Taxonomie. Das EU-Parlament hat entschieden: Kern- und Gaskraft gelten ab 2023 als „nachhaltig“ und damit förderwürdig. Österreich wird dagegen vor dem EuGH klagen
Auf Gütesiegeln, wo „grün“ draufsteht, sollte auch grün drinnen sein. Genau das aber hat eine Mehrheit im Europäischen Parlament bei einer Abstimmung in Straßburg am Mittwoch verhindert. Mit ihrem Votum haben die Abgeordneten den Weg frei gemacht, dass Investitionen in Atomkraft und fossiles Erdgas künftig als „nachhaltig“ gelten. Geldgeber könnten demnach ruhigen Gewissens in Kernkraftwerke oder Gas-Technologie investieren. Schließlich sollte die vom Parlament abgesegnete Taxonomie-Verordnung eine Art „grüne Bibel“ für umweltfreundliches Investieren werden. Kritiker sehen nun nichts anderes als „Etikettenschwindel“ darin.
Empört und in seltener Einigkeit reagierten die 19 österreichischen EU-Abgeordneten quer durch die Parteien. Alle haben gegen die Regeln der sogenannten Taxonomie-Verordnung gestimmt. Othmar Karas, Vize-Präsident des EU-Parlaments: „Heute ist ein schlechter Tag für den Klimaschutz, Atomkraft ist weder grün noch nachhaltig.“ Karas sieht das Votum des Parlaments als eine vergebene Chance, „mehr Rückenwind für Investitionen in die Erneuerbare Energie zu schaffen. Stattdessen werden gefährliche und schmutzige Energieformen geadelt.“
Umweltministerin Leonore Gewessler wird vor den Europäischen Gerichtshof ziehen: Die Entscheidung zur Taxonomie-Verordnung sei „weder glaubwürdig, ambitioniert noch wissensbasiert, gefährdet unsere Zukunft und ist mehr als verantwortungslos.“ Luxemburg wird sich der Klage anschließen. In frühestens zwei Monaten kann sie eingereicht werden. Die Regierung in Deutschland kritisierte zwar die Entscheidung des EU-Parlaments, Atomkraft als nachhaltig einzustufen. Der Klage will sich Berlin jedoch nicht anschließen.
Fatale Weichenstellung
Wie kam es dazu, dass Atom und Gas als grün gelten? Die EU-Kommission wollte einen einheitlichen Standard entwickeln, um die Nachhaltigkeit von Technologien und Unternehmen zu messen. Diese sogenannte Taxonomie sollte eine Art „Goldstandard“ für grüne Investitionen werden.
Doch dann reklamierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Atomkraft in die Liste hinein: Kernkraft produziere wenig Kohlendioxid und sei somit als klimafreundlich zu erachten. Deutschland wiederum, das bei seiner Stromversorgung nicht auf Gas verzichten kann, beharrte: Zumindest als „Übergangstechnologie“ zur Klimaneutralität könne Gas als „nachhaltig“ angesehen werden.
Eine „fatale Weichenstellung“, wie Claudia Kemfert meint: „Jegliches Geld, das jetzt in Gas oder Atomkraft fließt, fehlt uns bei den dringend benötigten Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien“, gibt die Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zu bedenken. „Es geht um die Frage, wie wir in Zukunft investieren. Atomkraft und Gas – wir müssen von beiden Technologien wegkommen.“
Der Markt für nachhaltige Investitionen in Europa ist riesig: Jährlich sind nach Schätzung Brüssels rund 350 Milliarden Euro nötig, um die Wirtschaft der EU in Richtung Klimaneutralität umzurüsten.
Kurier