Es wird finster werden, die Frage ist nur wo

31. August 2022

Alles wird gut. Während Deutschland schon heute eisern Energie sparen soll, damit aus der Gas- keine Stromkrise wird, scheint Österreich gegen solche Ideen noch immun zu sein. Deutschland brauche im Sommer viel knappes Erdgas, um Elektrizität zu erzeugen, erklärte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) kürzlich im Radio. In Österreich kümmerten sich in den warmen Monaten hingegen Wasser, Wind und Sonne darum, dass genügend Strom da ist. Das ist beruhigend. Wenn es denn wahr wäre.

Die Realität sieht derzeit leider anders aus. Auch in Österreich herrscht Dürre, Wasserkraftwerke liefern nicht so viel Strom wie gewohnt. Am vergangenen Mittwoch erzeugten sie beispielsweise nicht einmal die Hälfte der benötigten Menge, auch bei Wind herrschte Flaute. Stattdessen wurde — mitten im August — munter Erdgas in den Kraftwerken verbrannt. Im Schnitt der letzten 30 Tage relativiert sich das Bild etwas, aber auch da lieferte Gas etwa fünf Mal mehr Strom als alle Solaranlagen zusammen. Der drohende Strommangel in Europa macht sich nicht nur in der Verzwanzigfachung (!) der Preise bemerkbar. Auch die Gefahr eines Blackouts rückt rasch näher.

Zu wenig Strom ohne Gas. Frankreich leidet etwa darunter, dass die Hälfte der 56 Nuklearreaktoren, die das Land sonst mit Strom versorgen, gewartet werden oder defekt sind. Auch Großbritannien fürchtet Engpässe, wenn die Stromexporte aus dem Nachbarland ausbleiben. In Spanien ist der Wasserstand der Flüsse hingegen auf den niedrigsten Stand seit drei Dekaden gefallen. Die Stromproduktion aus Wasserkraft wird sich heuer fast halbieren. In Griechenland warnt die Regierung bereits offen davor, dass sich im Winter auch die Haushalte auf rollierende Stromabschaltungen einstellen müssten, wenn russische Gaslieferungen ausbleiben.

In Österreich sind die Gaskraftwerke zwischen Oktober und März ebenfalls entscheidend für die sichere Versorgung des Landes. „An manchen Tagen erzeugt Österreich ohne Gas-Kraftwerke nur die Hälfte des Bedarfs“, sagte Gerhard Christiner, Technikvorstand des Übertragungsnetzbetreibers APG, zur „Presse“. Was tun, wenn das Gas fehlt? Importe könnten die Lücke auch dann nicht decken, wenn die Nachbarländer genug Strom hätten. Die Leitungen sind nicht stark genug. Mit Blick nach hinten ist ein Blackout in Österreich dennoch höchst unwahrscheinlich. Seit den 1950er-Jahren hat das Land keinen flächendeckenden Stromausfall mehr erlebt. In allen Übungen und Simulationen fließt spätestens nach zwei Tagen wieder Strom. Dennoch drängen erste Landespolitiker die Bevölkerung nicht ohne Grund, für den Ernstfall vorzusorgen.

Denn das Risiko eines Blackouts steigt. Das bescheinigt auch eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Austrian Institute of Technology. Extreme Hitzeperioden, der Umstieg auf erneuerbare Energieträger, der Elektrifizierung aller Lebensbereiche führe das Stromsystem an die Grenzen der Belastbarkeit.
„Durch den Umbau der Strominfrastruktur steigt die Komplexität des Gesamtsystems. Dadurch erhöht sich systemisch betrachtet auch die Anfälligkeit für Störungen und Ausfälle“, schreiben die Autoren. Der Bedarf an Reservekapazitäten steige an. Darunter versteht man Kraftwerke, die auch ohne Wind und Sonne starten. Um die Stromversorgung wieder neu aufbauen zu können, müssen sie zudem ohne Elektrizität hochfahren können. Pumpspeicherkraftwerke können das, reichen für Österreich aber nicht aus. Bisher galten die Gaskraftwerke als letzter verlässlicher Anker. Und jetzt?
Die Studie wurde vor Ausbruch des Krieges erstellt. Das Problem, dass den Kraftwerken nun auch noch der Brennstoff ausgehen könnte, ist da noch gar nicht mit einkalkuliert.

Die exportierte Energiekrise. Doch Europa hat einen großen Vorteil: Es hat verhältnismäßig viel Geld. Und dieses Geld setzt der Kontinent aktuell dafür ein, um sich so viel Gas wie möglich zu beschaffen. Seit Monaten liefert etwa Amerika große Mengen seines verflüssigten Schiefergases (LNG) in die EU und gleicht so den Ausfall der Russen aus. Damit mindert Europa das Risiko, aus Gasmangel in einen Blackout zu schlittern, stark. Die unangenehmen Nebeneffekte dieser Strategie bekommen andere zu spüren.

Seit Europa aggressiv LNG aufkauft, steigen die Preise so stark, dass die bisherigen Käufer in Asien nicht mehr mithalten können. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass das prognostizierte Wachstum der Gasnachfrage in Asien bis 2050 um die Hälfte einbrechen wird, weil die lokalen Versorger nicht genug Geld haben, um mit den Europäern mitzuhalten. Das trifft vor allem die ärmeren Staaten der Region, die ihren Strom mit Gas erzeugen. Jüngst scheiterte etwa Pakistan beim Versuch, für August LNG-Lieferungen zu ergattern. Katar will gern liefern — allerdings nicht vor 2026. Anderen Staaten geht es nicht besser.

Europa könnte noch einmal Glück haben: Glück, dass nicht alle Kohle- und Atomkraftwerke eingemottet sind, und Glück, dass es reich genug ist, um den Löwenanteil der freien LNG-Mengen zu hamstern. Gelöst ist das Blackout-Problem damit nicht, bestenfalls verschoben. Ein wenig nach hinten — und ans andere Ende der Welt.
matthias.auer@diepresse.com

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