Energiekrise – Grünes Licht für Deutschlands „Doppelwumms“

21. Oktober 2022, Berlin
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz - Berlin, APA/Deutsche Presse-Agentur GmbH

Der Deutsche Bundestag hat am Freitag die Aufhebung des Schuldendeckels und die Aufnahme von Krediten im Volumen von 200 Milliarden Euro genehmigt, mit denen die dramatisch gestiegenen Energiepreise gebremst werden sollen. Nach dem Beschluss darf der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), ein Sondertopf außerhalb des Bundeshaushalts, diese Schulden aufnehmen. „Das ist eine gute Nachricht für alle, die mit Sorge auf ihre Nebenkosten blicken“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD).

„Und für Handwerksbetriebe und Unternehmen“, fügte er hinzu. Scholz hatte das Paket mit Energiepreisbremsen und Unternehmenshilfen als „Doppelwumms“ bezeichnet. Nach dem Bundestag muss auch der Bundesrat zustimmen. Die Kredite sollen den Plänen der Regierung in Berlin zufolge bis 2024 ausreichen, aber noch in diesem Jahr aufgenommen werden.

Mit dem Geld soll vor allem der zuletzt stark gestiegene Gaspreis gesenkt werden. Eine von der deutschen Bundesregierung eingesetzte Kommission hat vorgeschlagen, dass der Bund die Dezember-Abschläge für alle deutschen Gaskunden übernimmt. Ab März könnte dann für Privatkunden eine Preisobergrenze für ein Grundkontingent von 80 Prozent des üblichen Verbrauchs greifen. Für Großkunden in der Industrie soll es schon ab Jänner eine Preisbremse geben. Ob Berlin die Vorschläge genau so umsetzt, ist allerdings noch offen.

Die Opposition kritisierte deshalb, man wisse noch überhaupt nicht, wofür die hohe Milliardensumme tatsächlich genutzt werden solle. „Sie wollen uns die Katze im Sack verkaufen, und das wollen wir nicht akzeptieren“, sagte Gesine Lötzsch von den Linken. Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg betonte, normalerweise überlege man sich erst, was man kaufe und was das koste – und gehe dann zur Bank, um das Geld zu holen. Die Ampel-Regierung wolle es umgekehrt machen.

Außerdem sollten die Kredite nur deshalb komplett in diesem Jahr aufgenommen werden, damit Finanzminister Christian Lindner (FDP) 2023 künstlich sein Versprechen der Schuldenbremse einhalten könne. Der Bundesrechnungshof kritisiert ebenfalls, dass der Milliardentopf über mehrere Jahre bis 2024 genutzt werden soll. Das widerspreche dem Grundsatz der Jährlichkeit, der besagt, dass ein Bundeshaushalt immer für ein Jahr aufgestellt werde. FDP-Haushälter Otto Fricke konterte, durch das Sondervermögen sei sichergestellt, dass das Geld genau dann auch da sei, wenn es gebraucht werde.

Auch in der Bevölkerung stößt der „Abwehrschirm“ auf Vorbehalte. In einer am Freitag vorgelegten YouGov-Umfrage zum „Doppel-Wumms“ nannten nur vier Prozent der Befragten das Maßnahmenpaket „gut und ausgewogen“. Die Tatsache, dass der Staat unterstützend eingreifen will, wird aber von einer breiten Mehrheit befürwortet. Nur sechs Prozent der Befragten sagten, der Staat solle sich weniger einmischen und auf die Regulierungskräfte des Marktes setzen. Gleichzeitig machen sich aber 13 Prozent Sorgen, das Hilfspaket könne die Staatsfinanzen zu stark belasten.

Zweifel haben etliche Befragte, ob die – bisher noch nicht näher bestimmten – Hilfen bei den richtigen Empfängern ankommen. Viele Menschen in Deutschland stellen in Frage, ob der Finanztopf für die Unterstützungsmaßnahmen groß genug ist. 22 Prozent waren der Meinung: „Das Hilfspaket reicht noch nicht aus“. Kritisch gesehen wird auch, dass ein Teil der diskutierten Unterstützungsmaßnahmen womöglich erst im kommenden Frühjahr greifen soll. 21 Prozent der Befragten sagen: „Das Wichtigste ist eine schnelle Umsetzung.“

Der 200 Milliarden Euro starke „Abwehrschirm“ soll auch helfen, den Strompreis zu drücken. Eigentlich soll eine Strompreisbremse durch die Abschöpfung hoher Gewinne von Stromunternehmen finanziert werden. Reicht das aber nicht aus, soll nach einem Koalitionsbeschluss „zeitlich begrenzt“ das Sondervermögen genutzt werden.

Am Konzept der Strompreisbremse wird in Berlin ebenfalls noch gearbeitet. Auch hier ist bisher geplant, dass Verbraucher ein vergünstigtes Basiskontingent bekommen – wer mehr verbraucht, muss dann höhere Preise zahlen. Damit will die deutsche Regierung sichergehen, dass trotz des gedrückten Preises Energie gespart wird.

Der Rest der Kredite soll zur Unterstützung von Unternehmen genutzt werden, die durch Russlands Krieg in der Ukraine in Schwierigkeiten geraten. Darunter sind auch mehrere Gasimporteure, die ihr Geschäft auf günstiges russisches Gas aufgebaut hatten, das nun nicht mehr fließt. Für die besonders betroffenen Unternehmen Sefe, Uniper und VNG sollten mit Staatsgeld nun „maßgeschneiderte Lösungen“ entwickelt werden, beschloss die Koalition. Deutschlands wichtigsten Gasimporteur Uniper will der Bund fast vollständig übernehmen.

Weitere Entlastungsmaßnahmen sollen aus dem 200-Milliarden-Topf nicht finanziert werden – das betonte zuletzt vor allem Lindner. Er will so vermeiden, dass seine Kabinettskollegen allzu viele Finanzierungswünschen einreichen, die aus dem normalen Budget nicht zu stemmen sind.

Umstritten ist aber zumindest, ob zusätzlichen zu den Gaskunden auch Bürger mit Öl-, Pellet- und anderen Heizungen entlastet werden sollten. Mehrere Politiker der Ampel-Fraktionen haben bereits angedeutet, dass die das unterstützen würden. „Wir wissen, dass auch andere Energieträger spürbar teurer geworden sind. Darum arbeiten wir auch hier an Lösungen, um Härtefälle abzufedern“, sagte etwa die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, warnte, das Budget habe wegen der nötigen Schuldentilgung in der Zukunft kaum Spielraum. „Wir müssen immer wieder deutlich machen, Verschuldung hat ihren Preis gerade in der Zukunft“, sagte er. Holznagel appellierte an Regierung und Bundestag, dass nur diejenigen Hilfsleistungen bekommen sollten, die sie auch brauchten. „Aber diejenigen, die sie sie nicht brauchen, sollten nicht von diesen Schulden profitieren.“

APA/ag

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