Die Bilanz der österreichischen Treibhausgas-Emissionen erzählt nur einen Teil der Geschichte. In der heutigen globalisierten Weltwirtschaft sind viele Länder, auch Österreich, stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden. Im Land wird eine Vielzahl an Produkten konsumiert, die weder hierzulande noch in der EU produziert wurden. „Unser Konsum generiert massiv Emissionen in anderen Ländern und Weltregionen“, sagt WU-Professor Stefan Giljum im Gespräch mit der APA.
Deshalb sei es wichtig, auch eine konsumbasierte Perspektive auf die globalen Emissionen in die Klimaschutzdebatte einzubringen, so der Ökonom, der am Institut für Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) forscht und lehrt. „Wenn man sich die Struktur der Weltwirtschaft vor Augen führt, dann wird klar, dass eine rein produktionsorientierte Perspektive nur einen Teil der Geschichte erzählt.“ Berücksichtigt man den CO2-Ausstoß der in Österreich konsumierten Waren und Dienstleistungen statt der hier produzierten, steigt der CO2-Ausstoß fast um die Hälfte.
Während produktionsbasierte, territoriale Berechnungen des Treibhausgas-Ausstoßes bereits in den 1990er-Jahren im Rahmen des Kyotoprotokolls weltweit etabliert und standardisiert wurden, ist die konsumbasierte Sichtweise, die auch als „CO2-Fußabdruck“ bekannt ist, auf nationalstaatlicher Ebene noch nicht sehr gängig.
Bei produktionsbasierten Analysen der Treibhausgas-Emissionen wird auf nationale und EU-weite Statistiken zurückgegriffen. Relevant sind hier beispielsweise die im Land gefahrenen Lkw-Kilometer, die Anzahl der Gasheizungen, die im Land betrieben werden oder wie viel Fleisch produziert wird. Solche Daten seien grundsätzlich relativ gut abdeckbar, zumindest in den reichen Ländern mit gut ausgebauten statistischen Systemen, so Giljum.
Die Daten, die für eine konsumbasierte Herangehensweise notwendig sind, seien hingegen nicht so einfach zu bekommen. „Viele Wertschöpfungsketten fangen irgendwo auf dem Planeten an, mit einem Eisenerzabbau irgendwo in Brasilien, einem Sojaanbau in Argentinien oder einem Apfelanbau in Neuseeland. Das heißt, ich muss mir ein globales Berechnungsmodell überlegen“, erklärt der WU-Professor. Dazu müsste man zum Beispiel wissen, was in chinesischen Kohlekraftwerken passiert, „dort wird Strom produziert, der in unglaublich vielen Produkten steckt, die dann von China nach Europa importiert werden“.
Für eine umfassende konsumorientierte Analyse des Treibhausgas-Ausstoßes müsste man also über alle Länder weltweit genau Bescheid wissen. Die konsumorientierte Perspektive sei nicht neu, territoriale Analysen der Emissionen hätten sich einfach aufgrund der besseren Datenlage durchgesetzt, so Giljum.
Letztendlich gehe es in all diesen Berechnungen darum, wie die globalen Treibhausgas-Emissionen zwischen den verschiedenen Akteuren aufgeteilt werden, sagt der Ökonom. Die Summe der weltweiten Emissionen bleibt dabei natürlich immer die gleiche, die gewählte Berechnungsmethode bildet jedoch die Basis für politische Entscheidungen darüber, wem welcher Teil der Verantwortung beim Klimaschutz zu kommt. Auf Basis der produktorientierten Analyse „sagt man, China muss sich darum kümmern sein Energiesystem umzustellen, das hat nichts mit uns zu tun“, so Giljum. Die konsumorientierte Berechnung sei aber „natürlich auch eine extreme Form“, bei der Emissionen nur dem Endkonsumenten zugerechnet werden.
Ziel sei es deshalb, einen Mittelweg zu finden, bei dem sowohl das produzierende als auch das konsumierende Land Teil der Problemlösung sind, nämlich der Reduktion der Emissionen. „Wenn man akzeptiert, dass Europa eine Mitverantwortung für Emissionen in China hat, dann wäre ein Mittelweg zu sagen, wir helfen mit und kofinanzieren Projekte, die saubere Energie in Entwicklungsländern ermöglichen“, so Giljum.
Eine konsumorientierte Analyse der globalen Emissionen würde bedeuten, dass den reichen Ländern wesentlich mehr zugerechnet wird, als das bisher der Fall ist. Gleichzeitig würden diese Emissionen bei anderen Ländern, insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländern, weggerechnet werden. Deren Fußabdruck liegt nämlich unterhalb der territorialen Emissionen.
Im Jahr 2018 lagen die österreichischen Produktionsemissionen bei rund 70,6 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten, demgegenüber standen konsumorientierte Emissionen von rund 101,1 Mio. Tonnen. Damit lagen die konsumbasierten Emissionen um 43 Prozent über dem territorialen Ergebnis, rechnet der Ökonom vor. Zwei Drittel der Treibhausgase, die mit unserer Ernährung in Österreich zusammenhängen, entstünden beispielsweise im Ausland.
In den letzten Jahren hätten immer mehr Unternehmen Initiativen gestartet, um den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu senken und dazu auch begonnen, die Emissionen zu untersuchen, die in den Lieferketten entstehen. Auch das europäische Statistikamt Eurostat habe eine Methode entwickelt, um den CO2-Fußabdruck der europäischen Länder zu berechnen. „Da tut sich sehr viel“, sagt Giljum.
In Zukunft werde sich dadurch auch die Datenverfügbarkeit deutlich verbessern, weil Unternehmen oft einen besseren Zugang zu Produkt- und Rohstoffdaten hätten, erwartet der Ökonom. Konsumbasierte Ergebnisse seien derzeit noch nicht so belastbar wie produktionsbasierte Berechnungen, die bessere Datenverfügbarkeit könne das aber in den kommenden Jahren ändern und so auch die Anerkennung der Methode steigern.
APA