Der Verbund profitiert von den hohen Strompreisen, den Weg zur Energiewende erlebt der Versorger aber als Spießrutenlauf
Warum er mit hohen Strompreisen nicht glücklich ist und Frauenförderung ein langfristiges Thema ist, erklärt Verbund-Chef Michael Strugl im OÖN-Interview.
OÖNachrichten: Haushalte und Firmen stöhnen unter den hohen Strompreisen. Wie lange noch?
Strugl: Die Großhandelspreise auf den Terminmärkten lagen zuletzt für das Basisprodukt für 2023 noch bei 147,10 Euro, der Preis sinkt 2024 und 2025 Richtung 100 Euro. Aber je näher der tatsächliche Zeitpunkt des Verbrauchs kommt, desto stärker steigt der Preis. Ich gehe davon aus, dass wir noch längere Zeit hohe Strompreise haben. Zu 90 Prozent ist das auf die hohen Gaspreise zurückzuführen, zu zehn Prozent auf die CO2-Bepreisung.
Ist der hohe Strompreis nicht kontraproduktiv für die Energiewende? Wir sollen weniger Energie verbrauchen, werden aber mehr Strom benötigen.
Alle Primärenergieträger sind durch den Energiehunger Asiens und den Konjunkturaufschwung weltweit teurer geworden. Aber es ist natürlich nicht gut, wenn grüner Strom sehr teuer ist, der Lenkungseffekt durch die CO2-Bepreisung ist so gedacht, dass grüner Strom attraktiver wird.
Derzeit importieren wir viel Strom aus Deutschland und Tschechien. Der Strom aus Tschechien stammt aus Temelin und aus Kohlekraftwerken. Lügen wir uns in Österreich selbst an, wenn es um grünen Strom geht?
Für alle, die sich mit dem Thema befassen, ist diese Entwicklung nicht überraschend und bekräftigt, dass die Stromversorgung eine europäische Angelegenheit ist. Österreich erzeugt 78 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern. Aber im Winter haben wir eine Versorgungslücke. Die kann man entweder durch Importe schließen und über Speicher. Wer sind die Exporteure? Deutschland, Tschechien und Frankreich. Letztere haben Atomkraftwerke.
Müsste Österreich bei den Speichermöglichkeiten nicht offensiver sein? Wo bleibt der nationale Schulterschluss?
Wir brauchen tatsächlich mehr Speicher. Zehn Terawattstunden (TWh) müssen quasi vom Sommer in den Winter verschoben werden. Zum Vergleich: Der Gesamtjahresverbrauch für Strom liegt in Österreich bei rund 73 TWh. Für diese zehn TWh brauchen wir elf Gigawatt an Speicherkapazität. Derzeit haben wir nur rund ein Drittel davon. Der Verbund investiert eine halbe Milliarde Euro in Pumpspeicheranlagen in Kaprun und im Kärntner Mölltal. An der Donau in Riedl beginnt demnächst das Genehmigungsverfahren für den Energiespeicher. Der Pferdefuß ist bei allen Anlagen die Frage, wie lange die Verfahren dauern.
Besteht nicht die Gefahr, dass ausgerechnet umweltbewegte Bürgerinitiativen diesen Umbau zur Energiewende verzögern?
Diese Ambivalenz sehen wir bei Kraftwerken, bei Speichern genauso wie beim Stromnetz. Wir wollen den grünen Strom, aber nicht die Anlagen dazu. Das wird sich nicht ausgehen. Wir planen nach strengen ökologischen Kriterien, aber irgendwann muss das Projekt stehen. Das ist ein kritischer Punkt: Wir brauchen grünes Licht für grünen Strom. Derzeit erleben wir einen Spießrutenlauf.
Der Verbund hat mit einer Reihe abgeschriebener Wasserkraftwerke aktuell quasi die Lizenz zum Gelddrucken.
Drucken können wir es nicht. Aber wer jetzt produziert, ist in einer vorteilhaften Situation und profitiert von höheren Marktpreisen.
Soll die öffentliche Hand, der die Erzeuger ja mehrheitlich gehören und die massiv von höheren Energiepreisen profitiert, die Preissteigerungen abfedern?
Alle Regierungen in Europa müssen nachdenken, wie sie jetzt unterstützen. Sie haben höheren Einnahmen aus Dividende, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Ökostromabgabe und CO2-Abgabe. Ein Drittel des Strompreises entfällt auf Steuern und Abgaben. Eine Senkung wird wohl über diese Schiene stattfinden. Das ist eine politische Entscheidung.
