In Deutschland nehmen Sorgen vor Gasmangel zu

20. Juni 2022, Berlin
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Russland hat seine Gaslieferungen an viele Länder wie Österreich gedrosselt – und in Deutschland wird immer heftiger über die Folgen eines möglichen Mangels debattiert. Soll der Staat konkrete Vorgaben für sparsameres Heizen machen? Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sprach sich gegen niedrigere Mindesttemperaturen für Wohnungen aus. „Gesetzlich verordnetes Frieren halte ich für unsinnig“, sagte die Politikerin.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt als Konsequenz aus gesenkten Gaslieferungen durch Russland auch gesetzliche Maßnahmen nicht aus. „Wenn die Speichermengen nicht zunehmen, dann werden wir weitere Maßnahmen zur Einsparung, zur Not auch gesetzlich, vornehmen müssen“, sagte der Politiker am Donnerstagabend in den ARD-„Tagesthemen“.

Auf die Frage, ob das auch die Herabsetzung der vorgeschrieben Mindesttemperatur in Wohnungen sein könne, antwortete er: „Wir werden uns alle Gesetze, die dort einen Beitrag leisten, anschauen.“ Ein Sprecher Habecks nannte am Freitag keine konkreten Maßnahmen. Er sprach von einer Prüfung.

Der russische Staatskonzern Gazprom hat seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream deutlich verringert. Auch Österreich bekommt seit Tagen weniger Gas als vereinbart.

Damit in großem Umfang gespart werden kann, hatte der Präsident der deutschen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, auch die Absenkung von Vorgaben zum Heizen vorgeschlagen. Vermieter sollten die Heizungsanlage während der Heizperiode nicht mehr auf mindestens 20 bis 22 Grad hochstellen müssen, sondern die Vorgaben könnten zeitweise sinken.

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte bei einem Gasmangel eine Absenkung der Mindesttemperatur in den Wohnungen: „Sollten die Gaslieferungen nach Deutschland künftig weiter deutlich eingeschränkt werden und es zu einer Mangelsituation kommen, sollte der Rechtsrahmen so angepasst werden, dass weitere Absenkungen der Mindesttemperatur auf eine maximale Untergrenze von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts möglich werden“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko der Funke-Mediengruppe. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, wie Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Rheinischen Post“ sagte.

Der Widerstand ist groß. „Es darf nicht so weit kommen, dass Menschen im Winter in ihren Wohnungen frieren müssen“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, der dpa. „Gerade Ältere, Pflegebedürftige und chronisch Kranke halten sich zu Hause auf und sind besonders angewiesen auf beheizte Räume.“ Der Deutsche Mieterbund bezeichnete eine gesetzlich vorgeschriebene Drosselung als falschen Weg.

Die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur äußerte sich ebenfalls kritisch. Auseinandersetzungen mit Vermietern um die Einhaltung der Temperatur seien schon heute ein großes Ärgernis. „Ein solcher Vorschlag ist verbraucherfeindlich und schadet der Akzeptanz und damit dem Gelingen der Energiewende“, sagte Dena-Chef Andreas Kuhlmann.

Bauministerin Geywitz sagte: „In der Rechtsprechung sind 20 Grad Minimum festgelegt.“ Alles darunter könne sogar gesundheitsgefährdend sein und sei auch gebäudetechnisch zu kurz gedacht. Die Debatte führe ins Leere, weil mit einer Novellierung der Heizkostenverordnung Anfang Januar bereits monatliche Informationen über den Verbrauch an die Mieter gingen. „Sie können ihren Verbrauch also regelmäßig überprüfen und tun das allein aufgrund der Preise doch schon zunehmend.“ Sinnvoller seien praktische Informationen von Verbraucherzentralen und Bundesregierung.

Deutschland ist nach wie vor von russischem Gas abhängig. Zwar wurde seit Beginn des Ukraine-Krieges der Anteil der russischen Gaslieferungen gesenkt, weil etwa Norwegen mehr liefert. Der Anteil liegt aber immer noch bei 35 Prozent. Gas ist nicht nur für Heizen von Wohnungen wichtig, sondern auch in der Industrie, als Rohstoff für die Produktion sowie für die Energieerzeugung.

Erstmals seit Ende März bezeichnete die Bundesnetzagentur in ihrem täglichen Bericht zur Gasversorgung die Lage als „angespannt“. Die Versorgung sei im Moment aber stabil. Die Gasspeicher sind demnach zu 56 Prozent gefüllt.

Das sei überdurchschnittlich gut, reiche aber nicht, sagte Habeck. Die Regierung hatte gesetzliche Vorgaben beschlossen, damit die Gasspeicher mit dem Beginn der Heizperiode ausreichend gefüllt sind. Ziel sind 90 Prozent am 1. November. Eine weitere Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream könnte es aber erschweren, dies zu erreichen. Habeck appellierte erneut an Unternehmen und Bürger, Energie und Gas zu sparen.

Der Energieexperte Thomas Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen sagte: „Jetzt sind alle aufgerufen, so viel Energie zu sparen wie möglich: Handel, Gewerbe, öffentlicher Sektor und private Haushalte.“ Dabei komme es besonders auf diejenigen an, die viel Energie verbrauchten. „Viele private Haushalte mit geringem Gas- und Stromverbrauch können dagegen nicht noch mehr einsparen.“

APA/dpa