Energieversorgern kommt bei der Realisierung der Klimaziele eine bedeutende Rolle zu. Doch viele Stadtwerke und regionale Versorger haben bislang noch keine konkreten Nachhaltigkeitspläne entwickelt, wie aus einer Umfrage der Managementberatung Horváth unter 80 Versorgungsunternehmen im deutschsprachigen Raum hervorgeht. In Deutschland entspricht die Stichprobe nach den Angaben einer Marktabdeckung von 70 %.
Ein Drittel der Befragten gab an, über kein Zieldatum für das Erreichen von Klimaneutralität zu verfügen. Ein weiteres Drittel strebt Klimaneutralität bis 2035 an. Wenig verwunderlich: 75 % der Energieversorgungsunternehmen (EVU), die kein konkretes Zieldatum haben, besitzen auch keine Strategie zur systematischen Reduktion ihrer CO-Emissionen. Weniger als 10 % bescheinigen sich heute schon Klimaneutralität.
Nach Einschätzung der Studienautoren liegt das mutmaßlich auch am hohen Investitionsbedarf, der mit Nachhaltigkeitszielen verbunden ist. So rechnen 38 % der Versorger damit, dass ihnen nicht ausreichend Cash-flows zur Verfügung stehen wird. Das Problem dürfte sich künftig noch verschärfen, da sich die Europäische Investitionsbank vom kommenden Jahr an aus der Finanzierung fossiler Energieträger zurückzieht und private Banken dem Trend folgen dürften.
Zugleich gehen 80 % der Versorger von einem erhöhten Investitionsbedarf in das Stromnetz bis 2025 aus. Nach Einschätzung von 40 % beläuft sich die Steigerung auf mehr als 10 %. Ähnlich sehe es mit Blick auf das Wärmenetz aus. Hier erwarten nach der Umfrage 70 % steigende Investitionen, 35 % taxieren den zusätzlichen Bedarf auf mehr als 10 %. Etwas anders sieht es bei Investitionen in das Gasnetz aus. Hier planen nur 30 % der Befragten mit höheren Investitionen.
Wo das Geld für die steigenden Investitionen herkommen soll, ist unklar, rechnen doch 60 % der Befragten mit weiter sinkenden Margen im klassischen Geschäft mit Strom und Gas für Privatkunden und das, obwohl die Umfrage vor den jüngsten Preisturbulenzen am Gasmarkt durchgeführt wurde. Entsprechend wollen sich die Versorger vermehrt dem Lösungsgeschäft und der Breitbandversorgung zuwenden. Dort werden die höchsten Ergebnisbeiträge erwartet. 38 % der Befragten geht davon aus, dass die Erträge aus dem Lösungsgeschäft jene aus dem klassischen Geschäft bis 2030 übersteigen werden.
Als größte Herausforderung für die Strategieentwicklung machen mehr als die Hälfte der Befragten die Erhöhung des Digitalisierungsgrads und Veränderungen der IT-Systemlandschaft aus. Das liegt nicht zuletzt an der fehlenden Kompetenz im eigenen Haus, die jedem zweiten Versorger Kopfschmerzen bereitet. Zugleich sehen 80 % der Versorger den Online-Vertrieb als künftig wichtigsten Vertriebskanal an und zwei Drittel der EVUs glauben, mithilfe der Digitalisierung Effizienzgewinne von mehr als 10 % einstreichen zu können.
Wenngleich dem Thema Wasserstoff unverändert große Aufmerksamkeit beikommt, geben mehr als Hälfte der Versorger an, das Potenzial von Wasserstoff für das eigene Geschäftsmodell nicht oder nur schwer einschätzen zu können. „Energieversorger mit ihrer regionalen Positionierung sind eigentlich prädestiniert, um in einem Wasserstoff-Netzwerk als Anbieter, Verteiler oder Schnittstelle zu fungieren – riskieren aber nun durch fehlende Strategie, diesen Vorteil zu verspielen“, glaubt Studienleiter und Horváth-Energieexperte Matthias Deeg.
Börsen Zeitung