Die Umstellung der Stromversorgung auf Erneuerbare und die Dekarbonisierung anderer Sektoren erfordert noch mehr Investitionen ins Hochspannungsnetz. In den nächsten zehn Jahren will die Austrian Power Grid (APG) bis zu 3,5 Mrd. Euro in ihre Netze stecken – um 400 Mio. Euro mehr als 2020 geplant, primär getrieben durch Umspannwerke. Man wünscht sich raschere Genehmigungen, den Schutz bestehender Trassen und eine abgestimmte Gesamtplanung bis hin zu Speichern und Erzeugung.
„Die 3,5 Milliarden Euro sollten wir zeitgerecht umsetzen können“, sagte der kaufmännische APG-Vorstandsdirektor Thomas Karall und verwies vor Journalisten darauf, dass die in Bau befindliche 380-kV-Salzburgleitung eigentlich zehn Jahre zu spät komme. Die 3,5 Mrd. Euro sind 17 Prozent der 18 Mrd. Euro, die die E-Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren in die Netzinfrastruktur investieren will. Zum Vergleich: Für die Investments in die Erneuerbaren-Erzeugung (12 Gigawatt PV, 9 GW Wind, 6 GW Laufwasserkraft sowie 8 GW Speicher- und Pumpspeicher) sind rund 25 Mrd. Euro veranschlagt. Bestehende Netz-Trassen sollten von anderen Widmungen freigehalten werden, um 110- oder 220-kV-Leitungen bei Bedarf schneller aufrüsten zu können, so der technische APG-Vorstand Gerhard Christiner. Weil die Raumordnung in Österreich „eine heilige Kuh“ sei, wolle man direkt mit den Bürgermeistern in Kontakt kommen. Bei den Verfahrensbeschleunigungen wolle man keine Rechte Betroffener einschränken, betonte Karall.
Zunächst erfolgt der Aus- und Umbau der Strominfrastruktur, für die die APG heuer rund 360 Mio. Euro in die Hand nimmt, im Hinblick auf den bis 2030 geplanten Erneuerbaren-Ausbau im Umfang von 27 Terawattstunden (TWh). Danach hat der Übertragungsnetzbetreiber aber auch schon die in Österreich für 2040 geplante Klimaneutralität im Blick, derzufolge laut Christiner bis dahin eine Dekarbonisierung von mehr als 200 TWh erfolgen sollte, die derzeit hauptsächlich von kalorischen Energieträgern wie Öl (122 TWh, Mobilität) oder Erdgas (55 TWh, Wärme) beigesteuert werden. Von den im Jahr 2019 in Österreich in Summe verbrauchten 320 TWh seien nur 64 TWh oder ein Fünftel auf Strom entfallen.
Bereits für die bis 2030 hinzukommenden 27 TWh seien die Netze „derzeit überhaupt nicht ausgebaut – da tut sich ein Spannungsfeld auf“. Ohne zusätzliche Ertüchtigungen wären etliche Leitungsabschnitte schon 2030 zu 30 Prozent der Zeit überlastet, warnte Christiner. Dabei könne man das Jahr 2030 antizipieren, 2040 sei aber noch ein bisschen ein Blick ins Trübe, denn da sei noch einiges an technologischen Neuerungen und Entwicklungen nötig. Wenn zu einem Zeitpunkt zu viel Strom da sei, reiche auch der Netzausbau nicht mehr, „wir können den Strom ja nicht hin- und herschicken“. Es müsse das Gesamtsystem „intelligenter“ gemacht, an Speicherlösungen gearbeitet und der Kunde stärker eingebunden werden.
In ganz Europa würden künftig die Stromflüsse zunehmen, auch getrieben durch Handelsströme: „Wir bekommen die Signale, dass der Stressfaktor im europäischen Netzsystem steigt“, so Karall. Man sollte sich die Frage stellen, wann es hier Sinn mache, in Wasserstoff zu gehen bzw. vom Strom in grünes Gas zu gehen, meinte Christiner: „Es bräuchte da schon eine Systemplanung über Österreich hinaus. Der Wasserstoff könnte wieder in Gasturbinen verbrannt werden – wir müssen technologieoffen denken.“ Auch die Strom-Ladeinfrastruktur für E-Autos hätte eine Generalplanung gebraucht. Oft werde da eine Ladeinfrastruktur „an falschen Plätzen gebaut – man hat es dem Markt überlassen.“ Man hätte besser den Netzbetreibern die Grundausstattung überlassen sollen und diese danach privatisieren können. Die 5 Mio. Autos in Österreich könnten ein beträchtlicher Batteriespeicher sein, man sollte die Kunden aktiv einbinden und ihnen über die Strompreise Anreize für netzdienliches Verhalten geben – mittags sei Strom an günstigsten.
Durch die in Ostösterreich geplanten Erneuerbaren-Erzeugungseinheiten für Windstrom werde der Netzreserve-Bedarf der APG schon sinken, erwartet Christiner – bisher musste man zum Ausgleich ja immer wieder viel Geld fürs Redispatch ausgeben. Zu klären sei aber der künftige Bedarf an (überwiegend kalorischen) Netzreserve-Kraftwerken für den Fall einer „Dunkelflaute“, also wenn weder Wind weht noch die Sonne Strom liefern kann. Für 2023/24 würden hier in der APG bereits die Berechnungen laufen. Derzeit verlasse man sich hier auf Stromimporte, sagte Karall. Das könnte künftig aber vielleicht nicht mehr so einfach sein: Bereits 2022 würden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen und damit 60 bis 70 TWh Strom fehlen, „das ist der Stromverbrauch von ganz Österreich. Das wird man in Europa spüren“, so Christiner. Zudem geht der APG-Vorstand davon aus, dass die neue Bundesregierung in Deutschland den Ausstieg aus der Kohleverstromung, bisher bis 2038 geplant, zumindest auf das Jahr 2030 vorziehen wird.
APA