Poor“s oder Fitch überlassen. Ihre Urteile über die Kreditwürdigkeit von Unternehmen sind für Anleihen-Investoren bereits seit langem wesentlich. Und mittlerweile zeichnet sich dabei auch eine wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit-Kriterien ab. EZB-Chefin Lagarde machte schon mal bei einer Online-Konferenz sicherheitshalber Druck: „Ratings müssen Klimarisiken konsistent berücksichtigten.“
APA/dpa-AFX