Deutsche Koalitionsparteien streiten über Zukunft von AKWs

6. September 2022, Berlin
Debatte über Weiterbetrieb deutscher Kernkraftwerke kocht weiter - Essenbach, APA/dpa

Der Ton im Streit zwischen der liberalen FDP und den deutschen Grünen über die Zukunft der noch verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland wird schärfer. Während die Grünen den möglichen Weiterbetrieb von zwei AKW als hart, aber als Reserve unvermeidbar verteidigen, fordert die FDP eine Laufzeitverlängerung und den Weiterbetrieb des dritten Meilers.

„Der einzige Grund, warum das Kernkraftwerk in Lingen im Emsland nicht auch in den Reservebetrieb geht, ist der linke Landesverband der Grünen in Niedersachsen“, schrieb FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle auf Twitter im Hinblick auf die Landtagswahl am 9. Oktober. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert „Habeck muss sich gegen die Ideologen in seiner Partei durchsetzen und den Weiterbetrieb aller drei Anlagen ermöglichen.“

Habeck (Grüne) hatte angekündigt, dass die beiden süddeutschen Reaktoren Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 (Landkreis Heilbronn) noch bis Mitte April und damit über den Winter als Reserve dienen sollen. Ein sogenannter Stresstest in seinem Auftrag hatte ergeben, dass die AKW in Extrem-Situationen im Winter hilfreich sein könnten. Der dritte verbliebene Reaktor Emsland soll aber wie geplant Ende des Jahres abgeschaltet werden.

Der deutsche Grünen-Chefs Omid Nouripour bezeichnete den möglichen Weiterbetrieb der beiden AKW als „eine echte Zumutung, das ist richtig. Und deshalb bauen wir auch Flüssiggasterminals, auch das ist eine Zumutung, aber gerade notwendig“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“ am Dienstag.

„Wir brauchen mehr günstigen Strom“, sagte dagegen FDP-Fraktionschef Christian Dürr im ZDF. Es gebe explosionsartige Preissteigerungen beim Strom – teilweise eine Verzwanzigfachung. Deswegen wäre es richtig, die drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen. „Damit mehr Menge in den Markt kommt. Mehr Menge bedeutet sinkende Preise.“ Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte gefordert, die Laufzeit der drei Atomkraftwerke bis 2024 zu verlängern.

Auch CDU-Chef Friedrich Merz kritisiert das geplante endgültige Abschalten des Reaktors Emsland. „Wir müssen nicht nur über die Netze und ihre Stabilität reden, wir müssen über die Stromerzeugungskapazitäten sprechen, und da hakt es an allen Ecken und Enden“, sagte Merz im Deutschlandfunk. „Überhaupt noch daran zu denken, Stromerzeugungskapazitäten, die wir in Deutschland haben stillzulegen, ist völlig absurd.“ Das sei ein Fehler, der sich bitter rächen werde.

Merz betonte: „Wenn wir in diesem Jahr nicht genug Stromerzeugungskapazitäten haben, und wir werden nicht genug haben, dann steuern wir zusätzlich auf eine schwere wirtschaftliche Rezession zu.“ Die Koalition lasse Habeck machen, was er wolle. „Ich kann nur an den Bundeskanzler appellieren, diesen Irrsinn zu beenden.“

Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) hält die Entscheidung für den Reservebetrieb der zwei süddeutschen Atommeilern dagegen für richtig. „Die oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit im kommenden Winter – vor allem mit Blick auf die Netzstabilität“, sagte er am Dienstag. Mit dem Stresstest stehe fest, dass es sinnvoll und notwendig sei, Vorbereitungen für einen möglichen Streckbetrieb der beiden Atommeiler zu treffen. Der Atomausstieg stehe damit jedoch keinesfalls in Frage. Es werde dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit für Mensch und Umwelt garantiert sei.

An dem grundsätzlichen deutschen Ausstieg aus der Atomenergie ändere sich nichts, versicherte auch Grünen-Chef Nouripour. „Nur haben wir besondere Zeiten. Das wissen, glaube ich, auch alle, und dieser Winter hat große Herausforderungen.“ Für den Extremfall, dass die Netzstabilität gefährdet sei, brauche man die beiden AKWs für den Winter. „Danach ist Schluss“, so Nouripour.

Im Zuge des deutschen Atomausstiegs hätten zum Jahresende eigentlich alle deutschen Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet werden sollen – wegen der von Russland ausgelösten Energiekrise brachte Habeck nun die mögliche kurze Verlängerung ins Spiel.

APA/ag

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