„Wird nicht ohne Energieimporte gehen“

12. Oktober 2021

Energie- und Klimawende. ÖAMTC-Experte Wiesinger sieht ebenso wie Industriellen-Präsident Knill grobe Mängel bei Energiestrategie. Wiesinger wirft Gewessler „Pippi Langstrumpf“-Zugang bei Energiezukunft vor

Gleich zu Beginn überrascht ÖAMTC-Experte Bernhard Wiesinger im KURIER-Gespräch: Ja, auch der ÖAMTC ist der Ansicht, dass die Ökostromziele bis 2030 erreicht werden können. Diese sehen vor, dass die Treibhausgas-Emissionen in allen Bereichen – also etwa beim Verkehr oder bei den Gebäuden – um mehr als die Hälfte (im Vergleich zu 2019) sinken müssen.
Aber, so Wiesinger: sicher nicht mit den aktuellen Maßnahmen. „Weil die setzen ausschließlich auf die Elektromobilität.“ Es brauche vielmehr eine Technologie-Offenheit und damit einen Zugangzu synthetischen und biogenenKraftstoffen, also E-Fuels.

Hürden bei E-Fuels

Dabei wird in sehr großen Elektrolysen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespaltet. Dann wird chemisch der Wasserstoff unter anderem mit CO₂ verbunden und daraus künstlicher Diesel oder ebensolches Benzin erzeugt.
Das Problem dabei (abgesehen von den hohen Produktionskosten): Dafür braucht mehr sehr viel „grünen“ Strom aus nachhaltigen Quellen wie Wind oder Wasser. Mehr als in Österreich produziert werden kann, glaubt Wiesinger: „Wir werden ohnehin nicht ohne Energieimporte auskommen können, weil sehr viele Prozesse sehr viel saubere Energie benötigen.“

Wiesinger schlägt vor, dass dort, wo viel Windkraft möglich ist (Wiesinger nennt etwa Island) oder die Sonne sehr viel stärker scheint (Wiesinger nennt Nordafrika) der Wasserstoff und diese E-Fuels produziert werden sollen. „Damit ändert sich auch nichts am Verteilmodus an den Tankstellen, nur am Produkt.“ Eine weitere Hürde sei außerdem noch, ob die EU die E-Fuels als saubere Alternative erlaubt. Derzeit ist das nicht der Fall.

Wiesinger rechnet vor, dass wir mit den aktuellen Ausbauplänen für die Ökostrom-Produktion nicht auskommen werden. „Wir brauchen ja mehr als 27 Terawattstunden bis 2030. Das entspricht fünf Laufkraftwerken wie jenem in der Freudenau plus 1.200 Windräder plus zwei Millionen Dächer mit Fotovoltaik.“ Die Politik sage, das sei sehr herausfordernd, erklärt Wiesinger – er selbst meint indes: „Das lässt sich kaum erreichen.“ Im Klima- und Energieministerium von Leonore Gewessler sieht er einen „Pippi-Langstrumpf-Zugang“, wo man sich die „Welt, widewide wie sie mir gefällt“ schönrechne.

„Mit Russland reden“

Außerdem: Um bis 2040 klimaneutral werden zu können, müssten auch die energieintensiven Industrien auf Grünstrom umgestellt werden. „Die Voest braucht dafür dann 33 Terawattstunden, die chemische Industrie 63 Terawattstunden.“
Ganz ähnlich sieht das der neue Präsident der Industriellenvereinigung Georg Knill. Im KURIER-Gespräch erklärt der Unternehmer: „Wenn wir uns eine CO₂-freie Energie wünschen, dann müssen wir auch gewillt sein, die entsprechenden Projekte für alternative Energien zuzulassen.“

Speziell der in Deutschland geplante Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom zeige, dass die Frage, woher die benötigte Energie kommen soll, noch ungeklärt sei. „Mögliche Lösungen sind Liefervereinbarungen mit ausländischen Partnern. Wir müssen mit Russland intensiv diskutieren, Gas könnte hier als Übergangstechnologie notwendig sein.“ Wie auch der ÖAMTC-Experte sieht Knill eine Chance in Energieimporten aus anderen Weltregionen: „Wir müssen überlegen, was wir mit Afrika in puncto Fotovoltaik machen können; in Patagonien ist die Effizienz von Windkraft sechsmal so groß wie in Österreich.“

„Nicht fertig gedacht“

Knill, der im oststeirischen Familienbetrieb gemeinsam mit seinem Bruder bereits in zwölfter Generation tätig ist, sagt weiter, dass er befürchte, dass den wenigsten bewusst sei, „was auf uns zukommt. Dass die Transformation extrem viel Geld kosten wird, muss uns allen klar sein. Die EU-Kommission spricht von 4.000 Milliarden Euro für den Green Deal allein bis 2030. Die 800 Milliarden Euro für den EU-Recovery Fund, die ja nur zum Teil in die Ökologisierung fließen werden, sind gleichsam nur die Vorspeise.“

Und der IV-Präsident äußert auch ganz grundsätzlich Bedenken: „In vielerlei Hinsicht ist die ganze Transformation noch nicht fertig gedacht. Wir sind sehr ambitioniert die ersten Schritte gegangen, und jetzt sehen wir, was alles noch unklar ist. Das bringt auch eine massive Verunsicherung mit sich.“

Kurier

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