Strugl pocht für Energiewende auf breiten Schulterschluss

30. September 2021, Wien
Verbund-Vorstand Michael Strugl
 - Wien, APA/HANS PUNZ

Der Generaldirektor des Verbund-Stromkonzerns, Michael Strugl, hält einen breiten Schulterschluss für den Umbau des Energiesystems für unabdingbar, um die Dekarbonisierung und damit auch die Klimaziele erreichen zu können. Es gehe um eine Akzeptanz in der Bevölkerung, aber auch um Mut bei den Entscheidern in der Politik. „Die Gesellschaft als ganze muss sich dazu bekennen, dass wir das machen müssen – dafür ist auch eine geistige Wende nötig“, sagte Strugl am Mittwochabend.

Genehmigungsverfahren und auch Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sollten nach Möglichkeit gestrafft werden. Die Rechte betroffener Parteien und die Partizipation der Anrainer stünden zweifellos in einem Spannungsfeld mit der Rechtssicherheit und der Investitionssicherheit für Projektbetreiber. Verfahren dürften nicht 20 oder 15 Jahre dauern, bis man eine 380-kV-Stromleitung bauen könne. „Um Verfahren zu straffen und zu beschleunigen, gibt es schon Möglichkeiten.“

Österreich habe sich für das Ziel einer vollständig erneuerbaren Stromerzeugung vorgenommen, bis zum Jahr 2030 zur derzeitigen Produktionskapazität von 26 Gigawatt (GW) an installierter Leistung nochmals 19 bis 20 GW dazu zu bauen. So viel sei das deshalb, weil es sich dabei hauptsächlich um volatile Erzeugung wie Windräder und Photovoltaik handle.

Das vielfach genannte Ausbauvolumen von 27 Terawattstunden (TWh) bis 2030 sei „nicht einmal die halbe Miete“, denn die neue Erzeugung müsse auch ans Netz. Deshalb müsse zeitlich synchron und regional abgestimmt ein Netzausbau erfolgen. Zudem gelte es, zusätzliche Flexibilität zu schaffen und neue Speicher vorzusehen, etwa Pumpspeicherkraftwerke. Zur Zeit verfüge Österreich über nur 4,5 GW Speicher à la Kaprun, gebraucht würden doppelt soviel, nämlich 9 GW. Weil man damit aber bereits an topografische Grenzen stoße, könnte auch die Speicherung von erneuerbarem Gas ein Thema sein.

Die gesamte E-Wirtschaft sei bereit, für die Stromwende mehr als 40 Mrd. Euro für Österreichs Energiewirtschaft zu investieren, davon 18 Mrd. Euro in eine Verstärkung der Stromnetze und den Rest für Erzeugungseinheiten. Angesichts der langen Genehmigungen und der Schwierigkeit, auch ausreichend Flächen für die neue Erzeugung zu finden, mache er sich „Sorgen, ob das wirklich gelingen wird“, sagte Strugl, der auch Präsident des Branchenverbandes Oesterreichs Energie ist.

Für den nötigen gesellschaftlichen Schulterschluss für die Energiewende müsse das Bewusstsein für die Notwendigkeiten geschärft werden: „Ja, wir wollen diese Energiewende und wir wissen, dass man damit verbunden auch die Symbole, also die Windräder, die PV-Panele, die Stromleitungen und die Wasserkraftwerke sehen wird.“ Erforderlich dafür sei auch ein Abgehen von der Sichtweise „not in my backyard“.

UNO-Generalsekretär António Guterres habe im August den jüngsten IPCC-Klimabericht als „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ mit unwiderlegbaren Beweisen für den menschlichen Einfluss auf das Klima bezeichnet, erinnerte Strugl bei einem Kamingespräch im Wiener MAK (Museum für angewandte Kunst), wo derzeit noch die Ausstellung „Climate Care“ läuft. Schaffe man den Umbau nicht und die Eindämmung der Erderwärmung bei 1,5 Grad und die Senkung der CO2-Emissionen, „dann werden wir ganz andere Dinge sehen“ wie etwa die Veränderung der Meeresküsten, ein Artensterben sowie vermehrte Wetterextreme, so Strugl: „Bei ‚Code Red‘ ist ein sofortiges Handeln mit der ganzen Kraft nötig, eine immediate response.“

Die Energiewende brauche Mut, und man müsse damit rechnen, dass es Widerstand gibt. Sein Konzern mit einer dank Wasserkraft 97-prozentigen Erneuerbaren-Erzeugungsquote sei bereit, hier eine Leitfunktion zu übernehmen und voranzugehen. Auch die Entscheider in der Politik und die Beamten in der Verwaltung dieser Republik würden Mut benötigen. „Wenn einzelne vorangehen, kann das eine große Wirkung haben“, verwies der Verbund-Chef darauf, dass Österreich zehn Jahre früher als die EU klimaneutral sein wolle und dass die EU ihre Klimaziele verfolge, auch wenn beispielsweise China oder die USA noch weiter kräftig emittieren. „Natürlich kann man sich fragen, was bringt es. Aber irgendjemand muss anfangen, auch wenn etwa ‚unser‘ Beitrag gering ist“, gemeint der österreichische.

Abseits der E-Wirtschaft mit ihrem Erneuerbaren-Ausbauprogramm im Umfang von zusätzlich 27 Terawattstunden (TWh) bis 2030 seien in Österreich für die Energiewende in Richtung Dekarbonisierung noch wesentliche Fragen zu klären, etwa wie man mit dem Verkehrssektor, dem Wärmesektor und der Gaswirtschaft umgehe. Dieser Diskurs sei in Wahrheit noch nicht geführt worden. Deutschland sei da einen Schritt weiter, allerdings seien dort auch die Herausforderungen größer: 2022 solle in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen, für 2038 sei der Ausstieg aus der Kohleverstromung geplant. Damit würden 50 GW gesicherte Leistung verloren gehen, das doppelte der gesamten Stromerzeugungsleistung in Österreich. „Die sind schon sehr stark in das Wasserstoff-Thema eingestiegen, was bei uns noch kommen muss.“

APA

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