Menschheit steigerte Energieverbrauch seit 1950 extrem

19. Oktober 2020, Wien
Energiehunger ist enorm gewachsen
 - Hamburg, APA/dpa

Das Ausmaß des Einflusses des Menschen auf die Erde nimmt seit Jahrzehnten beständig zu. Das führte dazu, dass Wissenschafter sogar über die Einführung eines neuen Erdzeitalters im Zeichen des Menschen („Anthropozän“) diskutieren. Ein dieser Idee zugeneigtes Forscherteam hat nun berechnet, wie sich der Energieumsatz des Menschen seit 1950 entwickelt hat. Demnach kommt er jenem Ereignis nahe, das vor 66 Millionen Jahren u.a. den Dinosauriern den Garaus machte.

Im Fachmagazin „Nature Communications Earth & Environment“ schätzen die Autoren, unter denen sich viele Mitglieder der „Anthropocene Working Group“ des internationalen Geologenverbandes und auch der Geologe Michael Wagreich von der Universität Wien befinden, den Energieverbrauch der vergangenen 70 Jahre und vergleichen ihn mit dem Verbrauch der vergangenen 11.700 Jahre. Diese Zeiträume sind nicht willkürlich gewählt – der Beginn des aktuellen geologischen Zeitalters (Holozän) ist mit dem Ende der letzten Eiszeit vor knapp 12.000 Jahren angesetzt.

Im Vergleich durch die Forscher übersteigt der Energieumsatz seit 1950 mit rund 22 Exajoule jenem der annähernd zwölf Jahrtausende davor (geschätzte 14,6 Exajoule) bei weitem. Zum Vergleich: Der jährliche Energieverbrauch in ganz Österreich liegt bei über eintausend Petajoule. Um auf ein Exajoule zu kommen, bräuchte es bei gleichbleibendem Verbrauch also rund 1000 Jahre.

Der Energieumsatz im Zeitraum von 1950 bis heute „verändert unseren Planeten ähnlich wie der Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren, der für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich war – wobei der Einschlag allerdings ein punktuelles Ereignis war“, so Wagreich am Montag in einer Aussendung der Uni Wien. Die Auswirkungen sind freilich diametral, denn auf den Einschlag folgte eine Verdunklung der Atmosphäre und damit eine Kältephase, während der zuletzt explosionsartig angestiegene menschliche Energieverbrauch zu Luftverschmutzung und einer Erwärmung aufgrund des Treibhauseffekts führt. Den Einschätzungen der Wissenschafter zufolge ist durch die umfassenden Konsequenzen des menschlichen Handelns und damit losgetretenen Kreisläufen die nächste Eiszeit bereits um rund 50.000 Jahre nach hinten verschoben worden, heißt es.

Da der Anstieg des Energiekonsums eng mit der Produktivitätssteigerung und der rasant gewachsenen Weltbevölkerung zusammenhängt, sehen die Wissenschafter dies als weiteres Argument, das „Zeitalter des Menschen“ – das Anthropozän – auszurufen und seinen Beginn um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts anzusetzen. „Diese große Beschleunigung – man kann fast von einer geologischen Explosion sprechen – zeigt, wie sich das Erdsystem ab 1950 von seinem ausgeglichenen Zustand im Holozän entfernt hat“, so Wagreich, der zusammen mit der Erstautorin der Studie, Jaia Syvitski von der University of Colorado (USA), etwa den radioaktiven Fallout nach Atomtests, den Einsatz von Beton, Veränderungen von Küstenlinien, großflächige Fischerei, Landwirtschaft und Bergbau oder die vielfältige Umweltverschmutzung als Ankerpunkte des neuen Erdzeitalters anführt. Einen Vorschlag für die finale Definition des neuen Zeitalters will die Gruppe bis zum Jahr 2024 vorlegen.

Die Publikation online: . In der aktuell abrufbaren Version der Arbeit ist von „Zettajoule“ die Rede. Hier handelt es sich laut Angaben der Autoren um einen Fehler, der erst korrigiert wird. Exajoule sei richtig, die in der Arbeit gezogenen Schlüsse ändern sich nicht.

APA