Die Autoindustrie warnt kurz vor der Vorstellung von neuen EU-Plänen zum Klimaschutz vor einseitigen Auflagen. Der europäische Herstellerverband Acea machte am Montag deutlich, dass er eine deutliche Verschärfung von Kohlendioxid-Grenzwerten nur dann für machbar hält, wenn es gleichzeitig verbindliche Vorgaben für mehr Infrastruktur für Elektrofahrzeuge gibt.
Für jeden weiteren Prozentpunkt der Zielverschärfung benötige man zusätzlich mindestens 200.000 weitere öffentliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge – über die bereits erforderlichen drei Millionen Stück im Jahr 2030 hinaus, sagte der BMW-Chef und Acea-Präsident Oliver Zipse, der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
So würde nach Berechnungen der EU-Kommission zum Beispiel eine weitere Verringerung der CO2-Emissionen bis 2030 um minus 50 Prozent bereits rund sechs Millionen öffentliche Ladepunkte erfordern. „Mit heute weniger als 225.000 Stück müsste das einer Steigerung um den Faktor 27 in weniger als zehn Jahren entsprechen“, sagte Zipse.
Der BMW-Chef äußerte sich kurz vor der für Mittwoch erwarteten Präsentation von Vorschlägen, die ein Erreichen des EU-Zwischenziels für den Klimaschutz ermöglichen sollen. Es sieht konkret vor, den Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen – statt um die bisher geplanten 40 Prozent.
Es gilt damit als sicher, dass auch die Vorgaben für die Autoindustrie verschärft werden. Bisher gilt, dass der CO2-Ausstoß bei Neuwagen 2030 im Schnitt um 37,5 Prozent niedriger sein muss als 2021. Es wird nun erwartet, dass die EU-Kommission vorschlägt, diese Zielvorgabe auf 50 bis 60 Prozent anzuheben.
Zipse sagte dazu, es gehe nun darum, nicht nur ambitionierte Klimaschutzziele zu formulieren, sondern mit verbindlichen Vorgaben für mehr Ladeinfrastruktur gleichzeitig eine entscheidende Grundlage für deren Erreichen zu schaffen. Als Acea-Vorsitzender vertritt er derzeit auch zahlreiche andere in Europa tätige Autobauer wie Daimler, Volkswagen, Renault und Ford.
Ähnliche Forderungen an die politischen Entscheidungsträger wie Acea stellt die deutsche Gewerkschaft IG Metall. In einem Grundsatzpapier zeigt sich die größte deutsche Einzelgewerkschaft zwar grundsätzlich überzeugt von den Klimazielen der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union, die insbesondere einen schnelleren Umstieg auf Elektromobilität bedeuteten. Aber: „Die Politik kann sich nicht auf die Zielvorgaben beschränken, sie muss die Voraussetzungen der Zielerreichung schaffen“, heißt es in dem Expertenpapier „Fit for 55“, das der dpa vorliegt.
Neben technologischen Feldern wie der Lade-Infrastruktur, dem Ausbau erneuerbarer Energien, einer europäischen Batterieproduktion und der Nachfragestimulation sehen die Metaller politischen Handlungsbedarf zum Schutz der Beschäftigten.
In den bisherigen Strukturen von Fahrzeugbau, Autohandel und nachgelagerten Services seien in Deutschland bis 2040 zusammen bis zu 900.000 Arbeitsplätze gefährdet. Am härtesten könnte es die Zulieferer treffen, bei denen einschließlich der ohnehin zu erwartenden Rationalisierungseffekte schon 2030 rund 44 Prozent der Jobs wegfallen könnten.
Die Lösung der Beschäftigungsprobleme sieht die IG Metall in der zusätzlichen Qualifizierung der Mitarbeiter. Dazu müsse unter anderem das bisherige Kurzarbeitergeld zu einem Transformations-Kurzarbeitergeld entwickelt werden, um damit Weiterbildungen zu ermöglichen. Mit einer regionalen Strukturpolitik müssten die existierenden Standorte umgebaut und gesichert werden.
Die IG Metall spricht sich dafür aus, dass auch weiter Hybridfahrzeuge als Übergangstechnologie steuerlich gefördert werden. Mit Hybridfahrzeugen machen insbesondere deutsche Hersteller gute Geschäfte. Eine CO2-Bepreisung hatte die Gewerkschaft zunächst sehr kritisch gesehen, weil sie Nachteile für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen befürchtete. In dem Papier heißt es nun: „Mittelfristig sollte der CO2-Preis sozialverträglich angehoben werden, um klimaneutrale Mobilität wettbewerbsfähig zu machen.“
APA/dpa