Die Angst vor dem Blackout – und wie er sich verhindern lässt

13. September 2021



Denkfabrik Der Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht das Risiko von Stromausfällen. Helfen könnte ein neues Vertragsmodell für Stromlieferungen.

Die Stromversorgung in Deutschland ist eine der sichersten weltweit. Im Jahr 2018 betrug der durchschnittliche jährliche Stromausfall 14 Minuten – ein Spitzenwert in Europa. Doch um diese hohe Qualität zu erreichen, erfordert es immer wieder regulierende Eingriffe. Vom Verbraucher bleiben sie weitgehend unbemerkt. An einem Samstagabend Anfang August mussten mehrere Großverbraucher vom Netz gehen (die sich im Vorfeld vertraglich hierzu bereit erklärt hatten), um einen Zusammenbruch der Stromversorgung zu verhindern. Eine Erzeugungslücke konnte zu diesem Zeitpunkt nicht über Importe aus Nachbarländern oder deutsche Reservekraftwerke geschlossen werden.


Wie problematisch Stromausfälle sein können, zeigte sich im Februar dieses Jahres im US-Bundesstaat Texas. Während vier eisiger Tage konnten einzelne Regionen nicht mit Strom versorgt werden. Mehr als 150 Menschen kamen ums Leben; die meisten erfroren, weil ihre Heizung ausfiel. Zudem entstanden Sachschäden von mehreren Milliarden Dollar.


Wäre so etwas auch in Deutschland möglich? Bis 2030 sollen hier erneuerbare Energien rund zwei Drittel des deutschen Stromverbrauchs sicherstellen. Und es besteht durchaus Grund zur Sorge, dass Stromausfälle zunehmen, wenn der Ausstieg aus Kohlestrom und Kernkraft vollzogen ist und vermehrt Wind- und Solarstrom eingesetzt werden. Denn ein Großteil der erneuerbaren Energien ist nur eingeschränkt steuerbar. Was geschieht, wenn einmal ein paar Tage lang der Himmel bewölkt ist und kaum Wind weht? Dieser Aspekt der Versorgungssicherheit dürfte neben dem Ausbau der Wind- und Solarkraftwerke und dem Netzausbau eine zunehmend große Rolle in der Energiepolitik spielen.


STROMBEDARF STEIGT DEUTLICH
In ihren Wahlprogrammen sind sich die Parteien weitgehend einig, dass der Strombedarf stark steigt – etwa deshalb, weil künftig mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. Diesem Anstieg wollen die Parteien mit einem starken Zubau bei erneuerbaren Energien und einer Erweiterung der Stromnetze begegnen. Um eine durchgehende Versorgung zu sichern, setzt die Politik auf Speicher und dabei insbesondere auf Wasserstoff.
Allerdings existieren diese Technologien bisher nur eingeschränkt oder sind von der Marktreife weit entfernt. Der Gestaltung der Marktregeln kommt daher eine entscheidende Rolle zu, um die Versorgungssicherheit zu erhalten. Mit einem geeigneten Marktdesign lassen sich Anreize für den Ausbau von Kapazitäten zur sicheren Energieerzeugung und für die Wahl der Technologien setzen, die zum Tragen kommen, wenn das Stromnetz überlastet ist.


Während viele Länder, unter anderem Frankreich und Großbritannien, zusätzlich zum Strommarkt einen sogenannten Kapazitätsmarkt eingeführt haben, um ausreichend verlässliche Erzeugungskapazität zur Verfügung zu haben, hat sich die Bundesregierung für einen „Energy-Only-Markt“ entschieden: Erzeuger verkaufen ihren Strom auf dem bundesweiten Markt, und ist der Strom knapp, dann steigen die Preise. Die Hoffnung auf steigende Preise wiederum soll ein Anreiz für Unternehmen sein, in neue Kapazitäten von sicherer Erzeugung zu investieren. Gleichzeitig bleiben insbesondere einige Kohlekraftwerke – obwohl vom Standardbetrieb ausgeschlossen – vorerst als Reserve am Markt, damit die Versorgungssicherheit gewahrt bleibt.


LANGFRISTIGE TERMINVERTRÄGE
Ob ein solcher Energy-Only-Markt ausreicht, um die Versorgungssicherheit aus dem Markt heraus herzustellen, ist allerdings unter Experten umstritten. Die Wissenschaft diskutiert derzeit, ob sich Versorgungssicherheit auch über verpflichtende Terminverträge gewährleisten lässt. Dazu würde neben den kurzfristigen Strommärkten ein regulierter Markt für standardisierte langfristige Terminverträge eingeführt. Die Idee: Erzeuger verpflichten sich Jahre vor dem Lieferzeitpunkt, eine bestimmte Strommenge bereitzustellen. Diese deckt den Großteil des Strombedarfs am Lieferzeitpunkt ab. Kurzfristige Mengenanpassungen sowie Entscheidungen über Eigenproduktion oder den Stromzukauf erfolgen dann an den kurzfristigen Märkten.
Durch die langfristigen Verträge erhalten Erzeuger eine höhere Mengen- und Erlössicherheit, die auch Voraussetzung für adäquate Investitionen ist, um eine sichere Versorgung zu garantieren. Die Entscheidung über die dafür nötigen Kraftwerkskapazitäten und den geeigneten Technologiemix liegt hierbei noch stärker beim Markt als auf Kapazitätsmärkten, in denen der Regulierer die Menge und auch teilweise die Technologien der geförderten Kapazitäten zur Energieproduktion vorgibt.


Das Zieldreieck der Energiepolitik ist eine umweltschonende, bezahlbare und zuverlässige Energieversorgung. Um auch dem dritten Ziel gerecht zu werden, sollte die Politik den Einsatz verpflichtender Terminverträge und ihre Integration in den Energy-Only-Markt eingehend prüfen.


Achim Wambach ist Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Marion Ott ist stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs Marktdesign
Text Achim Wambach, Marion Ott


ZITATE FAKTEN MEINUNGEN
„Durch langfristige Verträge erhalten Erzeuger eine höhere Mengen- und Erlössicherheit, die Voraussetzung für adäquate Investitionen ist“Text Achim Wambach, Marion Ott

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