Von der Leyen nimmt China und USA in die Pflicht

16. September 2021


Europas Anstrengungen zur CO2 – Einsparung bringen wenig, wenn andere nicht mitziehen. Die EU-Kommissionspräsidentin versucht es jetzt mit Druck.

Manches in der Europäischen Union wirkt etwas abgekupfert von Vorbildern aus den USA. So hält der US-Präsident regelmäßig eine „State of the Union“-Rede. In der EU heißt das Pendant „State of the European Union“, gehalten am Mittwochmorgen im Parlament in Straßburg. Auch das Pathos, mit dem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen versucht, diese Rede aufzuladen, ist abgeschaut.


Inhaltlich aber sieht sich von der Leyen den USA voraus. Sie greift die Amerikaner geradezu an, weil diese noch keinen Plan vorgelegt haben, wie sie ihre Klimaziele erreichen wollen. „Die bisherigen Verpflichtungen für 2030 werden die globale Erwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzen“, wirft die Kommissionspräsidentin Ländern „von den USA bis Japan“ vor. Noch deutlicher ist die Ansage an China: Die von Präsident Xi Jinping gesetzten Ziele seien „ermutigend“, aber China müsse jetzt zeigen, wie es sie erreichen wolle. Wenn China aufzeigen würde, wie es ohne Kohle auskommen kann, „wäre die Welt erleichtert“, sagt von der Leyen.


Die Aussagen zeigen, dass sich die EU-Kommission bewusst ist, wie machtlos sie allein gegen den Klimawandel ist. Um ihn zu stoppen, braucht es weltweit massive Investitionen. Wenn das in Europa eingesparte Öl in anderen Ländern verbrannt wird, haben sich die Anstrengungen hierzulande nicht gelohnt. Ohne ambitionierte Pläne in Europa sinkt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich andere Nationen auf den Weg machen. China kann immerhin argumentieren, dass der Wohlstand seiner Bürger noch lange nicht auf europäischem Niveau liegt. Und in den USA ist das Bewusstsein für die drohende Klimakatastrophe in weiten Teilen der Bevölkerung nicht vorhanden.
Das ist das stärkste Argument gegen die europäische Klimapolitik, und es droht, zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden: So mancher Wirtschaftspolitiker lehnt mit Verweis auf die unbeweglichen Chinesen alle Maßnahmen ab, die die Wirtschaft oder die Bürger etwas kosten.


Die Abgeordneten des Europaparlaments und parallel die Minister aus den Mitgliedstaaten werden in den kommenden Monaten die Klimaschutzvorschläge der Kommission auseinandernehmen und nach ihren Vorstellungen wieder zusammenbauen. Und nicht jeder der Beteiligten will das Risiko eingehen, Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen, ohne damit wirksam zum Klimaschutz beizutragen.

Widerstand gegen Klimapolitik
Kaum einen Vorschlag der Kommission gibt es, gegen den sich nicht schon eine starke Opposition formiert. Die Unternehmen sollen keine kostenlosen CO2 – Zertifikate mehr bekommen, haben aber mächtige Fürsprecher im Parlament. Andere fürchten, dass der CO2 – Preis für Benzin, Diesel, Heizöl und Gas zu Unruhen unter den Bürgern führt, die ihn zahlen müssen. Der CO2 – Grenzausgleich, der für saubere Importe sorgen soll, könnte auf ein Experiment für wenige kleine Branchen zusammenschrumpfen. Der Plan, Autos klimaneutral zu machen, wird überfrachtet von Ideen, irgendwie doch noch den Verbrennungsmotor zu retten. Kaum jemand argumentiert offen damit, dass man nicht vorangehen möchte, solange andere Länder nicht mitziehen. Aber im Hintergrund schwingt das Argument immer mit.


Die Sorge um ihr Klimaschutzpaket war von der Leyen anzuhören: „Ich zähle auf das Parlament und die Mitgliedstaaten, das Paket beizubehalten und die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren“, sagte sie. Ihr Timing hat die Kommission sorgsam gewählt. Bis Ende Oktober wird wohl keines der Gesetze scheitern. Dann beginnt in Glasgow die Weltklimakonferenz (COP). Es soll darum gehen, wie das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll, etwa durch einen weltweiten Ausstieg aus der Kohle und aus den Verbrennungsmotoren für Pkws. „Die COP in Glasgow wird ein Moment der Wahrheit für die globale Gemeinschaft“, sagte von der Leyen.


Außerdem geht es um viel Geld. 100 Milliarden Euro pro Jahr bis 2025 haben die Industriestaaten denjenigen Ländern versprochen, die aus eigener Kraft nicht genug in Klimaschutz investieren können. Aber sie liegen bisher deutlich darunter. Aus Europa kommen jährlich 25 Milliarden Dollar, „aber andere hinterlassen eine klaffende Lücke“, sagte von der Leyen. Sie wolle nun noch einmal vier Milliarden jährlich bis 2027 drauflegen und verbindet damit eine Aufforderung an US-Präsident Joe Biden: „Wenn die USA und die EU die Finanzierungslücke gemeinsam schließen würden, wäre das ein starkes Signal“, sagte sie.

Handelsblatt

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