„Kaum jemand würde Österreich beliefern“

27. Juli 2022

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck erklärt seine Politik: offen informieren, Menschen ernst nehmen, um selber ernst genommen zu werden. Vom Preisdeckel für Gas und Strom hält er nichts.

Am Ende eines langen Besuchstages mit drei Ministergesprächen traf der deutsche Vizekanzler Robert Habeck am Dienstag Präsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg. Kurz davor erklärte er dem Standard, was er in Wien gelernt habe. Von einem Alleingang beim Preisdeckel für Gas und Strom rät er Österreich ab. Eine Lösung sei nur auf EU-Ebene sinnvoll. Und der Wirtschaftsminister gab Einblick in seine politische Philosophie: Offenheit, auf Augenhöhe mit den Bürgern. Demokratie, das sei der größte Unterschied zu Wladimir Putins Russland.

STANDARD: Sie haben sich selbst einmal als „pragmatischer Idealist“ eingeordnet. Was ist in dieser tiefen Krise wichtiger in der Politik, pragmatisch zu sein oder Idealist?

Habeck: Der Gedanke dahinter ist, dass das keine Gegensätze sind, das eine das andere nicht ausschließt, sondern gegenseitig bedingt. Wenn man nicht bereit ist, im Alltag den nächsten Schritt zu gehen, in dem Sinne, sich auch einmal die Hände schmutzig zu machen, aus einer Sorge heraus, die reine Lehre ein Stück weit zu verraten, dann kommt man nicht voran. Aber wenn man andererseits nur dem Alltag verhaftet ist und keinen Wertekompass mehr hat, nicht mehr weiß, was die große Herausforderung unserer Zeit ist, dann vertut man sich vor lauter kleinen Dingen. Insofern würde ich sagen, ist dieses Gegensatzpaar von Pragmatismus und Idealismus eigentlich eine Polarität mit einer gewissen Spannung, die wir brauchen.

STANDARD: Bei Ihnen fällt auf, dass Sie die Probleme und Krisen öffentlich direkt ansprechen wie wenige Politiker in Europa. Sie warnten gar vor apokalyptischen Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Und trotzdem sind Sie einer der beliebtesten Politiker in Ihrem Land. Wie erklären Sie sich das?

Habeck: Ich konzentriere mich auf die Aufgaben und die Verantwortung, die ich habe, und die sind im Augenblick angesichts der angespannten Lage auf den Energiemärkten groß. Daher helfen diese Bewertungen nicht. Wir sind ja nicht bei einer Castingshow für Talentwettbewerbe, sondern in einer Profession, bei der man von der Sache her versuchen muss, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

STANDARD: Was ist Ihre innere Orientierung, nach der Sie Politik machen?

Habeck: Meine innere Haltung ist, auch schon vor dem Krieg, dass das Amt, welches ich innehaben darf, ein Privileg ist und dass ich dem Amt nur gerecht werde, wenn ich meine Zeit maximal nutze. Es gibt also keine Zeit zu vertun.

STANDARD: Muten Sie den Menschen auch deshalb beim Ukraine-Krieg und im Hinblick auf Russland unangenehme Wahrheiten so offen zu?

Habeck: Das ist wieder etwas anderes. Ja, es stimmt, die Gewalt, die Missachtung von Menschenleben beunruhigen und beschäftigen viele Menschen in Österreich und in Deutschland und sicher in ganz Europa. Aber es gibt zum Glück einen Hauptunterschied zu Russland. Viele sorgen sich. Wir leben in der EU in Ländern, wo Menschen sich ihre eigene Meinung bilden können. Und nach ihrer eigenen Meinung wählen sie sich eine Regierung. Also ist es gerade in dieser Zeit wichtig, dass Menschen informiert entscheiden können. Die Menschen häufen den ganzen Tag Wissen an, versuchen zu verstehen, was ihnen erklärt wurde. Debatte, Information und Rationalität sind jedenfalls der Gegenentwurf zu Populismus, Emotionalität und Bauchentscheidungen. Daher halte ich es für absolut notwendig, gerade in diesen schweren Zeiten Politik zu erklären und die schwierigen Abwägungen, die wir treffen müssen, zu erläutern. Dann kann sich jede und jeder ein eigenes Bild machen und die Entscheidungen frei bewerten.

STANDARD: Kommen wir zum Wien-Besuch. Was war für Sie die wichtigste Erkenntnis, speziell zur Gaskrise?

Habeck: Die Preisdebatte. Die Debatte über Preise und auch die Diskussion über Preiscaps ist in Österreich eine sehr viel stärkere Debatte als in Deutschland. Wir haben in Deutschland als Bundesregierung zwei Entlastungspakete besprochen, denn auch in Deutschland sind die Sorgen zu Recht sehr groß. Aber die Debatte über Preiscaps ist in Österreich stärker …

STANDARD: … der sogenannte Preisdeckel für Gas und Strom.

Habeck: Ja, genau, die Frage nach einem staatlichen Preisdeckel.

STANDARD: Sie halten offenbar wenig davon; es sei denn, man macht das europaweit abgestimmt?

