Europa sucht die Stromlösung

31. August 2022

In ganz Europa machen sich die Regierungen Gedanken darüber, was passiert, wenn große Energieversorger so wie hierzulande die Wien Energie in die Bredouille geraten – mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen.

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stimmte seine angesichts der Energie- und Wirtschaftskrise verängstigten Landsleute schon im Juni auf harte Zeiten ein: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage zuspitzt.“

Konkreter Anlass: Der größte deutsche Gasimporteur Uniper geriet gefährlich ins Trudeln, Alarmstufe Rot in Europas größter Industrienation. Die Novelle des Energiesicherungsgesetzes, die die Ampelkoalition in Berlin im Eiltempo beschlossen hat, wird deshalb auch „Lex Uniper“ genannt. Doch auch anderswo macht man sich Gedanken, wie die EU-Staaten ihre mitunter taumelnden Energieversorger – Stichwort Wien Energie – krisenfester machen können.
QDeutschland Damit der Staat in Schieflage geratenen Unternehmen finanziell unter die Arme greifen kann, spannte die Regierung des deutschen Kanzlers Olaf Scholz einen „Gas-Schutzschirm“ auf. Der Staat kann – wie im Extremfall bei Uniper – als Anteilseigner auftreten, aber auch Kredite oder Bürgschaften vergeben.
Dies geschieht über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Man spricht dort von einem „Absicherungsinstrument“, das Unternehmen, die an den Terminbörsen mit Strom, Erdgas und Emissionszertifikaten handeln, den Zugang zu ausreichender Liquidität sicherstellt – gerade für den Fall weiterer Preissteigerungen und Volatilität. Antragsberechtigt sind Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland. Jene Firmen, die von den Energiebörsen abhängen, sollen Kredite bis zu 100 Milliarden Euro bekommen, die der Bund mit einer Garantie unterlegt.

„Bei plötzlichen, dramatischen Preissprüngen müssen Unternehmen, die an den Energiebörsen mit Strom und Erdgas auf Termin handeln, an der Börse gegebenenfalls kurzfristig sehr hohe zusätzliche Sicherheiten – sogenannte Margins – hinterlegen“, heißt es in einem gemeinsamen Papier des deutschen Wirtschafts- und Finanzministeriums. Hilfen können, zunächst befristet, bis Jahresende beantragt werden. Davon Gebrauch gemacht hat nicht nur Uniper, sondern auch der ostdeutsche Energieversorger VNG.

Mit der ersten Novelle des Energiesicherungsgesetzes im Frühjahr hatte die deutsche Regierung die Möglichkeit geschaffen, wichtige Energieversorger zur Not unter Treuhand zu stellen. Dies ist dann auch mit der Gazprom Germania geschehen.

QFrankreich Ein Vorgang in Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, könnte möglicherweise bald auch in anderen Ländern zu beobachten sein: Dort hat der Atomkonzern EDF eine milliardenschwere Entschädigungsklage gegen die eigene Regierung eingereicht, nachdem er gezwungen worden ist, Energie mit Verlust an die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verkaufen.

EDF befindet sich zu 84 Prozent in Staatsbesitz und wird nun zur Gänze verstaatlicht, um – wie Premierministerin Élisabeth Borne erklärte – „unsere Energie-Souveränität zu garantieren“.
Wie EDF betriebswirtschaftlich überleben soll, ist noch nicht geklärt – die Eckdaten sind jedenfalls ernüchternd: Die schon bisher horrenden Schulden stiegen zuletzt innerhalb eines Jahres um 40 Prozent auf 61 Milliarden Euro.
QItalien Eine gute Nachricht in schwierigen Zeiten: Zumindest bisher ist in Italien keiner der größeren Energieanbieter in Turbulenzen geraten – im Gegenteil: Eine Regelung für die Besteuerung von Übergewinnen in diesem Wirtschaftssektor geriet zum kolossalen Flop für den Staat (DER STANDARD berichtete). Allenfalls einige lokale und subregionale Energieproduzenten bekamen Probleme – aber keine Hilfe: Es herrscht das Prinzip des „mercato libero“, also des freien Marktes. Das große strukturelle Problem in der italienischen Energiepolitik: Strom wird zu 49 Prozent aus Erdgas gewonnen, die Politik hat derzeit alle Hände voll zu tun, dass diese Kosten abgefedert werden, bevor sie in den Haushalten ankommen. Ein schwieriges Spiel, denn die Konsumentenvertretung Federconsumatori warnt seit Jahren vor intransparenten und unfairen Praktiken der Energiekonzerne.

QSchweiz Als Vorbild für den von ihm erhofften Schutzschirm nannte Peter Weinelt, Vizechef der Wiener Stadtwerke, jenen, den die Schweiz schon Mitte Juni aufgespannt hat: Ganze zehn Milliarden Franken, also etwa 10,3 Milliarden Euro, sollen systemkritischen Stromunternehmen per schnell bereitgestelltem Darlehen aus der Patsche helfen, „wenn alle Stricke reißen“, wie es Finanzminister Ueli Maurer formulierte. Vor allem die drei größten Stromfirmen in der Schweiz gelten als systemrelevant: Axpo, Alpiq und BKW. Kritik wurde vorab vor allem von BKW laut, das eine Million Schweizerinnen und Schweizer mit Strom versorgt und auf Freiwilligkeit gepocht hatte, unter den Schutzschirm zu schlüpfen. Und auch sonst zog die bürgerliche Opposition im Berner Parlament alle Register: Der Schutzschirm sei zu klein geraten, und man solle doch nicht etwa Spekulanten staatlich schützen, hieß es.

Energieministerin Simonetta Sommaruga tat diese Unkenrufe im Parlament ab und drohte damit, als Regierung vom Notrecht Gebrauch zu machen: „Meine Damen und Herren, wir sind nicht in einer Wohlfühlphase.“

Der Standard