Senegals Präsident Macky Sall hat große Pläne. Bis 2035 soll der massive Ausbau des Energiesektors zu einer treibenden Kraft für den wirtschaftlichen Aufstieg des westafrikanischen Landes werden. Bereits 2018 hatten sich Senegal und Mauretanien geeinigt, das große Gasvorkommen Greater Tortue Ahmeyim-Projekt (GTA) vor ihrer Küste gemeinsam auszubeuten. Bisher hatte dies die Europäer nicht groß interessiert.
Aber der Besuch von Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz im Senegal am Sonntag zeigt, dass man in europäischen Hauptstädten plötzlich umdenkt – afrikanisches Gas ist attraktiv geworden. Denn die Europäer suchen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine händeringend Ersatz für russisches Gas und Öl.
„Jetzt klopft Europa an unsere Tür“, zitiert die „Washington Post“ Mamadou Fall Kane, den stellvertretenden Chef der senegalesischen Behörde für Bodenschätze. „Der Krieg hat alles verändert.“ Nur könnte sich jetzt rächen, dass gerade die Europäer und auch Deutschland auf der Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 darauf gedrungen hatten, die Finanzierung und Erschließung neuer fossiler Vorkommen deutlich zu erschweren. Dabei hatte Senegals Präsident Sall damals ausdrücklich davor gewarnt, dass dies „fatale Kosten“ für die Entwicklung etwa seines Landes habe. Die Regierung in Dakar hat bereits klargemacht: Gas bekommt, wer sich bei der Erschließung engagiert.
Mittlerweile räumt auch die deutsche Bundesregierung einen Trend zum Umdenken ein. „Sie wissen ja, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Entwicklungsbanken dazu eine restriktive Haltung haben“, sagte ein Regierungsvertreter zu Projekten mit fossilen Energieträgern. Aber der Druck zur Diversifizierung der Lieferquellen sei durch den russischen Angriff „noch einmal akuter“ geworden. Jetzt heißt es zu einer möglichen Finanzierung: „Wir sehen das durchaus als eine Möglichkeit an.“ Einige deutsche Firmen seien auch an der Explorationen beteiligt. „Insofern wollen wir offen darüber sprechen, ob und wie wir dabei zusammenarbeiten können, aber dabei sind wir noch nicht in der Phase der Vertragsreife.“ Zugleich betont man die Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien, etwa der Photovoltaik.
FÜR GAS-LIFERUNGEN AUS AFRIKA NICHT BEI NULL ANFANGEN
Doch andere sind beim Gas schneller: So schloss der italienische Energiekonzern Eni in den vergangenen Monaten Verträge mit Algerien, Ägypten, Angola und der Republik Kongo ab. Lieferungen aus diesen Ländern sollen mehr als die Hälfte des Gases ersetzen, das das EU-Land bisher aus Russland bezieht. Als potenzielle Länder für weitere Verträge mit Flüssiggas (LNG) gelten Mosambik, Nigeria, Ghana, die Elfenbeinküste und Libyen.
Bei Null muss man in Afrika nicht beginnen, schließlich kommen bereits jetzt rund 18 Prozent des Gases für Europa von dort. Es gibt Pipelines etwa von Libyen nach Italien oder von Algerien nach Spanien. Im Gespräch ist auch eine mehr als 4.000 Kilometer langen Trans-Sahara-Röhre, die von Nigeria über Niger nach Algerien führen und Gas über das bestehende Leitungsnetz bis nach Europa pumpen soll. Nigeria verfügt bereits über sechs LNG-Terminals für Flüssiggas. In Südafrika gibt es Planungen für die Ausschreibung eines neuen LNG-Terminals in Richards Bay an der Ostküste des Landes – um nur einige Beispiele zu nennen.
„Afrika kann das europäische Problem allein nicht lösen, aber wegen der geografischen Nähe und billigen Transportkosten einen Beitrag dazu leisten“, sagt Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, zu Reuters.
Aber einfach ist der größere Umstieg von russischem auf afrikanisches Gas trotzdem nicht. Zum einen gibt es auch an der senegalesischen Küste mit Blick auf Fischerei und Tourismus Umweltbedenken gegen die Offshore-Förderung. Zum anderen kommen die Europäer sehr spät. Längst bemühen sich andere energiehungrige Interessenten um Gas aus Afrika. So gehen die ab 2023 geplanten ersten Flüssiggas-Lieferungen aus dem Senegal aufgrund bereits geschlossener Verträger nach Asien. Und China hat etwa Ägypten lukrative langfristige LNG-Verträge angeboten.
„In der Regel sind 80 bis 90 Prozent der LNG-Mengen bereits bei Baubeginn einer Verflüssigungsanlage langfristig verkauft“, betont Liebing. Er rät der deutschen Bundesregierung ohnehin eher zu Reisen nach Angola oder vor allem Nigeria. „Dort besteht die Chance, innerhalb von ein bis zwei Jahren die Produktion auszuweiten und dann vielleicht zehn bis 20 Prozent unserer russischen Lieferungen zu ersetzen.“
Doch als Hindernis für die künftige Zusammenarbeit gelten politische Instabilitäten: Allein in Westafrika gab es seit 2020 fünf Staatsstreiche. Die Europäer wollen aber ihre die Abhängigkeit von einem Land wie Russland nicht durch die von Militärregierungen tauschen. Wie heikel dies sein kann, zeigt das Beispiel Libyen: Dort war die deutsche Wintershall in der Gasförderung aktiv, bis das Land im Bürgerkrieg versank.
APA/Reuters