Deutsche Verbraucher müssen Gasumlage ab Oktober zahlen

19. August 2022, Berlin
Auch die OMV profitiere laut Aussendung von der Umlage - Wien, APA/THEMENBILD

Hunderttausende Verbraucher in Deutschland müssen die staatliche Gasumlage bereits am 1.10. zahlen und spüren damit deutliche Preissteigerungen. Viele lokale Versorger kündigten fristgerecht an, die Umlage schon zum Start an ihre Kunden weiterzugeben. Ob die von der Bundesregierung geplante Mehrwertsteuersenkung auf Gas dann schon beschlossen ist, ist offen. Sozialverbände forderten zusätzliche Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Donnerstag gesagt, der Steuersatz auf den Gasverbrauch solle von bisher 19 auf 7 Prozent fallen. Dies soll so lange gelten, wie die Gasumlage erhoben wird, also bis Ende März 2024. Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen – soll dies noch vor Oktober passieren, müssen die Entwürfe aber schnell ausgearbeitet werden. Die EU-Kommission hatte zuvor erklärt, eine vollständige Befreiung der Umlage von der Mehrwertsteuer sei nach EU-Recht nicht möglich.

Der Effekt der Steuersenkung ist für den einzelnen Bürger geringer als von Scholz zunächst dargestellt. Die Steuersenkung gleiche die Steuermehreinnahmen durch die staatliche Gasumlage aus, nicht aber die gesamte Umlage für die Bürger, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Scholz hatte am Donnerstag dagegen betont: „Mit diesem Schritt entlasten wir die Gaskunden insgesamt deutlich stärker als die Mehrbelastung, die durch die Umlagen entsteht.“

Mit der Gasumlage in Höhe von 2,4 Cent je Kilowattstunde können ab Oktober wegen der starken Drosselung russischer Lieferungen stark erhöhte Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben werden. Die Bundesregierung will damit Insolvenzen und einen Zusammenbruch der Energieversorgung verhindern.

Insgesamt profitieren elf Unternehmen von der Umlage, wie ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sagte. Zuvor war von zwölf die Rede gewesen. Nach „Handelsblatt“-Recherchen sind die wenigsten der Unternehmen auf staatliche Hilfe angewiesen. Neben dem Gasimporteur Uniper – für den die Regierung ein milliardenschweres Rettungspaket schnürte -, der EnBW-Tochter VNG und dem Regionalversorger EWE hätten auch der Importeur Sefe (ehemals Gazprom Germania), die österreichische OMV und das Schweizer Handelsunternehmen Axpo Mehrkosten über die Umlage geltend gemacht haben.

Auch der niederländisch-schweizerische Rohstoffhändler Vitol und sein Schweizer Wettbewerber Gunvor stehen laut Branchenkreisen auf der Liste, wie die Zeitung schrieb. Gerade die ausländischen Antragsteller profitierten aktuell besonders von den Rekordpreisen bei Strom, Öl und Gas.

Auf die Gaskunden dagegen kommen durch die Umlage erhebliche Preissteigerungen zu, und das ab Anfang Oktober. Energieunternehmen in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und anderen Ländern kündigten dies an. So hebt die SWB AG in Bremen den Gaspreis in der Grundversorgung zum 1. Oktober von 8,9 auf 11,78 Cent pro Kilowattstunde an. Zur sogenannten Gasbeschaffungsumlage kommt eine Speicherumlage.

Gasversorger müssen Kunden in der Grundversorgung mit sechs Wochen Vorlauf offiziell unterrichten, wenn sie die Gasumlage kassieren. Wenn sie den ersten möglichen Tag, den 1. Oktober, nutzen wollen, mussten sie dies bis Freitag mitteilen. Außerhalb der Grundversorgung könnten auch abweichende Ankündigungsfristen in den Vertragsbedingungen vereinbart sein, wie es beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hieß.

Dazu kommt, dass Versorger Schritt für Schritt die stark gestiegenen Beschaffungskosten weitergeben. Das Vergleichsportal Verivox zählt aktuell bei Gas 168 Preiserhöhungen von Grundversorgern für August, September und Oktober. Die durchschnittliche Erhöhung liege bei 44,1 Prozent, ein Drei-Personen-Haushalt habe dadurch Mehrkosten von durchschnittlich 1008 Euro pro Jahr. Die neuen Umlagen zur Gasbeschaffung und Gasspeicherung dürften in der Regel noch nicht in den Preisänderungen berücksichtigt sein.

Die von der deutschen Bundesregierung angekündigte Mehrwertsteuersenkung auf Gas sorgte für Kritik. Der Paritätische Gesamtverband wies darauf hin, dass die Senkung alle entlaste, „also auch diejenigen, die es überhaupt nicht nötig haben“. Der Spitzenverband der Wohlfahrtspflege plädierte für gezielte Hilfen an Menschen, „die ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können“.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte, Finanzminister Christian Lindner (FDP) müsse endlich ernsthaft über eine Übergewinnsteuer und eine Vermögensabgabe nachdenken, um Geld für die Entlastung der Schwächsten zu haben. „Außerdem muss sichergestellt sein, dass dieses Mal die Steuersenkung bei den Menschen wirklich ankommt. Es darf nicht wieder so laufen wie beim Tankrabatt.“ Lindner lehnt eine Übergewinnsteuer krisenbedingt hoher Gewinne von Unternehmen ab.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie bezeichnete die Mehrwertsteuersenkung als falsches Signal. „Gas zu sparen bleibt wichtig. Die Entlastung durch die angekündigte niedrigere Mehrwertsteuer geht an den Unternehmen vorbei, denn Unternehmen zahlen keine Mehrwertsteuer“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI. Die Unternehmen kämpften mit ausufernden Energiekosten, so Lösch. „Die Politik muss jetzt konsequent die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten und schutzbedürftige Unternehmen entlasten.“

APA/dpa

Ähnliche Artikel weiterlesen

Alte Kohleminen zu Pumpspeicherkraftwerken umfunktionieren

15. April 2024, Wien
Pumpspeicherkraftwerke müssen nicht unbedingt Berge verschandeln
 - Kaprun, APA/CLARA HOFER

Deutschland: Verkehr auch 2023 über erlaubten Klima-Limit

15. April 2024, Berlin
Bereits das dritte Jahr in Folge wurde das Klimaziel überschritten
 - Hamburg, APA/dpa

Wien Energie bietet Beteiligung an 30. Solarkraftwerk an

15. April 2024, Wien
Wien Energie setzt auch auf Bürgerbeteiligung
 - Wien, APA/THEMENBILD

Von der Leyen befürchtet Dumping bei chinesischen E-Autos

15. April 2024, Berlin/Brüssel
Von der Leyen sieht EU-Markt von chinesischer Überproduktion bedroht
 - Brussels, APA/AFP