Viel Kritik zur Halbzeit der Klimakonferenz in Glasgow

8. November 2021, Glasgow/Wien
Britischer Premier Johnson will mehr Mut in Glasgow sehen
 - Glasgow, APA/AFP/Steve REIGATE/POOL

Zur Halbzeit der UN-Klimakonferenz „COP26“ in Glasgow hat es am Wochenende Proteste und Kritik am schleppenden Fortgang des Treffens gegeben. Die führende Klimaaktivistin Greta Thunberg erneuerte am Sonntag ihre Forderungen zu drastischen und sofortigen Schritten. „Sofern wir nicht sofortige, drastische, nie da gewesene jährliche Emissionssenkungen an der Quelle erreichen, bedeutet das, dass wir in dieser Klimakrise versagen“, schrieb die 18-jährige Schwedin auf Twitter.

Die berühmten „kleinen Schritte in die richtige Richtung“ kämen einer Niederlage gleich. Bei der Konferenz im schottischen Glasgow ringen rund 200 Staaten darum, wie das Ziel noch erreicht werden kann, die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß von maximal 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Geplantes Ende der COP26 ist der 12. November.

Der Einigungsdruck in Glasgow wächst durch die Proteste mit Zehntausenden Demonstranten. Der britische Premierminister Boris Johnson – Gastgeber des Gipfels in Schottland – mahnte weitere Zusagen der rund 200 beteiligten Staaten ein. Er forderte mehr Ehrgeiz. In der ersten Woche habe es einige konkrete Ankündigungen gegeben, etwa zum Stopp der Entwaldung oder zur Reduktion des schädlichen Treibhausgases Methan. „Aber wir dürfen die Aufgabe, das 1,5-Grad-Ziel am Leben zu erhalten, nicht unterschätzen.“

In der zweiten und letzten Woche des Mammuttreffens mit knapp 30.000 Delegierten steht an diesem Montag das heikle Thema Geld auf der Agenda. Arme Staaten, die schon jetzt unter Dürren, Überschwemmungen und steigendem Meeresspiegel leiden, pochen auf Schadenersatz der reichen Industrieländer. Nach Einschätzung von Greenpeace werden in den Entwicklungsländern Summen in Billionenhöhe benötigt.

Am Freitag und Samstag hatten Zehntausende in vielen Ländern ihrem Unmut über jahrzehntelang verschleppten Klimaschutz Luft gemacht und mehr Klimagerechtigkeit gefordert. Die Organisatoren sprachen von mehr als 100.000 Teilnehmern allein in Glasgow. Die weltweit bekannteste Aktivistin, die Schwedin Greta Thunberg (18), geißelte Tatenlosigkeit und „Blablabla“ der großen Wirtschaftsnationen. Ihre Bilanz: Die Konferenz „COP26“ sei jetzt schon ein Fehlschlag.

Am Sonntag startete in Glasgow eine Art Gegengipfel. Der „People’s Summit“ hat ebenfalls zum Ziel, den Druck auf die Verhandler zu erhöhen. Kernforderungen sind radikaler Klimaschutz, eine umfassende Entschuldung aller Entwicklungsländer und Reparationszahlungen der Industriestaaten. Die COP26 Coalition – ein Bündnis von Organisationen und Kampagnen – schrieb: „Wir brauchen Klimaschutz, der für alle funktioniert, nicht nur für die Leute mit dem meisten Geld in der Tasche.“

Während der ersten Tage hatten Dutzende Staaten öffentlichkeitswirksam Zusagen und Selbstverpflichtungen zu mehr Klimaschutz verkündet – auch, um der Konferenz Schwung zu geben. So soll nach dem Willen von gut 130 Staaten die Zerstörung von Wäldern bis 2030 gestoppt werden. Mehr als 100 Staaten sagten zu, ihren Ausstoß des klimaschädlichen Methans deutlich zu drosseln. Mitte der Woche kam eine Allianz zustande, die zwischen 2030 und 2040 aus der Kohle aussteigen will. Und dann sagten gut 45 Staaten zu, ihre Landwirtschaft klimafreundlich umzubauen.

