„Klimaschutz ist eine zentrale Menschheitsaufgabe“

9. März 2022

Jürgen Schneider ist Leiter der Sektion VI -„Klima und Energie“ im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Im Interview spricht er über die „Mammutaufgabe“ Klimaschutz sowie lebenslanges Lernen in der Verwaltung und erklärt, warum die Klimakrise unseren Wohlstand bedroht.

Als Sektionschef im BMK sind Sie zuständig für die wichtigen Themenbereiche Klima und Energie. Österreichs Klimapolitik ist ambitioniert: Das Ziel ist, bis 2040 klimaneutral zu sein. Welche Rolle spielt die Energiewende beim Klimaschutz? Eine ganz zentrale! Österreich hat sich vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu sein, also netto keine Treibhausgase freizusetzen. Das ist unser angemessener und notwendiger Beitrag zur Bewältigung der globalen Klimakrise. Die mit Abstand wichtigste Quelle von Treibhausgasemissionen ist derzeit weltweit und auch in Österreich die Nutzung fossiler Energieträger, also von Erdölprodukten, fossilem Erdgas und Kohle. Von diesen müssen wir in den nächsten beiden Jahrzehnten wegkommen. Energiewende bedeutet also, dass unser Energiesystem deutlich effizienter und fossile Energie durch erneuerbare Energieträger ersetzt wird. Und dieser Übergang muss ökonomisch erfolgreich und sozial verträglich gestaltet werden. Dass das eine Mammutaufgabe ist, sieht man auch daran, dass derzeit rund zwei Drittel der in Österreich verbrauchten Energie fossilen Ursprungs ist.

Verfolgt man die Nachrichten und die Berichte über Dürre, Gletscherschmelze und Überschwemmungen, weiß man: Die Zeit für wirksamen Klimaschutz drängt. Welche Transformationen für den Klimaschutz sind ein Schlüssel zur Lösung? Der Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit ist eine große, systemische Herausforderung, die unser ganzes Wirtschafts-und Gesellschaftssystem tangiert. Betroffen sind vor allem die Sektoren Energie und Gebäude, unser Verkehrssystem und die produzierende Industrie. Dies wiederum betrifft die Lebensbereiche Wohnen, Mobilität, Arbeit und Konsum und damit alle Menschen in Österreich. Für all diese Bereiche entwickeln wir Lösungen. Und: Österreich ist in Energiefragen keine Insel, sondern wir arbeiten eng mit unseren europäischen Partnern zusammen, um die Energiewende gemeinsam zu stemmen. Europa hat sich ja dazu verpflichtet, 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu sein.

Der Sektor Energie und Industrie war im Jahr 2019 in Österreich laut Umweltbundesamt der größte Treibhausgasemittent. Die Treibhausgasemissionen sind im Vergleich zu 2018 um 1,5 Prozent gestiegen. Gründe dafür waren unter anderem die höhere Stromproduktion in Erdgaskraftwerken und der vermehrte Einsatz fossiler Energieträger im Gebäudesektor. Wie wird dieser Entwicklung konkret begegnet? Bei der Stromerzeugung haben wir ein sehr ambitioniertes Ziel: Bereits 2030 sollen in Österreich 100 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbarer Energie kommen. Dazu haben wir gerade mit dem umfangreichsten Energie-Gesetzespaket der letzten Jahre – dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz -die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Das Paket wird zudem Investitionen im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich bringen, also auch Beschäftigung und regionale Wertschöpfung. Im Gebäudesektor erarbeiten wir gemeinsam mit den Bundesländern und dem Finanzministerium eine Wärmestrategie, die zeigen wird, wie wir bis 2040 unsere Gebäude ohne fossile Energie heizen werden. Denn Ölheizungen und Heizungen mit Erdgas sind keine zukunftsfähigen Technologien des 21. Jahrhunderts und sollten bald der Vergangenheit angehören. Es gibt schon jetzt beim Umstieg auf klimafreundliche Heizsysteme großzügige öffentliche Förderungen für den Kesseltausch. Ergänzt werden sollen diese durch ordnungsrechtliche Vorgaben im Erneuerbaren-Wärmegesetz.

