Nach Brexit fürchten Briten Blackout

24. August 2022, London

Energiekooperation. Großbritannien war bis zum Austritt eng mit den Energienetzen der EU verbunden. Nun fürchtet die Industrie, dass Länder wie Frankreich nicht mehr liefern.

Die britische Regierung bereitet sich auf den Blackout vor. Laut der Agentur Bloomberg wird derzeit ein Worst-Case-Szenario durchgespielt, in dem die Energie- und Gasversorgung während des Winters völlig zusammenbrechen. Industrievertreter warnen, dass selbst diese Vorbereitungen nicht einen noch schlimmeren Fall einbeziehen: nämlich, dass die ehemaligen EU-Partner ihre Energielieferungen einstellen. Dann würden nämlich nicht nur die Energiepreise explodieren, sondern sich auch das Blackout-Risiko noch erhöhen.

Solange das Land EU-Mitglied war, konnte es auf Partner wie Frankreich, die Niederlande oder Belgien zählen. Um die Netzstabilität abzusichern, ist Großbritannien nach wie vor über Hochleistungsstromleitungen mit dem Kontinent verbunden. So half man sich in der Vergangenheit gegenseitig aus. Doch seit 2021 ist die britische Regierung aus dem internen europäischen Energiemarkt ausgetreten. Es gibt zwar noch Vereinbarungen über ein Handels- und Kooperationsabkommen bis 2026, doch je mehr London etwa in der Nordirland-Frage selbst den Bruch von Vereinbarungen mit der EU vorantreibt, desto unsicherer werden andere Kooperationen mit den ehemaligen Partnern. Frankreich hat bereits während des Fischereikonflikts im Herbst 2021 mit dem Kappen der Stromlieferungen nach Großbritannien gedroht.

Nun, da Frankreich selbst in Versorgungsengpässe gerät, fürchtet die britische Wirtschaft, dass die Energielieferungen zum politischen Spielball werden. Großbritannien ist Nettoimporteur von Energie. In den vergangenen Jahren kamen laut EU-Kommission fünf bis zehn Prozent des Stroms und vier bis zwölf Prozent des Gases von EU-Anbietern.
Der britische Energieexperte Benedict McAleenan versuchte gegenüber dem Magazin „Politico“ zu beruhigen: „Es gibt zweifelsfrei ein höheres Risiko als zu normalen Zeiten, aber das bedeutet noch keinen ungeplanten Blackout.“ Der Unterschied zu den vergangenen Jahren sei die geopolitische Lage. Wenn Russland in diesem Winter die Gasexporte in die EU einstellt und neue Probleme wie der kürzliche Ausfall französischer Atomkraftwerke hinzukommen, könnte sich die Lage zuspitzen. Britische Industrievertreter fürchten, dass dann Länder wie Frankreich nur noch ihre eigene Versorgung im Auge haben.

Abhängigkeiten auch bei Gas

Das gilt allerdings auch umgekehrt. So sehen die Notfallpläne in London vor, die Gasleitungen nach Europa zu kappen, falls Großbritannien Engpässe drohen — ein Stresstest der britischen Gasversorgung soll im September durchgeführt werden. Großbritannien hat den Vorteil, über LNG-Terminals in ausreichender Zahl zu verfügen — so wird ein Teil des für Europa vorgesehenen Flüssiggases auf der Insel dekomprimiert und über Pipelines nach Belgien und in die Niederlande gepumpt.

Ob die Briten in einem Ernstfall Ernst machen würden, ist allerdings unklar, denn ein Lieferstopp hätte für sie gravierende mittel- und langfristige Konsequenzen. Großbritannien verfügt nämlich kaum über Lagerkapazitäten und nutzt Erdgaslager in der EU, um Nachfragespitzen in besonders kalten Phasen des Winters zu kompensieren — je nach Temperatur geht es dabei um 20 bis 25 Prozent des britischen Gesamtverbrauchs. Dreht die Regierung in London der EU den Gashahn zu, hätte sie spätestens bei der übernächsten Kältewelle ein Problem.

Die Presse

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