Emissionen. Die Menschheit steuert auf den zweithöchsten Anstieg der CO2-Emissionen in ihrer Geschichte zu. Die Internationale Energieagentur warnt vor neuen Preisschocks und fordert mehr Geld für den Aufbau der grünen Energiezukunft.
Erdöl, Kohle, Gas. Trotz aller Gesetze, Konferenzen und Demos für den grünen Wandel basieren Wohlstand und Wachstum der Menschen heute immer noch auf diesen drei fossilen Energieträgern. Im Vorjahr lieferten sie fast 80 Prozent des globalen Energiebedarfs, und auch der heurige Wirtschaftsaufschwung lebt davon, dass in Kraftwerken Kohle, Öl und Gas verheizt werden. Die Folge: Die Treibhausgasemissionen der Welt werden 2021 aller Voraussicht nach den zweitstärksten Anstieg der Geschichte verzeichnen, schreibt die Internationale Energieagentur IEA in ihrem am Mittwoch veröffentlichten „World Energy Outlook“. Der Thinktank der Industrienationen legt den Bericht heuer einen Monat früher vor als üblich, damit seine Erkenntnisse Eingang in die Gespräche der Vereinten Nationen beim Weltklimagipfel in Glasgow finden können.
Die IEA, in den vergangenen Jahren nicht als großer Vorkämpfer für Klimaschutz aufgefallen, wird in ihren jüngsten Berichten zunehmend deutlicher: „Die Welt investiert nicht genug, um den künftigen Energiebedarf zu decken“, warnt IEA-Chef Fatih Birol. Es fließe weder genug Geld, um die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten, noch um künftige Preisschocks bei den alten fossilen Brennstoffen zu verhindern.
Peak Oil spätestens in 2030ern
In den vergangenen zwölf Monaten sind die Preise für Öl, Gas und Kohle um ein Vielfaches gestiegen. China und Indien müssen Firmen und Haushalten den Strom rationieren, um die Lage unter Kontrolle zu behalten. Auch in Europa haben erste Stahl- und Chemiewerke ihre Produktion aufgrund der hohen Energiekosten bereits gedrosselt oder gänzlich eingestellt.
Investitionen in neue Öl- und Gasfelder gab es in den vergangenen Jahren kaum, da die Branche allgemein davon ausgegangen ist, dass die Nachfrage aufgrund der globalen Klimapolitik sinken werde. „Tatsächlich deuten die Verkaufszahlen von Autos mit Verbrennungsmotoren und der Ausbau der Gasinfrastruktur weltweit auf einen steigenden Öl- und Gasverbrauch hin“, schreibt die IEA. Bleibt die Nachfrage nach fossiler Energie so hoch, werde es in den kommenden Jahren immer wieder Angebotslücken geben, die die Preise plötzlich nach oben treiben.
Um das zu verhindern, müssten die Regierungen mehr Geld in die Hand nehmen – und vor allem klare Verhältnisse schaffen, fordert Birol. Die Klimakonferenz in Glasgow sei der richtige Rahmen, um der Wirtschaft glaubhaft zu erklären, in welche Richtung sich die Energiebranche bewegen solle. Erst dann würden auch genug private Mittel fließen. Derzeit deutet hingegen nur wenig darauf hin, dass die Staaten den Umbau des Energiesystems ernsthaft betreiben würden. Nach einer aktuellen Studie des Internationalen Währungsfonds halten die meisten Länder etwa an umweltschädlichen Subventionen für Kohle, Öl und Gas fest – auch in Europa.
Dennoch rechnet die IEA selbst in ihrem konservativsten Szenario damit, dass die Nachfrage nach Erdöl spätestens Mitte der 2030er ihren Höhepunkt erreichen wird. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten Wasser, Sonne und Wind allerdings deutlich schneller zu den dominierenden Energiequellen werden. Die Investitionen in saubere Energie müssten in den nächsten zehn Jahren auf rund 3,5 Billionen Euro verdreifacht werden. Die Reduktion des Methanausstoßes sei dabei ebenso wichtig wie der Ausbau der Erneuerbaren (siehe Grafik).
Grüne Billionen zu verdienen
Aber nicht alle Staaten hätten das notwendige Kapital, um die Abkehr von Kohle, Öl und Gas zu stemmen. Je ärmer die Länder, desto höher sei üblicherweise ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Von den zusätzlichen Geldern sollten daher rund 70 Prozent in Entwicklungs- und Schwellenländer fließen, fordert Birol.
Im Gegenzug verspricht er den Aufbau eines Weltmarkts für Windturbinen, Solarpaneele, Lithium-Ionen-Batterien, Elektrolyseure und Brennstoffzellen von „weit mehr“ als einer Billion Dollar pro Jahr. Das ist in etwa vergleichbar mit dem, was aktuell in der Ölwirtschaft erwirtschaftet wird.
Auch die Energieverbraucher würden von einem zügigen Umbau in Richtung grüner Energie profitieren, sagt die IEA. Geht der Wandel ambitioniert vonstatten, träfe ein neuerlicher Schock bei den Öl-, Gas- und Kohlepreisen die Haushalte um ein Drittel weniger als bei einem langsameren Kurs in Richtung Erneuerbare.
Die Presse