Raus aus dem Gas: Operation am offenen Herzen

22. Juni 2022

Die dominierenden Gesprächsthemen unter den zahlreichen Wirtschaftskapitänen am Pogusch waren auch die Zuspitzung der Energiekrise, die Sorge vor einem russischen Gaslieferstopp und die Preise, die weiter auf breiter Front anziehen.

Weder Prachtwetter noch Almidylle konnten jene großen Themen wegzaubern, die den Wirtschaftsstandort derzeit intensiv beschäftigen. Der Krieg und seine Folgen, explodierende Preise, die gedrosselten russischen Gaslieferungen und die bange Frage, ob der Gasfluss komplett versiegen könnte, dominierten die Gespräche unter den Wirtschaftsbossen.

Seit dieser Woche ist auch Österreich mit sinkenden Liefermengen konfrontiert – das könne man derzeit aber ausgleichen, zumal der Verbrauch und damit die Nachfrage saisonal momentan niedrig seien, betont OMV-Vorstandschef Alfred Stern. Die OMV-Speicher seien zu mehr als 60 Prozent gefüllt, damit liege man über dem österreichischen und europäischen Schnitt. „Es ist also ein Puffer da und der Markt ist auch liquide.“ Doch aktuell können durch die Drosselung nicht mehr so große Mengen eingespeichert werden. Die Taskforce der OMV arbeite seit Februar rund um die Uhr, bei den Preisen erlebe man „emotional getriebene Sprünge, die sich noch verstärken könnten“, so Stern. „Wir müssen weiter mit einer angespannten Versorgungslage im Herbst rechnen.“

Könnte das russische Gas komplett ausbleiben? Wolfgang Leitner, Aufsichtsrat der Andritz AG, rechnet nicht damit, doch Russland ziehe „jetzt die Daumenschrauben an, sie werden aber nicht die völlige Eskalation des Konflikts riskieren“, so die Einschätzung von Leitner.

Auch KTM-Lenker Stefan Pierer sieht trotz der jüngsten Entwicklungen „keine unmittelbare Gefahr für einen totalen Lieferstopp“. Politisch werden Maßnahmen getroffen, „aber wir sind spät dran“. Magna-Chef Günther Apfalter registriert, dass die Einschläge – in Form von immer mehr Ländern, die weniger oder gar kein russisches Gas mehr erhalten – näherkommen, „das macht uns schon nervös“, ein Gasstopp hätte „sehr schnell gravierende Folgen“. Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess sieht die Lage differenziert: Als Autoproduzent sei man kein großer Gasverbraucher, das treffe eher Zulieferer. „Aber Angst bereitet mir vor allem: Wenn wir wirklich in eine Gasknappheit kommen, dann wird das dramatische Auswirkungen auf die Volkswirtschaft haben.“

„Die Anspannung ist auch in Österreich in Politik und Wirtschaft spürbar“, unterstreicht Verbund-Vorstandschef Michael Strugl. „Man sieht jetzt die Vulnerabilität des Systems. Die Versorgungssicherheit wurde in Europa lange nicht diskutiert und steht jetzt im Fokus.“ Derzeit würden oft kleine Ereignisse wie die Ankündigung einer Drosselung der Gaslieferungen für ein einzelnes Land ausreichen, „um höchste Nervosität auszulösen und die Preise schlagartig steigen zu lassen. Das wirkt sich dann auch umgehend auf den Strompreis an den Börsen aus“. Gelassenheit empfinde naturgemäß auch er nicht, „Richtung Herbst sind wir im Verbund sehr konzentriert“. Klar sei aber auch: „Systeme zu transformieren geht nicht von heute auf morgen, noch dazu, weil es eine Operation am offenen Herzen ist.“

Hauptaufgabe – auch der Politik – müsse nun die Suche nach Alternativquellen sein, unterstreicht der Holzindustrielle Franz Mayr-Melnhof. Er gibt auch zu bedenken, dass gerade „die besonders gasabhängigen Branchen und Industriezweige vielfach auch besonders personalintensiv“ seien, es gehe also auch um sehr viele Arbeitsplätze.

„Jede Ankündigung Russlands, am Gasvolumen zu drehen, heizt aus Unsicherheit die Spekulation und damit die Preise an, das wird bewusst geschürt“, sagt Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Drosselungen würden bedeuten, dass die Einspeicherung von Gas nun nicht so vorangehe wie geplant. „Wir befinden uns in einer Spirale von Verschärfungen.“

Die Verunsicherung rund um die Energieversorgung gepaart mit der Teuerung trifft auch die Handelsbranche, wie Hofer-Chef Horst Leitner einräumt: Zum einen spüre man die Kostensteigerungen bei Logistik und Energie, „auf der anderen Seite konnten wir die gestiegenen Einkaufspreise noch nicht an die Endkunden weitergeben“. Der Dreh- und Angelpunkt sei „für die gesamte österreichische Lebensmittelindustrie, dass das russische Gas weiterfließt. Hier ist rund um die Arbeit an den Notfallplänen der Regierung noch einiges nötig“.

Der Befund von Spar-Chef Fritz Poppmeier: „Wir haben uns an Jahre der Nullinflation gewöhnt, jetzt steigt sie ruckartig.“ Die Preissteigerungen werden „nicht in vollem Umfang weitergegeben“, er prognostiziert aber, dass Preise etwa für Fette, Fleisch und Gemüse anziehen werden. „Es geht um lebbare Preise für Lieferanten und Handel und leistbare Preise für Kunden.“ Er hoffe, dass das Entlastungspaket der Regierung, vor allem das Aus für die kalte Progression, Wirkung entfalte, „es ist ganz wichtig, dass der Staat in einer Krise schlanker wird und die Mehreinnahmen zurückgibt und den Faktor Arbeit entlastet“.

Kleine Zeitung

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