Habeck: Ich glaube, dass man diese Frage nur europäisch diskutieren kann.

STANDARD:Wegen der Power?

Habeck: Genau. Wenn das einzelne Länder machen, also wenn zum Beispiel österreichische Versorger sagen würden, wir kaufen nur noch zur Hälfte des Preises, dann wäre die Folge, dass kaum jemand nach Österreich liefern würde, sondern dorthin, wo der höchste Preis bezahlt wird. Also muss man sich aus meiner Sicht abstimmen, und das kann eigentlich nur die EU-Kommission im Zusammenspiel mit den USA.

STANDARD: Meinen Sie, dass Alleingänge der Nationalstaaten dazu führen, dass man sich hochlizitiert und es am Ende zu Preissteigerungen kommt, wenn jeder glaubt, er könne die eine oder andere Einzelmaßnahme setzen?

Habeck: Das wäre die Reaktion des Marktes. Das Angebot dort zu setzen, wo der Preis am höchsten ist. Wir erleben das gerade. Nachfrage bei knappem Angebot führt zu höheren Preisen. Das hat die Konsequenz, dass weitere Gasvorkommen erschlossen werden, denn man kann Geld damit verdienen. Deshalb werden umgekehrt Effizienzen und erneuerbare Energien wichtiger, denn erneuerbare Energien sind eben nicht in den Händen einiger Weniger. Ich habe diese nachhaltigen Modelle heute erlebt beim Besuch der Wien Energie.

STANDARD: Sie haben die Großwärmepumpe in Simmering besichtigt. Was meinen Sie?

Habeck: Dass grüner Wasserstoff, der durch erneuerbare Energien statt durch Erdgas produziert wird, wegen der hohen Energiepreise viel marktgängiger ist als bisher. Wir erleben gerade eine Marktveränderung, ein Hochlaufen der erneuerbaren Energien, wie wir es uns vor einem halben Jahr nicht haben denken können. Und auch die Nachfrage nach grünem Wasserstoff steigt enorm.

STANDARD: Inwiefern spricht das gegen Preisdeckelung?

Habeck: Ich bin nicht überzeugt davon, dass eine Kappung bei den Preisen jetzt wirklich hilft. Damit wird das Signal gegeben, als sei Energie grenzenlos verfügbar in einer Zeit, wo wir Energie einsparen müssen. Es ist aber völlig klar, dass Menschen nicht allein gelassen werden dürfen mit den hohen Preisen. Da braucht es Unterstützung und Hilfe.

STANDARD: Was sind die spezifischen österreichischen Probleme, was sollte Österreich Ihrer Meinung nach jetzt zuerst tun?

Habeck: Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Wärmepumpe bei Wien Energie. Österreich sollte die Werbetrommel dafür rühren, dass möglichst viele Stadtwerke, deutsche und europäische Energieversorger sich dem anschließen. Das ist ein supercleveres System, aus Wärme, die schon da war bzw. ist, durch chemische Reaktion die vierfache Menge zu hebeln. Das ist super.

STANDARD: Sie sprachen in einer Pressekonferenz von einem Szenario, dass die russischen Gasströme nach Europa monatelang unterbrochen werden könnten und dass man mehr auf die Industrie achtgeben müsse, damit sie nicht wegkippt. Ähnliches hört man aus Frankreich. Ist das das realistischste Szenario, das uns im Herbst erwartet? Gehen Deutschland und Frankreich davon aus?

Habeck: Davon ausgehen kann man nicht sagen. Wir müssen auf das Beste hoffen und arbeiten, um das Schlimmste zu verhindern. Es kommt ja Gas nach Europa. Einen kompletten Abbruch der Lieferungen werden wir nicht erleben. Wir haben LNG-Terminals, wir haben andere Lieferanten. Nur ist die Menge beim russischen Gas so hoch, dass sie kurzfristig nicht komplett zu ersetzen ist. Umso mehr müssen wir gemeinsam mit ganzer Kraft den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, denn nur das schafft nachhaltig Energiesicherheit.

STANDARD: Heißt das, man wird Mangelwirtschaft betreiben müssen, Gas intelligent einsetzen?

Habeck: Wie groß der Mangel ist, werden wir sehen. Für Effizienz durch Verdrängung von Gas aus anderen Bereichen können wir Vorsorge treffen. Und dann geht es im Kern darum, dass wir darauf achten, dass wir immer genug Energie haben. Die Speicherstände, der Abfluss der Speicher bestimmen im Grunde die Maßnahmendichte. Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen. Entscheidend ist, dass wir die Speicher füllen, um im Winter die Mengen, die wir nicht ins Land bekommen, kompensieren zu können. Wir arbeiten seit Monaten hart daran und tun alles, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt.

Kommentare Seite 22

Robert Habeck (52), deutscher Vizekanzler und Wirtschaftsminister, davor Co-Parteichef der Grünen, 2012 bis 2018 Energiewendeminister im Bundesland Schleswig-Holstein, promovierter Philosoph, begann als Schriftsteller.
„Das Szenario: Wir müssen auf das Beste hoffen und arbeiten, um das Schlimmste zu verhindern.“

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