„Es muss eine CO2-Bepreisung geben“

21. September 2021

Technisch ist es möglich, große Mengen an CO2 aus der Atmosphäre zu nehmen und damit neue Produkte herzustellen. Die Montanuniversität Leoben forscht, wie das funktionieren kann. Warum der Weg dorthin noch hürdenreich ist.


Markus Lehner hat den Lehrstuhl für Verfahrenstechnik des industriellen Umweltschutzes an der Montanuniversität Leoben inne. Dort beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren mit Carbon Capture and Utilization (CCU), der Verwertung von CO2 zur Herstellung neuer Produkte. Im Interview spricht er darüber, wie zukunftsfähig diese Technik sein kann.Erlauben Sie bitte die naive Frage: Wir haben doch zu viel CO2 in der Atmosphäre. Könnte man das nicht nutzen? Markus Lehner: In der Atmosphäre ist CO2 nur in geringen Konzentrationen, was zwar für klimaerwärmende Effekte ausreicht, nicht aber für die Nutzung in technischen Prozessen. Außer man reichert es an, indem man es selektiv an einen Stoff bindet und dann wieder löst. Dieses Verfahren nennt man Direct Air Capture. Oder man geht an die Quellen, wo CO2 konzentrierter vorliegt, in Industrieprozessen wie dem Hochofen – in der Stahlindustrie etwa. Doch auch das ist für technische Prozesse zu wenig und muss ebenfalls angereichert werden. Die damit verbundenen Technologien werden unter dem Begriff Carbon Capture zusammengefasst. Und daraus lassen sich neue Produkte herstellen? Ja, das nennt man dann Carbon Capture and Utilization. Wir haben über die vergangenen 150 Jahre eine Kohlenstoffchemie entwickelt, die auf Erdöl und Erdgas basiert. Davon ausgehend gewinnen wir viele Stoffe wie Treibstoffe oder Kerosin. In der Kohlenstoffchemie gibt es sogenannte Plattformchemikalien, woraus wir alles Mögliche herstellen können – Farben, Lacke, Säuren, Harze oder Kunststoffe. Alles hat Kohlenstoff als Baustein. Das ginge auch auf CO2 -Basis, doch das ist meist komplizierter oder teurer. Und bei energieaufwendigen Prozessen kann es sein, dass man letztlich mehr CO2 emittiert, als man gebunden hat. Das ist also in jedem Einzelfall genau zu prüfen.
Warum hat man dennoch so lange zugewartet, um CO2 für diese synthetische Herstellung zu nutzen? Solange Erdöl günstig ist und der Ausstoß von CO2 so wenig kostet, zahlt es sich nicht aus. Für einen Umstieg muss es eine klare CO2 -Bepreisung geben. Das ist ein regulatorisches Muss. Die EU hat das ja mit dem Green Deal vorgegeben, bei dem etwa der Zertifikatehandel deutlich teurer werden wird. Volkswirtschaftlich betrachtet tragen die Kosten, die durch den Klimawandel entstehen, wir alle. Eine direkte Bepreisung der Verursacher selbst erfolgt nicht oder bisher zu wenig. Hier braucht es eine staatliche Steuerung, um neue Herstellungsverfahren in großem Ausmaß realisieren zu können. Nur so ist es möglich, die Kosten zu senken, unter anderem, um nachhaltige „E-Fuels“, oder „grünes Kerosin“ aus CO2 und Wasserstoff zu erzeugen. Das wird herausfordernd für die Industrie. Einerseits muss sie für die CO2-Bepreisung zahlen, auf der anderen Seite in neue Technologien investieren. Wie kann das gehen? Dazu brauchen wir staatliche Unterstützung. Wir planen aktuell eine Anlage für ein Zementwerk. Für Projekte wie dieses hat die EU einen Innovationsfonds ausgelegt, der jährlich mit einer Milliarde Euro dotiert ist und der genau solche Projekte fördert. Ein Konsortium aus OMV, Borealis, Verbund und Lafarge plant aktuell eine Anlage, in der man aus CO2 und Wasserstoff Kunststoff herstellen kann. Dann wird es notwendig sein, jene Unternehmen, die von höheren Kosten betroffen sind, wettbewerbsmäßig zu schützen. Das kann etwa durch eine CO2 -Steuer geschehen – beim Import von chinesischem Stahl, der immer günstiger sein wird, und noch mehr, wenn wir CO2 -frei produzieren wollen. Wie sehen die Unternehmer diese Situation? Ich arbeite seit zehn Jahren an diesem Thema. Hat man damals mit Vertretern aus der Industrie gesprochen, hörte man eher: Interessant, aber nicht wichtig für uns. Das hat sich grundlegend geändert. Allen großen Unternehmen ist bewusst, dass es Gamechanger braucht, damit Dinge sich ändern, und zwar ernsthaft – ohne Greenwashing.


Diese Betriebe sind bereit zu investieren, und das sind mehrere Hundert Millionen, die schon jetzt geplant sind, um CO2 -neutral zu werden. In der Stahlindustrie etwa lässt sich mit einer Alternative zur Hochofentechnologie auf Basis Wasserstoff viel erreichen. Für die voest etwa würde das bedeuten, die gesamte Roheisenerzeugung umzustellen, also bis auf das Walzwerk das gesamte Stahlwerk neu zu bauen. Das ist eine enorme Investition in die Infrastruktur und eine Mammutaufgabe, die über viele Jahrzehnte gehen wird. Als Brückentechnologie wird es Carbon Capture and Utilization brauchen. Wie weit ist man schon bei der Nutzung von CO2? Es gibt erst wenige Beispiele, die künstliche Erzeugung von Harnstoff etwa oder die Herstellung von Polyol, das in Polyurethan umgewandelt wird und in Matratzen oder Bodenbelägen Verwendung findet. Sonst gibt es Verfahren, die einen hohen technischen Reifegrad hätten, etwa die Herstellung von synthetischem Methan (Hauptbestandteil von Erdgas, Anm.). Das ließe sich in großem Maßstab errichten und bauen, doch synthetisches Methan ist drei bis fünf Mal teurer als fossiles Erdgas. Für eine umweltfreundliche Herstellung bräuchte es Wasserstoff, der ohne CO2 , sondern nachhaltig in einer Wasserelektrolyse erzeugt werden müsste, doch dafür haben wir noch zu wenig erneuerbaren Strom verfügbar. Österreich muss hier überhaupt aufholen, will es bis 2030 den gesamten Strombedarf über erneuerbare Energie decken. Zusätzlicher Bedarf entsteht, wenn wir auf Elektromobilität umstellen wollen. Auch wenn wir Wasserstoff als Energieträger haben wollen, braucht es zur Herstellung erneuerbaren Strom.

von Daniela Müller Leoben

Salzburger Nachrichten

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