Mit scharfer Kritik und einer Klagsdrohung hat die österreichische Politik auf den umstrittenen Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission reagiert. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich zu Wort und attestierte der Brüsseler Behörde am Mittwoch per Aussendung, ein „falsches Signal“ zu senden. Während die österreichischen EU-Abgeordneten geschlossenen Widerstand ankündigten, stellte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine Klage beim EuGH in Aussicht.
„Atomkraft ist weder nachhaltig noch sicher“, betonte Van der Bellen in einer seltenen Stellungnahme zu spezifischen europapolitischen Beschlüssen. Der Beschluss, der Atomkraft ein grünes Label zu geben, sei „ein Anreiz, weiter in diese gefährliche Technologie zu investieren. Das ist der falsche Weg“, kritisierte er, nachdem zuvor bereits Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und weitere Regierungsmitglieder ihre Ablehnung öffentlich zum Ausdruck gebracht hatten.
Österreich werde in den nächsten Wochen rechtliche Schritte vorbereiten und wolle mit einer Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgehen, sagte Gewessler vor Journalisten in Wien. Luxemburg schließe sich der österreichischen Initiative an. „Rein formal muss der Akt in Kraft treten, damit man ihn rechtlich bekämpfen kann“, sagte sie.
Formal gebe es eine viermonatige Frist für den EU-Rat und das Europaparlament, um den Rechtsakt zu prüfen. Im Rat der EU-Mitgliedstaaten werde es die erforderliche qualifizierte Mehrheit gegen die Taxonomie nicht geben, räumte die Ministerin ein. Im EU-Parlament erwartet Gewessler noch hitzige Diskussionen, für eine Einschätzung sei es „zu früh“.
Die Taxonomie-Entscheidung der EU-Kommission sei ein „Greenwashing-Programm für Atomenergie und fossiles Erdgas“, so die Klimaministerin. Die EU-Kommission ignoriere damit ihre eigenen Verfahrensregeln, ihre Experten sowie die Stellungnahmen vieler Mitgliedstaaten, die Bedenken vorgebracht hätten. Die Kommission erfülle „vor allem die Wünsche der Atomlobby“. Die nunmehrige Entscheidung enthalte gegenüber dem ersten Entwurf nur minimale Veränderungen und sei im Bereich Gas eher schlechter.
Gewessler nannte drei Gründe, warum Österreich das grüne Label ablehnt. Atomkraft sei im Gegensatz zu Erneuerbaren Energien veraltet und zu teuer, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Als Beweise führte Gewessler das Kernkraftwerk Flamanville in Frankreich und die Abhängigkeit von russischem Erdgas an.
Zweitens sei die Entscheidung der EU-Kommission auch juristisch falsch. „Das liegt nicht im Kompetenzbereich der EU-Kommission“, so Gewessler. Andererseits erfülle Atomkraft nicht die Voraussetzungen. „Grüne Technologien dürfen keine signifikanten Umweltschäden anrichten“, was etwa durch Fukushima bei Atomkraft dokumentiert werde. Wer dies leugne, „lügt sich in die Tasche“. Drittens gefährde die EU-Entscheidung die Zukunft. „Wir geben den Kindern einen Rucksack voller Probleme mit“, warnte die Klimaministerin.
Vergleiche mit der erfolglosen Klage Österreichs gegen das britische AKW Hinkley Point – angestellt etwa durch den EU-Kommissionsvertreter in Wien, Martin Selmayr – wies Gewessler zurück. Dabei sei es um Beihilfen und um eine ganz andere rechtliche Frage gegangen. Gewessler verwies auf ihr Gutachten zur Taxonomie und darauf, dass sie immer sehr klar gemacht habe, „dass wir rechtliche Schritte einleiten werden“. Bundeskanzler Nehammer habe dafür volle Unterstützung gezeigt, „wir ziehen alle an einem Strang“.
Schon zuvor hatten andere Vertreter der österreichischen Politik kritisch auf das von der EU-Kommission vorgeschlagene „grüne Label“ für die Atomkraft reagiert. „Atomkraft ist weder „grün“ noch nachhaltig. Ich kann die Entscheidung der EU nicht nachvollziehen“, teilte Nehammer am Mittwoch auf Twitter mit. Gewessler „hat meine volle Unterstützung bei der Prüfung rechtlicher Schritte“, betonte er. Österreich setze weiterhin auf den Ausbau erneuerbarer Energieträger.
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) warf der Brüsseler Behörde am Mittwoch vor, mit ihrer Entscheidung ihre eigenen Bemühungen zum Klimaschutz zu untergraben. Kritik gab es auch von anderen Spitzenpolitikern wie etwa NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sowie von Umweltorganisationen. Die österreichischen EU-Abgeordneten kündigten an, gemeinsam Widerspruch im Europaparlament einlegen zu wollen.
Wie ÖVP-Mandatar Othmar Karas mitteilte, würden „alle zuständigen österreichischen Europaabgeordneten Einspruch gegen die Pläne der EU-Kommission ein(legen)“. „Die Ablehnung der Atomkraft ist keine parteipolitische Frage, sondern war stets ein gemeinsames österreichisches Anliegen“, betonte der Vizepräsident des Europaparlaments. Ähnlich äußerte sich auch seine SPÖ-Kollegin im Präsidium der EU-Volksvertretung, Evelyn Regner. Die SPÖ-Abgeordnete bezeichnete den Taxonomie-Vorschlag als „Labelschwindel“, ihre NEOS-Kollegin Claudia Gamon wertete das Regelwerk nun als „völlig unbrauchbar“, der Grüne EU-Mandatar Thomas Waitz sprach von einer „dreisten Kompetenzüberschreitung“ der Brüsseler Behörde. Der FPÖ-Europaabgeordnete Georg Mayer bezeichnete den Taxonomie-Vorschlag als „schwerwiegenden Fehler“, kritisierte aber zugleich auch den „unsäglichen Green Deal“ der EU-Kommission.
Die Umweltorganisation GLOBAL 2000 sprach von einer „politischen Bankrotterklärung der EU-Kommission gegenüber einer nachhaltigen und umweltgerechten Energiepolitik“. Greenpeace schrieb von einem „Armutszeugnis für den scheinbaren Klimamusterkontinent Europa“ und wies darauf hin, dass selbst China fossiles Gas aus einer Taxonomie ausgeschlossen habe. Ähnlich äußerte sich auch die Naturschutzorganisation WWF, die nun einen „klaren Arbeitsauftrag“ für das Europaparlament sieht und ein Veto der EU-Volksvertretung forderte.
APA