Auf dem sicheren Weg zum politischen Blackout

5. Oktober 2021

Stromnetz. Der von vielen Experten befürchtete großflächige Zusammenbruch des Stromnetzes wird eher ideologische als technische Ursachen haben: Wenn die Physik der Politik folgen muss, dann ist die Katastrophe wohl vorprogrammiert.


Zweimal ist Europa in diesem Jahr schon haarscharf an einem Albtraumszenario vorbeigeschrammt: Dem großflächigen Ausfall der Stromversorgung. Ein solcher „Blackout“, da sind sich die Experten einig, würde, wenn er länger dauert, zu chaotischen, anarchischen Zuständen führen.


Wie realistisch ist ein solches Szenario? Immerhin haben die Stromgesellschaften dieses Ereignis ja beide Male rechtzeitig eingefangen. Wenn auch mit lokalen Verwerfungen, nämlich großflächigen „Lastabwürfen“, wie die temporäre Wegschaltung von Großverbrauchern zwecks Netzstabilisierung so schön genannt wird.
Man könnte also sagen, dass die Techniker die Sache relativ gut im Griff haben. Dass die Angst vor dem großen Blackout trotzdem so sehr steigt, dass in Österreich schon das Bundesheer zu Blackout-Übungen schreitet, hat freilich einen besonderen Grund: Der stark steigende Anteil von destabilisierendem „Flatterstrom“ aus Wind- und PV-Kraftwerken im Netz. Der ist nämlich nur sehr schwer prognostizierbar. Und noch schwerer beherrschbar, weil diesen Erzeugungskapazitäten ja gesetzlich absoluter Vorrang eingeräumt wurde.


Soll heißen: Welche Kapriolen auch immer Wind und Wetter schlagen – die Stromgesellschaften müssen diese Produktion auf jeden Fall abnehmen und zusehen, wie sie das in ihren Netzen unterbringen. Denn dort muss immer genau so viel Strom eingespeist werden, wie gerade abgezapft wird. Wind und Sonne scheren sich aber nicht darum.
Das ist so lang kein Problem, als ausreichend Regel- und Ausgleichskapazitäten vorhanden sind. Also etwa Speicher- und Gaskraftwerke für auftretende Spitzen und Laufwasserkraft-, Kernkraft- und Kohlekraftwerke für die gleichmäßige Basisversorgung (Grundlast), die Wind und Sonne definitionsgemäß nicht liefern können. Theoretisch könnten auch gewaltige Batteriespeicher diesen Part übernehmen. Nur – die werden kapazitätsmäßig noch sehr lang keine Rolle spielen, zumal sie völlig unwirtschaftlich sind.


Dieses System funktioniert bisher sehr gut. Doch jetzt kommt die Politik ins Spiel: Die politisch akkordierte und auch dringend notwendige CO2-Reduktion setzt den weitgehenden Verzicht auf fossile Kraftwerke voraus. Daran führt kein Weg vorbei.


Allerdings muss dieser Systemumbau Schritt für Schritt so erfolgen, dass das System selbst nicht aus den Fugen gerät. Genau das droht demnächst aber zu geschehen, wenn die wichtigste Industrienation Europas bis zum kommenden Jahr tatsächlich alle Kernkraftwerke abdreht und bis Mitte kommenden Jahrzehnts auch alle Kohlemeiler schließt.
Also einen Großteil der Grundlastabdeckung aufgibt, ohne ausreichend Ersatz zur Verfügung zu haben. Eine Zeit lang geht das sicher mit forcierten Importen von Kernkraft- und Kohlestrom. Wenn aber größere Teile Europas in diese Richtung umschwenken, dann ist die Krise perfekt.


Das führt zur Frage: Wieso will das unter den politischen Entscheidungsträgern niemand sehen? Vielleicht deshalb, weil die Expertise fehlt und das Bewusstsein, die Welt zu retten, beratungsresistent macht?
Es entsteht jedenfalls der Eindruck, dass (sehr frei nach Kickl) die Physik der Politik zu folgen hat, und nicht umgekehrt. Und das ist leider die beste Voraussetzung für den politisch generierten Blackout, der uns droht.
Im Land, das bei der Energiewende am weitesten vorgeprescht ist, lässt sich dieses Expertise-Blackout an Hand einiger Aussagen von prominenten Grünen – die ja Treiber der Entwicklung sind – sehr schön nachvollziehen.
Man muss gar nicht ein paar Jahre zurückgehen, um den damaligen Grünen-Chef und gelernten Sozialpädagogen Cem Özdemir zu zitieren, der gemeint hatte, Deutschland habe kein Problem, weil der Spitzen-Stromverbrauch bei „80 Gigabyte“ liege, die Produktion gleichzeitig aber bei „140 Gigabyte“. Ja, genau, Gigabyte!
Man muss auch nicht den „Kobold“ in den Batterien bemühen, den die gerade gescheiterte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock unsterblich gemacht hat. Um Leute erschauern zu lassen, die auch nur in die Grundlagen der Elektrotechnik hineingeschnuppert haben, reicht ihr Sager völlig, dass Stromspeichern kein Problem sei, weil „das Netz als Speicher“ funktioniert.


Endgültig für aufgerollte Zehennägel sorgt freilich ein Blick auf die Website der bisherigen Vorsitzenden des Umweltausschusses des deutschen Bundestags, der grünen Germanistin Sylvia Kotting-Uhl: „Grundlast ist beim Blick auf das Energiesystem der Zukunft ein Begriff von gestern“, liest man da staunend. Und: „Wir werden keinen Strom mehr brauchen, der beständig und schwer regulierbar durch die Netze fließt.“


Eh nicht, die Leute sollen gefälligst kochen, fernsehen oder ihre E-Autos laden, wenn Strom gerade da ist. Diese Form der „angebotsorientierten Energiepolitik“ funktioniert in der Dritten Welt doch auch. Das sind übrigens die Leute, die möglicherweise in einer kommenden Regierung entscheidend die Energiewende mitgestalten.
Währenddessen redet man in Österreich von 100 Prozent CO2-freier Stromversorgung bis 2030, obwohl jeder eigentlich wissen müsste, dass das in einem Land schwer möglich ist, das an Wintertagen oft 50 und mehr Prozent seines Strombedarfs aus überwiegend tschechischen Kernkraft- und Kohlekraftwerken importieren muss. Und nein, so viele PV-Paneele und Windräder kann man nicht installieren, dass sich das in einer Dunkelflaute bei gleichzeitig winterlich verminderter Wasserführung der Flüsse kompensieren ließe.


Man sieht: Der wirklich große Blackout wird wahrscheinlich kein technisch, sondern ein politisch verursachter. Vielleicht sollte man wieder ein bisschen stärker technische Expertise in die Diskussion einbinden, auch wenn diese mit der Ideologie gelegentlich übers Kreuz gerät. Die energiepolitische Dominanz ideologisch geprägter Politologen, Germanisten und „Völkerrechtler mit Londoner Kaufabschluss“, wie der „Welt“-Kolumnist Don Alphonso gegen die deutsche Grünen-Chefin neulich stichelte, wird uns sonst recht ordentlich auf den Kopf fallen.


E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Die Presse

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