„Studien belegen, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen und über eine höhere Effektivität und Innovationskraft verfügen als homogen zusammengesetzte Gruppen.“ Sie kennen das Zitat?
Wahrscheinlich ist es von uns. Ja, wir machen die Erfahrung, gemischte Teams bringen bessere Ergebnisse. Das gesamte Unternehmen profitiert von Diversität.
Das Zitat stammt aus dem Geschäftsbericht des Verbund. Darin gibt es die Selbstverpflichtung: 20 Prozent Frauen bis 2025. Bei Neuaufnahmen liegt deren Anteil bei 20 Prozent – so steigt die Quote sehr langsam.
Das sind die Zahlen aus dem Geschäftsbericht. 2021 hat sich einiges bewegt. Das Bauen und Betreiben von Kraftwerken war stark männerdominiert. Das ist unsere Geschichte. Das hat zu den extrem niedrigen Frauenquoten geführt. Das zu ändern, beschäftigt uns massiv. Über die Jahre ist da nur langsam etwas weitergegangen. Deshalb haben wir 2020 ein sogenanntes Gender-Balance-Projekt gestartet für mehr Vielfältigkeit.
Was ist dessen Kern?
Wir haben uns eine Beraterin ins Haus geholt. Es gab eine Befragung unter den Beschäftigten, wir haben uns die Zahlen genau angesehen. Dazu eine Analyse in der Zentrale und an Kraftwerksstandorten: Wie schaut es mit der Arbeitszeit aus? Haben alle gleichen Zugang? Wie schaut es aus mit Karenzmodellen, mit Karrierewegen? Dann wurden erfolgskritische Schlüsselfelder definiert, um den Frauenanteil zu erhöhen. Am Ende ist es ein Kulturthema. Wie verändern wir Verhalten?
Und das Ergebnis?
Wir haben Pakete geschnürt, von Diversity-Netzwerken bis zu inklusiver Sprache. Wir haben uns die Kinderbetreuung angeschaut. Jetzt gibt es Mentoring-Programme und Anlaufstellen für Frauen. Wir haben sehr früh erste Erfolge gesehen.
Die da wären?
Wir haben heute bei den Neuaufnahmen eine Quote von 29,2 Prozent. Wir haben den Frauenanteil von 18,3 auf 19,3 Prozent heben können. Bei den Führungskräften konnte die Quote von 9,3 auf 13,5 Prozent erhöht werden. Frauen sagen, sie würden merken, dass das vom Vorstand wirklich gewollt wird. Jetzt gehen wir in die Mühen der Ebene. Langfristig gibt es so viel Potenzial von Frauen im Unternehmen und am Arbeitsmarkt, das brauchen wir.
Sie sagen, Sie kommen in die Mühen der Ebene, aber das Projekt ist Ende 2021 ausgelaufen.
Das Projekt ist abgeschlossen. Wir haben aber eine Unternehmensrichtlinie etabliert, mit Strukturen und eigenen Beauftragten im Konzern, die darauf achten, dass die Maßnahmen umgesetzt werden. Das klingt zwar ein bisschen nach zusätzlicher Bürokratie. Wir haben das diskutiert, aber so bleibt das Thema auf der Agenda und wird organisatorisch abgebildet.
Wirklich verbindlich werden Vorgaben, wenn sie in die Zielvereinbarungen der Führungskräfte kommen. Das ist im Verbund seit 2017 der Fall. Reichen die?
Wir haben das priorisiert, und es gab auch Diskussionen mit den Führungskräften, die argumentiert haben, wie sollen wir das schaffen … Manchmal haben wir sie verfehlt, weil es nicht gelang, genug Frauen zu befördern. Wir legen einen strengen Maßstab an, und da wird auch nicht geschummelt.
Der Verbund hatte einmal einen Frauenanteil im Vorstand von 25 Prozent, jetzt ist er null.
Diese Frage wird sich der Aufsichtsrat stellen. Ich gehe davon aus, dass auch er sensibilisiert ist.
„Langfristig gibt es so viel Potenzial von Frauen im Unternehmen und am Arbeitsmarkt, das brauchen wir.“
„Alle Regierungen in Europa müssen nachdenken, wie sie jetzt unterstützen. Ein Drittel des Strompreises entfällt auf Steuern und Abgaben.“
Oberösterreichische Nachrichten