Von Umweltexperten und Klimaaktivisten kam allerdings Kritik: Die „blitzartigen“ Ankündigungen hätten zu lange Fristen, seien rein freiwillig und mit kaum Details unterfüttert. Zum Waldschutz etwa sei schon 2014 in New York dasselbe Ziel formuliert worden – doch habe sich die Abholzung seither noch beschleunigt.

Vermisst wurden beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Glasgow zahlreiche „böse Buben“ der Klimapolitik, allen voran China. Das Riesenreich stößt mit Abstand die meisten Treibhausgase aus, will aber erst ab 2030 anfangen, seine Emissionen zu drosseln. Bereits in diesem Jahrzehnt müssen laut Weltklimarat aber die Emissionen schon um 45 Prozent gesunken sein, um das 2015 in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.

Ebenfalls nicht angereist waren der rechte Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, in dessen Land sehr viel wertvoller Regenwald für Agrarfläche weichen musste. Auch abwesend: Die Staatenlenker Russlands und Saudi-Arabiens, deren Wirtschaftsmodell auf dem Gas- und Ölexport fußt.

Wieder auf der Weltbühne der Klimapolitik vertreten sind dagegen die USA. Präsident Joe Biden entschuldigte sich in Glasgow für seinen Vorgänger Donald Trump, der aus dem Klimaabkommen von Paris ausgestiegen war. Biden brachte allerdings vor allem ein schon bekanntes Methan-Abkommen mit – aus Sicht vieler Beobachter ein unzureichender Beitrag angesichts des gigantischen Ausstoßes von Klimagasen, den Amerika auch historisch zu verantworten hat.

Internationale Umweltverbände und Entwicklungsorganisationen forderten, dass reiche Staaten ihre Klimahilfen für arme Länder drastisch aufstocken. Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan bezifferte den Finanzbedarf der weniger entwickelten Länder auf mehrere Billionen. Nur so könne sich der globale Süden an die fatalen Folgen der Erderhitzung wie immer mehr Dürren und Überschwemmungen anpassen und auch klimaschädliche Treibhausgase reduzieren.

Die Klimaexpertin der Organisation Oxfam, Nafkote Dabi, machte die Industrieländer als Urheber der Klimakrise verantwortlich. Arme Länder litten am meisten darunter. Diese Ungerechtigkeit müsse ausgeglichen werden. Sie prangerte zudem einen ökologischen Vandalismus vor allem von „Superreichen“ an, deren Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen weit über dem der übrigen Menschheit liege. Klimaschädlicher Luxus gehöre hoch besteuert oder verboten.

Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner warf der Europäischen Union vor, es beim Gipfel an Führungsstärke fehlen zu lassen. An EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte sie, den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas voranzutreiben. Zugleich warnte sie die in Schottland vertretenen Staaten davor, einen weltweiten Kompensationshandel für Emissionen einzurichten. Dies lieferte den Industriestaaten eine „weitere Ausrede“, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu verzögern.

Eine ernüchternde Bilanz zog unterdessen Greenpeace Österreich und kritisierte vor allem die österreichische Regierung. Die Konferenz drohe, „zu einem reinen Blablabla-Gipfel zu werden“, die Umweltorganisation sprach von „schwammigen Formulierungen“ und „viel zu späten Ausstiegsterminen“. Österreich sei kein Vorbild: Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sei mit leeren Händen zur Konferenz gereist.

Greenpeace forderte von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), nun „Nägel mit Köpfen“ zu machen und „klare Klimaschutz-Ansagen“ zu treffen. Ein erster wichtiger Schritt sei Österreichs Beitritt zum Statement der ehrgeizigen Klimaschutz-Länder gewesen. Jetzt müssten Taten folgen. Daher forderte Greenpeace, „das nationale Klimaschutzgesetz auf Schiene zu bringen und Mega-Straßenbauprojekte wie die Lobau-Autobahn zu stoppen“.

Dazu muss laut Greenpeace dem globalen Handel mit CO2-Zertifikaten eine Absage erteilt werden. „Dieser ist eine Sackgasse und würde viele Klimaschutzbemühungen zunichtemachen“, so die Umweltschützer.

APA/dpa