Seit Juni 2021 sind Sie Chef der Sektion VI im BMK, waren zuvor der interimistische Leiter und haben davor auch die Sektion „Klima“ im vormaligen Nachhaltigkeitsministerium angeführt. Was war für Sie persönlich die größte Umstellung beim Wechsel der Sektion in ein neues Ministerium? Die größte Änderung war wohl die neue Zusammensetzung der Sektion durch Verschmelzung der Klima-und Energieagenden. Wir haben dazu einen eigenen Prozess mit externer Begleitung gemacht, der jetzt -aus meiner Sicht erfolgreich -abgeschlossen wurde.

Sie gelten schon lange als ausgewiesener Umweltexperte und sind ausgebildeter Biochemiker. Wie erleben Sie die Arbeit in der Verwaltung und welche Fähigkeiten mussten Sie sich aneignen? Von der universitären Ausbildung her bin ich Naturwissenschafter. Das hilft sehr, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und Lösungen zu entwickeln. Klar ist aber auch, dass für mich tatsächlich das Schlagwort des lebenslangen Lernens gilt. Ich habe auf der Verwaltungsakademie viel gelernt, diverse Lehrgänge etwa zu Führung und Projektmanagement gemacht und viele Fähigkeiten durch Learning by Doing erworben. Da hilft mir sicher meine Neugier und die Bereitschaft, mich auf Neues einzulassen und auch Feedback von Dritten aufzunehmen.

In Debatten ums Klima wird oft über Verzicht, etwa beim Thema Verkehr oder beim Fleischkonsum, beziehungsweise höhere Kosten -Stichwort CO2-Bepreisung -gesprochen. Wie kann man Bürgerinnen und Bürger positiv motivieren? Und welche Rolle spielt der Beitrag der Bevölkerung zum Klimaschutz im Vergleich zum Beitrag der Wirtschaft? Wir wollen auf unserem Weg zur Klimaneutralität alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, ebenso wie alle Unternehmen. Dafür müssen wir zunächst gut erklären, warum das notwendig ist. Die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands, ja unserer Lebensgrundlage, ist die Klimakrise, die wir entschieden bekämpfen müssen. Nur so können wir unser Land lebenswert erhalten. Dafür müssen wir aber auch den passenden Rahmen schaffen. Daher wollen wir einerseits klimafreundliches Verhalten und Wirtschaften attraktiver machen und andererseits Anreize setzen, einen klimaschädlichen Lebensstil zu ändern. Ein wichtiger Baustein dafür ist die ökosoziale Steuerreform, die den Einsatz fossiler Energie -also im Wesentlichen Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas -durch die Einführung einer CO2-Bepreisung teurer macht, aber insgesamt zu einer Entlastung der Bevölkerung führt. Zudem bieten wir attraktive Alternativen an: Die Umstellung auf klimafreundliche Heizsysteme wird unterstützt, ebenso die Nutzung von öffentlichem Verkehr oder der Umstieg auf E-Mobilität, da ja viele Menschen nach wie vor auf ein eigenes Auto angewiesen sind. Mit dem Klimarat, der im Jänner 2022 begonnen hat, ersuchen wir zudem 100 Bürgerinnen und Bürger, selber Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise zu entwickeln. Wir sind schon sehr gespannt auf die Ergebnisse, die Mitte 2022 vorliegen sollen.

Die Klimakrise und damit auch Klimakatastrophen sind Ihre tägliche Arbeit -und gerade beim Verbot des Einbaus von Ölheizungen in Neubauten sieht man, dass Diskussionen oft lange dauern, bevor etwas beschlossen wird. Verlieren Sie manchmal die Geduld, und wie sehen Ihre Erfolgserlebnisse aus? Die Klimakrise zu bekämpfen ist ein Bohren dicker Bretter, da es ja um nicht weniger als die Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität geht. Angesichts der Bedrohungen durch die Klimakrise waren wir bisher mit unseren Klimaschutzbestrebungen zu langsam. Aber gerade in letzter Zeit gibt es auch schöne Erfolge. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wurde beschlossen, ebenso die ökosoziale Steuerreform. Es gibt ein Klimaticket und zudem ein so attraktives Förderangebot für klimafreundliche Investitionen wie noch nie. Und trotz mancher Rückschläge schöpfen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich Motivation aus der Gewissheit, dass Klimaschutz eine zentrale Menschheitsaufgabe ist.
Im Vorjahr fand die Weltklimakonferenz in Glasgow statt, es ging um die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015. Die Ergebnisse wurden kontrovers diskutiert. Sind Sie nach der Konferenz zuversichtlicher, dass die Klimawende gelingt? Die Klimakrise ist eine globale Krise, die nur gemeinsam gelöst werden kann. Daher sind die Weltklimakonferenzen auch so wichtig, bei der alle Staaten der Welt um einen Tisch sitzen. Im Grunde besteht große Einigkeit, dass das Pariser 1,5-Grad-Celsius-Ziel unbedingt eingehalten werden soll und dafür mehr Anstrengungen notwendig sind. Es ist gut, dass auf der Konferenz wichtige Beschlüsse gefasst wurden; so wurde etwa das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Übereinkommens endlich finalisiert. Aber natürlich hätten wir uns mehr Dynamik und weitergehende Beschlüsse gewünscht. Also heißt es weiterarbeiten, globale Partnerschaften knüpfen und auch Entwicklungs-und Schwellenländer bei ihren Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz unterstützen.

