Putins Retourkutsche?

22. Juni 2022, Wien

Gas. Gazprom drosselte die Lieferungen in die EU, auch Österreich ist betroffen. Offiziell sind technische Probleme bei Nord Stream Grund. Ist das glaubhaft?

Deutschland, Frankreich und Italien: Das sind die drei Großen der EU, deren Regierungschefs diese Woche die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht haben. Und just in diese drei Länder floss am Donnerstag weit weniger russisches Gas als bisher. Eine Retourkutsche des Kreml für den Besuch in der von Russland überfallenen Ukraine? Die offizielle Begründung lautet anders, und auch Länder wie Österreich, Tschechien und die Slowakei sind von gedrosselten Lieferungen betroffen. Warum klemmt der Gashahn?

1 Warum hat Gazprom die Gaslieferungen nach Europa reduziert, und wer ist davon betroffen?

Die russische Gazprom spricht von technischen Problemen im Zusammenhang mit der Ostseepipeline Nord Stream 1. Die Probleme seien aufgrund der Sanktionen gegen Russland auf absehbare Zeit nur schwer zu beheben. Konkret würden wichtige Teile aus Kanada benötigt, aber die seien nicht lieferbar. Deshalb würden die Lieferungen via Nord Stream auf etwa 40 Prozent der Pipeline-Kapazität heruntergefahren. Fast die Hälfte der russischen Gaslieferungen nach Europa kommen durch die Ostseepipeline.

Betroffen sind deshalb mehrere Länder, die Gas via Deutschland beziehen. Gar kein russisches Gas floss zuletzt nach Frankreich. Dort findet diesen Sonntag die zweite Runde der Parlamentswahlen statt. Die Bewegung um Amtsinhaber Emmanuel Macron lag in der ersten Runde gleichauf mit dem Linksbündnis um Jean-Luc Mélenchon. Soll zusätzliche Unsicherheit auf den Energiemärkten den Präsidenten schwächen? Unwahrscheinlich, Frankreich ist beim Gas kaum abhängig von Russland, selbst bei einem vollständigen Lieferstopp würden in einem normalen Winter keine Engpässe drohen.

Neben Deutschland, dort spricht man bereits von einer angespannten Versorgungslage, wirken sich die Engpässe auch auf Österreich aus, hier kam am Donnerstag laut OMV ein Drittel weniger russisches Gas an.

2 Ist Russlands Begründung für die Lieferengpässe glaubhaft?

Die technische Erklärung ist laut Experten glaubhaft; die von Gazprom benötigten Teile kann Siemens derzeit nicht liefern. Auf einem anderen Blatt steht, wie sehr Russland daran interessiert ist, die technischen Probleme rasch zu beheben. Branchenkenner gehen davon aus, dass das Land das nötige Know-how habe, die Probleme auch ohne westliche Ersatzteile zu beheben. Der deutsche Wirtschaftsminister, Robert Habeck (Grüne), hält die Begründung der Gazprom jedenfalls für vorgeschoben. Russland wolle Unsicherheit schüren und die Gaspreise weiter hochtreiben.

Bereits angekündigt ist, dass die Ostseepipeline von 11. bis zum 21. Juli gar kein Gas liefern wird, Grund sind Wartungsarbeiten.

3 Drohen in Österreich jetzt Engpässe bei der Gasversorgung?

Russische Gaslieferungen via Ukraine kommen weiter uneingeschränkt nach Österreich. Und insgesamt übersteigen die Lieferungen nach wie vor den Bedarf, es wird also weiter eingespeichert. Aber freilich etwas langsamer als bisher. Wie sich die reduzierten Liefermengen auf die Versorgungssicherheit in Österreich auswirken, hängt davon ab, wie lang diese Situation anhält. „Wenn es stimmt, dass technische Probleme der Grund sind und diese behoben werden, dann verzögert sich die Befüllung der Speicher um Tage oder Wochen“, erklärt Wifo-Ökonom Michael Böheim: „Wenn dauerhaft weniger Gas kommt, sieht die Sache anders aus. Aber eine Vorhersage lässt sich Stand jetzt kaum treffen.“

E-Control-Chef Alfons Haber beruhigte am Freitag jedenfalls im Gespräch mit der „Presse“. Stand jetzt hat Österreich mehr als 40 Prozent seines Jahresbedarfs an Gas eingespeichert. Damit stehe Österreich mit seinen großen Speicherkapazitäten gut da. Deutschland etwa kann auch bei vollen Lagern nur rund ein Viertel seines Jahresbedarfs abdecken, Österreich 100 Prozent.

von Aloysius Widmann

Die Presse

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