Beim Europäischen Forum Alpbach 2022 werden Klima und Klimapolitik erneut im Zentrum der Diskussionen stehen. Welche Rolle spielen solche Konferenzen für die öffentliche Wahrnehmung dieses Themas, das für unsere Zukunft so wichtig ist? Der Umbau unseres Energiesystems inklusive der Bereiche Strom, Wärme, Industrieproduktion und Mobilität in Richtung 100 Prozent erneuerbare Energie ist eine Aufgabe, die der Mitarbeit vieler Stakeholder bedarf. Wir brauchen einen breiten Diskurs über die besten Lösungen, die ökonomisch sinnvoll und sozial verträglich sind, weil es ja auch uns alle betrifft. Das Europäische Forum Alpbach, aber auch andere Konferenzen bieten dafür den notwendigen Raum, und das ist gut so.

Klimaneutralität. Österreich hat es sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2040 klimaneutral zu sein. Zu den dafür geplanten Maßnahmen zählen unter anderem die ökosoziale Steuerreform sowie das Klimaticket. www.bmk.gv.at

ZUR PERSON

Jürgen Schneider hat an der Universität Wien Chemie studiert und dort promoviert. Ab 1994 arbeitete er im Umweltbundesamt in der damaligen Abteilung für Lufthygiene. Von 2002 bis 2004 war Schneider als Projektmanager bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Bonn tätig. Zurück am Umweltbundesamt, leitete er von 2004 bis 2006 die Abteilung für Lufthygiene, von 2007 bis 2014 den Bereich Wirtschaft und Wirkung. Ab 2011 war er Prokurist im Umweltbundesamt, ehe er 2018 als Sektionschef ins Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus wechselte.

3 FRAGEN, 3 ANTWORTEN

Ihr Tipp an alle, die zur Klimaneutralität beitragen wollen? Es gibt einfache Dinge, die man machen kann. Zum Beispiel im Bereich Mobilität aufs Auto verzichten und mit dem Rad fahren. Das ist gesünder, oft schneller, klimafreundlicher und billiger, als mit dem eigenen Pkw zu fahren.

Welches Buch lesen Sie gerade? „Mission Economy“ von Mariana Mazzucato
Fahrrad, Auto, Bahn oder E-Scooter -welches Fortbewegungsmittel bevorzugen Sie? Das Fahrrad!
“ Energiewende bedeutet, dass unser Energiesystem deutlich effizienter und fossile Energie durch erneuerbare Energieträger ersetzt wird.“ Klima-Chef. Jürgen Schneider verfügt über viel Erfahrung und war bereits in den vergangenen Jahren Sektionsleiter im Klimaschutzministerium. INTERVIEW Grüne Investitionen. Das Gesetzespaket zum Ausbau der erneuerbaren Energie in Österreich, das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, kann ein Turbo für die Energiewende sein, ist Jürgen Schneider überzeugt. “ Die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands, ja unserer Lebensgrundlage, ist die Klimakrise, die wir entschieden bekämpfen müssen.“ “ Trotz mancher Rückschläge schöpfen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich Motivation aus der Gewissheit, dass Klimaschutz eine zentrale Menschheitsaufgabe ist.“ Zusammenarbeit. Als Klimaschutzexperte nimmt Jürgen Schneider regelmäßig an Veranstaltungen wie etwa den UN-Klimakonferenzen teil. Denn die Klimakrise kann nur gemeinsam gelöst werden, betont der Sektionschef.

von Cornelia Ritzer

Wiener Zeitung